Ist der Film »Welcome to New York« über die Strauss-Kahn-Affäre antisemitisch?

Ein übler Geruch

Abel Ferraras Film »Welcome to New York«, der die Sexaffäre um Dominique Strauss-Kahn fiktional verarbeitet, wird in Frankreich Antisemitismus vorgeworfen. Von der Hand zu weisen ist das nicht.

Es hätte die Sensation des Filmfestivals von Cannes und ein Erfolg im kommenden Herbst werden sollen, doch es wurde nichts daraus. »Welcome to New York«, der neue Film von Abel Ferrara, wurde noch nicht einmal nur erlesenen Gästen vorgestellt – es wurde ein Kino angemietet und wer Eintritt zahlte, kam ohne Akkreditierung in den Saal. Genau eine halbe Stunde nach Vorführungsbeginn sollte der Film zudem für sieben Euro auf verschiedenen Websites und Internetportalen heruntergeladen werden können. So zumindest wurde dies angekündigt. Tatsächlich war das Herunterladen erst gegen Mitternacht möglich. Jedenfalls wurde »Welcome to New York« wegen dieser Vorführungsbedingungen nicht für den Wettbewerb um die »Goldene Palme« zugelassen. Am Donnerstag voriger Woche war in der französischen Boulevardpresse zu lesen, nach zwölf Tagen sei der Film insgesamt bereits 100 000 Mal heruntergeladen worden.
Bereits zuvor hatte der Spielfilm, den Ferrara seit Anfang 2012 angekündigt hatte, für Ärger gesorgt. Sogar mit einer Strafanzeige wurde gedroht. Sie zu erstatten, hat Dominique Strauss-Kahn, ehemaliger Direktor des Internationalen Währungsfonds (IWF) und französischer Putativ-Präsidentschaftskandidat, seine Anwälte beauftragt. Als er die Anzeige am 19. Mai im Ra­dio­sender Europe 1 ankündigte, erklärte Strauss-Kahns Rechtsanwalt Jean Veil, Ferraras Film sei »ein Stück Scheiße, ein Brocken Hundekacke« und überdies teilweise antisemitisch.
Dominique Strauss-Kahn, in den Medien unter dem Kürzel »DSK« bekannt, fühlt sich durch Aussagen in dem Film diffamiert, weil dieser suggeriere, er habe sich der Vergewaltigung an der Zimmerfrau Nafissatou Diallo schuldig gemacht. Dies ist vielleicht das schwächste der Argumente, die sich gegen den Film anbringen lassen. Die halbe Welt hat die Affäre um Strauss-Kahn verfolgt, als dieser am 14. Mai 2011 am Flughafen von New York festgenommen und einige Stunden später in Handschellen abgeführt wurde. Ihm wurde vorgeworfen, die aus Guinea stammende junge Angestellte des New Yorker Hotels »Sofitel« vergewaltigt zu haben; Strauss-Kahn sei aus der Dusche gekommen und habe Diallo überrascht. Diese habe in dem Zimmer zu arbeiten begonnen, weil sie überzeugt gewesen sei, die Suite sei leer. Gegen Zahlung einer hohen Kaution war Strauss-Kahn nach wenigen Tagen aus der Untersuchungshaft freigekommen, musste aber in einer eigens angemieteten Wohnung in Manhattan unter starken Sicherheitsvorkehrungen bis zum ­Urteilsspruch ausharren. Im August desselben Jahres wurde das Strafverfahren mangels ausreichender Beweise eingestellt. Doch das Zivilverfahren, in dem Nafissatou Diallo auf Schadensersatz klagte, wurde weitergeführt. Es endete im Dezember 2012 mit einem Vergleich. Im folgenden Januar meldeten die Medien, Strauss-Kahn habe eineinhalb Millionen Dollar dafür gezahlt, dass Diallo ihre Zivilklage fallenließ.
Die Höhe dieser Summe spricht in den Augen vieler ebenso gegen Strauss-Kahns Unschuld wie seine eigenen Worte. Er bestritt zwar den Vergewaltigungsvorwurf, räumte jedoch ein »unangemessenes« sexuelles Verhalten gegenüber der Angestellten ein. Seitdem ist Strauss-Kahns politische Karriere in Frankreich beendet. Die satirische Puppensendung »Les Guignols de l’info« zeigt ihn seit Jahren ausschließlich im Bademantel, er tritt dort allwöchentlich mit dem Satz »Verzeihen Sie mir meinen Aufzug, ich komme gerade aus der Dusche!« auf. Infolge des Skandals ist das Massenpublikum heute über die sexuellen Vorlieben Strauss-Kahns und seinen Umgang mit »willigen« oder bisweilen auch »unwilligen« Frauen informiert.
Auch die Zuschauer von Ferraras Film dürften zum Gutteil aus voyeuristischen Gründen an diesem interessiert sein. »Welcome to New York« ist zwar ein Spielfilm und keine Dokumentation. Aber seit seiner Ankündigung Anfang 2012 hat der Regisseur keinen Zweifel daran gelassen, einen Film über die »DSK-Affäre« machen zu wollen. Gedreht ist der Film in der Wohnung, die Strauss-Kahns damalige Ehefrau Anne Sinclair, die im Sommer 2012 ihre Trennung bekannt gab, in Manhattan angemietet hatte, als Strauss-Kahn nicht aus der Stadt ausreisen durfte. Die Hauptpersonen tragen allerdings fiktive Namen: Die Strauss-Kahn-Figur heißt ­Deveraux – worin das Wort »véreux« (»verkommen«, »skrupellos«) anklingt –, die Anne Sinclair entsprechende Figur wird nur unter ihrem Vornamen Simone eingeführt, die Zimmerfrau trägt keinen Namen.
Deveraux wird von Gérard Depardieu gespielt. Simone sollte zunächst von Isabelle Adjani verkörpert werden, die sich aber Anfang 2013 aus dem Filmprojekt zurückzog, weil ihr der Voyeurismus des Vorhabens offenbar nicht behagte. Ihre Rolle übernahm die britische Schauspielerin Jacqueline Bisset, die als einzige Darstellerin in dem Film schauspielerisches Talent beweist.
Ferrara präsentiert eine eindeutige Antwort auf die Frage, was sich im »Sofitel« zugetragen haben könnte: Deveraux versucht sich an der Zimmerfrau zu vergreifen, als diese sich wehrt, onaniert er auf sie. Mag dieses Geschehen im Bereich des Möglichen liegen, sind viele ande­re Details jedoch zweifelhaft bis falsch. Unglaubwürdig ist das schlechte Englisch, das Gérard Depardieu als Deveraux spricht. Zweifelhaft ist, dass er und seine Frau miteinander Englisch reden und nur gelegentlich Französisch. Uninteressant ist, dass der Film zunächst mit einer halben Stunde beginnt, die vorwiegend aus Sexszenen besteht – Deveraux feiert eine Gruppensexparty in seinem Hotelzimmer und amüsiert sich mit zwei russischen Prostitu­ierten. Dass all dies so detailreich gezeigt wird, dient wohl kaum anderen als spekulativen Zwecken.
Zur Aufklärung der Affäre trägt all das natürlich nichts bei. Aber auch die in den letzten zehn Minuten eingeblendeten Streitgespräche zwischen Simone und Deveraux, dessen inne­re Monologe und Selbstgespräche sind sowohl spekulativ als auch wenig erhellend. Deveraux zeigt sich zu keiner Einsicht und Reue fähig, wirft jedoch seiner Ehefrau vor, sie habe ihm die Rolle eines künftigen Staatspräsidenten antragen wollen, in der er selbst sich gar nicht wohl fühlen würde. Dies ist jedoch nicht das Schlimmste. Denn Abel Ferrara hat noch ganz eigene Vorstellungen über die Hintergründe der »DSK-Affäre« in den Film eingeflochten, die zu den heftigsten Reaktionen führten. Als Simone zum ersten Mal auftritt, stellt sie vor einem deutlich als »jüdisch« gezeichneten Publikum das Werk ihrer finanzkräftigen Stiftungen vor. Ein unschwer als Karikatur »des Juden« erkennbarer Mann mit Fistelstimme und starkem Akzent lobt ihren unermüdlichen »Einsatz für Israel«. Bei einem späteren Streitgespräch zwischen Simone und Deveraux wagt letzterer eine Anspielung auf die angebliche Herkunft des Familienvermögens seiner Ehefrau, woraufhin Simone ihn ohrfeigt. Deveraux hält ihr vor, was ihr Vater »im Krieg gemacht« habe, er spielt auf das Jahr 1945 an und darauf, dass bei ihres Vaters Tod »sein Sarg schön geschmückt« gewesen sei, es aber »trotzdem übel gerochen« habe.
Die reale Anne Sinclair ist tatsächlich Millionärin – aus ihrem Vermögen hat sie die Kaution für Strauss-Kahn und die Miete für die Wohnung in Manhattan bezahlt. Und sie ist auch jüdischer Herkunft. Zu suggerieren, ihr Familienvermögen verdanke sich der Kollaboration ihres Vaters mit den Nationalsozialisten, ist indessen infam. In Wahrheit stammt es gar nicht von ihrem Vater, sondern von ihrem Großvater, Paul Grünberg. Dieser war in keine Verbrechen verstrickt, sondern hatte als Kunsthändler Glück und bewies Kompetenz. Unter dem Vichy-Regime und der deutschen Besatzung musste er fliehen, weil er andernfalls ermordet worden wäre. Bis Ende des Kriegs kämpfte Anne Sinclairs Vater im Widerstand gegen die Deutschen.
Anders als ihr Ex-Mann will Anne Sinclair keine Strafanzeige erstatten, sondern erklärte über ihr französisch-nordamerikanisches Zeitungsprojekt Huffington Post, sie empfinde »Ekel« angesichts von Ferraras Film. Auch Le Monde, die den Film als »nicht zu retten« bezeichnete, und Le Figaro kritisierten dessen antisemitische Tendenzen. Ferrara antwortete in Cannes, er sei »kein Antisemit« oder »hoffe dies jedenfalls«, denn er sei schließlich selbst »von jüdischen Frauen aufgezogen worden«. Ein schwa­ches Dementi.