Hungernde Studierende protestieren nicht

Mensa war gestern

Die Tafeln beobachten, dass immer mehr Studierende in Deutschland ihr Angebot nutzen. Proteste gegen die Verarmung oder gar Bündnisse mit anderen Prekarisierten gibt es bislang nicht.

Es wird einiges getan für die »Bildungsrepublik Deutschland«. Bund und Länder haben sich kürzlich auf ein »Bildungspaket« geeinigt. Der Bund soll mit sechs Milliarden Euro die Kosten für das Bafög übernehmen. Die notwendige Erhöhung der Bedarfssätze und Freibeträge soll aber erst 2016 erfolgen.
Auch manche Kritiker des Vorhabens argumentieren ganz im Sinne vom »Bildungsstandort«. So sagte ein Sprecher des Freien Zusammenschlusses von Studierendenschaften: »Die Bafög-Reform ist ein Projekt für die Zukunft, kein Projekt in der Zukunft. Es gibt keinen Grund, warum die Studierenden selbst auf die notwendigsten Anpassungen noch zwei weitere Jahre warten müssen.« Dabei gäbe es zumindest aus studentischer Sicht einen viel plausibleren Grund für die sofortige Erhöhung des Bafög: die Bekämpfung der wachsenden studentischen Armut.
Wie in der vergangenen Woche in den Medien berichtet wurde, sind es neben Flüchtlingen vor allem Studierende, die im vergangenen Jahr vermehrt das Angebot der Essenstafeln in Anspruch nahmen. Darüber informierte Jochen Brühl, der Vorsitzende des Bundesverbands Deutsche Tafeln e. V., auf einer Pressekonferenz, auf der die Jahresbilanz des Verbands vorgestellt wurde. Zahlen nannte er zwar nicht, doch sei schon seit Jahren zu beobachten, dass neben Erwerbslosen auch vermehrt Lohnabhängige vor allem aus dem Niedriglohnsektor und Alleinerziehende mit Kindern die Tafeln nutzen müssen. Kritiker sprechen von einer »Vertafelung« der Gesellschaft, in deren Zuge die Sozialpolitik durch eine nicht einklagbare Verteilung von Almosen ersetzt werde (Jungle World 18/2013).
Wie aber gehen die Studierenden mit ihrer Verarmung um? Empirische Erkenntnisse zu dieser Frage gibt es nicht. Vor mehr als 20 Jahren konstatierte der Hamburger Arzt und Sozialwissenschaftler Karl Heinz Roth, dass viele Studierende ihre Aussicht auf eine gut bezahlte Tätigkeit verlieren und teilweise ins Prekariat abrutschen würden. Diese Prognose verband er mit der Hoffnung, es könnte eine Solidarisierung mit anderen prekarisierten Menschen stattfinden, die als Grundlage für ein Bündnis verschiedener Gruppen von Prekären dienen könnte. Allerdings hat sich in den vergangenen Jahren gezeigt, dass Sprösslinge der Mittelschicht, die von Armut bedroht sind, keineswegs automatisch zu solcher Solidarität bereit sind. Häufig sympathisieren sie mit rassistischen und sozialchauvinistischen Bewegungen, die gegen Gruppen und Personen mobil machen, die in der gesellschaftlichen Rangordnung noch weiter unten stehen.
Die Tatsache, dass in den Jahren, in denen eine wachsende Zahl Studierender die Tafeln aufsuchte, die Protestbereitschaft abgenommen hat, könnte ein Hinweis auf den Mangel an Solidarität sein. Noch im vergangenen Jahrzehnt gab es bundesweite Bildungsproteste, die mit Universitätsbesetzungen und dem Boykott von Vorlesungen verbunden waren. Doch die vergangenen Jahre waren an den Universitäten eine protest­arme Zeit. In diesem Jahr gründete sich ein bundesweites Bündnis für Studienproteste. Es entwickelte einen Zeitplan für Proteste, die sich über mehrere Semester erstrecken sollen, wohl in der realistischen Annahme, dass in absehbarer Zeit ein bundesweiter Streik an den Universitäten nicht zu realisieren ist und es längere Zeit benötigt, um genügend Unterstützung für die Proteste zu finden und weitere Bündnisse zu schließen.

Ein gutes Beispiel für Studierendenproteste ließ sich in jüngster Zeit an der Londoner Universität beobachten. Dort solidarisierten sich Studentinnen und Studenten mit prekär beschäftigten Putzkräften am Campus. Erfreulich wäre es, wenn sich zumindest ein Teil der Studierenden auch in Deutschland ähnlich engagierte – gegen die Ver­armung und Vertafelung der Gesellschaft.