Berlin Beatet Bestes. Folge 244.

Und Erwachsene ebenso

Berlin Beatet Bestes. Folge 244. Grips-Parade (1973).

eden Dienstag mache ich einen kurzen Abstecher zu einem nahe gelegenen Trödelladen, der draußen auf dem Bürgersteig auch eine »Umsonst-Kiste« stehen hat. Da gucke ich immer zuerst hinein, bevor ich den Laden betrete und für ein paar Euro etwas kaufe. Meist stehen schon ein paar Leute an der Kiste, diesmal war ich allein. Es regnete in Strömen und die Mitarbeiter hatten die Kiste in den Hinterhof gezogen. Sofort entdeckte ich diese LP mit Liedern des Grips-Theaters, die ich schon lange suchte. Sie ent­hielt sogar noch das dazugehörige Riesenposter mit den Liedtexten. Natürlich ist sie etwas zerkratzt, denn es ist eine Kinderplatte. Kinderplatten sind immer zerkratzt, sie wurden schließlich von Kinderhänden aufgelegt. Nur die ganz doofen Platten, die Kinder gar nicht mochten, sind heute noch in gutem Zustand. Die LP »Grips-Parade« erschien erstmals 1973 in der Reihe der »Quartplatten« im linken Wagenbach-Verlag. Ein Grund, warum Grips-Platten heute so selten zu finden sind, ist sicherlich, dass sich diejenigen, die mit ihnen aufwuchsen, nicht gern von ihnen trennen. Auf Ebay werden sie oft überteuert, in Second-Hand-Läden nur selten angeboten. Dort suchen offensichtlich nur wenige nach Kinderplatten.
Dabei sind die frühen Grips-Lieder musikalisch und inhaltlich herausragend. Sie unterscheiden sich bis heute erheblich von der Musik, die üblicherweise für Kinder gemacht wird. Beim Abspielen der LP fällt sofort auf, dass ausnahmslos Hits darauf enthalten sind. Es sind keine Kinderlieder, sondern moderne, sehr eingängige Pop- und Beatsongs. Diese Platte könnte heute noch als Indie-Pop-Platte durchgehen, so erwachsen klingt sie. Während noch jede Rolf-Zuckowski-Platte Eltern nach zweimaligem Abspielen in den Wahnsinn getrieben hat, lässt sich diese hier problemlos immer wieder durchhören. Das liegt zum einen an den abwechslungsreichen Arrangements der Songschreiber Birger Heymann und Volker Ludwig, die auf konventionelle mehrstimmige Chöre verzichteten, und zum anderen an den klugen Texten. In einem Interview mit Karin Seifert sagte Volker Ludwig 1979: »Sie haben einen Mutmach-Charakter, das heißt die Stücke fordern auf zu dem, was man Kindern realistisch anraten kann: zur Solidarisierung. Wir versuchen, sie kritikfähig zu machen, selbstbewusst, sonst haut das mit dem Solidarisieren nämlich nicht hin.«
Titel wie »Wer sagt, dass Mädchen dümmer sind, der spinnt«, »Doof gebor’n ist keiner«, »Man muss sich nur wehren«, »Meins oder Deins« und »Einer ist keiner« sind tatsächlich emanzipatorische Hymnen, die leider belastet sind mit der Tatsache, dass es Lieder für Kinder sind. Die Logik der Musikkritiker, dass Lustiges und Zweckdienliches keine Kunst sein darf, hat verhindert, dass diese Songs heute als Popsongs gelten dürfen. Dennoch erwarte ich eigentlich, dass ein aufrichtiges Indie-Label sich irgendwann einmal der Vinyl-Wiederveröffentlichung dieser bahnbrechenden, linken Beatplatte annimmt. Weil sie einfach so toll ist.
Mein Name ist Andreas Michalke. Ich zeichne den Comic »Bigbeatland« und sammle Platten aus allen Perioden der Pop- und Rockmusik. Auf meinem Blog Berlin Beatet Bestes (http://mischalke04.wordpress.com/) stelle ich Platten vor, die ich billig auf Flohmärkten gekauft habe.