Fahren wir bald auf Solarstraßen?

Zur Sonne, zur Freiheit

Eine Firma plant, Straßen aus ­Solarzellen zu bauen. Ist das der Weg in eine lichte ­Zukunft oder alles nur Quatsch?

Das Telefon klingelt, der Redakteur ist dran. Er habe gerade, so erläutert er mir, bei seiner Morgenlektüre, der B.Z. nämlich, von »Solar Roadways« gelesen. Straßen also, die irgendwie aus Solarzellen gebaut würden und damit nicht nur Autos zum Fahren dienen, sondern auch Strom erzeugten. Und wenn schon die B. Z. darüber berichtet, dann müsse das ja ein ganz heißes Ding sein. Ob ich darüber nicht auf die Schnelle was schreiben könnte?
Klar kann ich. Ich habe davon zwar noch nie gehört, aber wozu habe ich schließlich jahrelang an der Universität Technischen Umweltschutz studiert? Und Zeit zum Recherchieren bleibt mir ja genug. Eine erste Sichtung ergab dann folgendes Bild: Statt Straßen, Bürgersteige und Parkplätze wie bislang aus zu sonst nichts nützlichem Asphalt zu bauen, könnte man all das auch einfach mit Solarzellen pflastern. Die hexagonal geformten Module der Solar Roadways bestehen aus drei Schichten: einem extrem robusten, stahlharten Glas, in dem die Solarzellen und allerlei LED-Lampen eingebettet sind, darunter die Steuerungselektronik und schließlich die Kabel, die den Strom leiten. Die energiereiche Sonnenstrahlung fällt auf die Solarzelle, die bestimmungsgemäß Strom daraus macht. Mit dem versorgt sie zunächst sich selbst, den überschüssigen Rest leitet sie ins Stromnetz.

Allein in Deutschland sind etwa fünf Prozent des Landes mit Straßen versiegelt. Eine gigantische Fläche. Wenn die tatsächlich Strom liefern würde! Wie es derzeit die althergebrachten Solarzellen auf den Dächern ja offenkundig auch schon ganz erfolgreich vermögen, sonst würde ja nicht so viel Strom durch sie ins Netz eingespeist, so dass dank des absurden Erneuerbare-Energien-Gesetzes (EEG) die Preise beständig steigen und die Kohlepartei SPD die ganze Sache möglichst wieder rückgängig machen will – allein letzteres ist ja schon ein untrügliches Zeichen dafür, wie gut das offenbar funktioniert. Wenn das nun um ein Vielfaches gesteigert werden könnte, wäre praktisch auf einen Schlag die gesamte Energiefrage gelöst. Keine Braunkohle mehr, Linkspartei! Kein Atomstrom, FDP! Und ihr, Grüne, könnt eure Windräder auch wieder abbauen, mit denen ihr die Schweinswale meuchelt! Kann das denn sein?
Allerdings, behauptet ein sehr aufgekratztes Werbevideo über die Solar Roadways: Würden alle Straßen des Landes damit ausgestattet, könnte der Strombedarf der USA gleich dreifach gedeckt werden. Das ist ja schon mal ganz praktisch. Aber im Grunde wird jedes Problem der Welt durch die tollen neuen Highways gelöst. Erdöl würde nicht mehr zum Antrieb von Autos gebraucht, wenn die Straßen den Strom für Elektromobile gleich selbst erzeugen. Zugeschneite Autobahnen und morgendliches Schneeschippen auf dem Bürgersteig vor der Haustür würden der Vergangenheit angehören, weil die Solarmodule als allumfassende Fußbodenheizung wirken könnten. Sensoren nähmen wahr, wie viele Autos gerade unterwegs sind, die perfekte Richtgeschwindigkeit für einen störungsfreien Verkehrsfluss könnte ermittelt und dank der LED-Lampen sofort auf der Straße angezeigt werden. Tappst versehentlich mal ein Tier auf die Fahrbahn, würde die smart street es umstands­los wahrnehmen und heranbrausende Fahrer warnen. Da ohnehin aller Strom durch die Straßen flösse, könnten auch all die lästigen Hochspannungsleitungen weg – für die USA, wo ja praktisch alle Leitungen oberirdisch verlaufen, ein geradezu visionärer Vorschlag. Und das alles CO2-neutral, womit der Klimawandel auch gleich erledigt wäre. Die Solarmodule selbst werden, selbstverständlich, irgendwie aus Abfall hergestellt, sind also im Grunde Recyclingprodukte. Was für ein Wirtschaftswachstum entstünde, wenn man den ganzen Asphalt gegen die neuen Dinger austauschte! Und falls mal ein Erdbeben die Straße kaputtmacht, könne man die schadhaften Hexagone nach dem Lego-Prinzip einfach austauschen, und alles ist wieder gut, wird in dem Video behauptet. Ich bin ein bisschen enttäuscht, dass die Straße das nicht selbst kann. Aber gut, jede Technologie hat ihre Schwachstellen. Insgesamt jedoch kann man festhalten: Mit dem Solar Roadway sind die Probleme der Welt gelöst.

Genau an der Stelle werde ich, ganz kritischer Journalist, natürlich ein wenig misstrauisch. Warum genau ist da eigentlich noch niemand drauf gekommen? Und warum forschen nicht längst alle großen Konzerne daran, sondern, wie sich nach gründlicherer Durchsicht dieses Internet zeigt, nur die Firma Solar Roadways Inc.? Wobei »Firma« es auch nicht ganz trifft. Genau genommen handelt es sich um das leicht nerdig wirkende Ehepaar Julie und Scott Brusaw aus ­irgendwo in Idaho. Sie ist Psychotherapeutin, er Elektroingenieur und Erfinder. Und jetzt hat er halt was erfunden. Die beiden sind bereits seit der Grundschulzeit ein Paar, verrät das Welter­löser-Werbevideo in einem sentimentalen Moment. Immerhin, das erhöht die Plausibilität des Vortrags. Wer es so lange mit einem Partner aushält, muss sich halt irgendwie sonst beschäftigen und kommt im Hobbykeller schon mal auf ulkige Gedanken. Aber als alleiniger Beleg mag mir das noch nicht genügen.
Google bietet eine unüberschaubare Menge von Treffern zum Thema, darunter praktisch jedes Qualitätsmedium, von The Guardian über die New York Times bis zum Spiegel. Auch Wikipedia informiert ordnungsgemäß über die anstehende technische Revolution. Allerdings mit einem dicken Warnhinweis, dass der Artikel zur Löschung vorgeschlagen sei. Klickt man dort hinter die Kulissen, kann man endlosen Streitereien der Schwarmintelligenzija folgen. Während die Verteidiger auf eben all die Pressequellen pochen, zu denen sich jetzt bald noch ein hochseriöser Jungle-World-Beitrag gesellen wird, verweisen renitente Lösch-Anhänger auf einen nicht ganz uninteressanten Tatbestand: All diese Artikel nämlich ­seien entweder gleich voneinander abgeschrieben worden oder gingen als einzige Quelle auf Solar Roadways Inc. zurück. Offenkundig hat niemand Unabhängiges sich je mit der Sache auseinandergesetzt. Vermutlich haben sich alle Journalisten entweder auch nur das peppige Promovideo angeguckt oder sie haben gleich nur von den Journalisten abgeschrieben, die sich das peppige Promovideo angeguckt haben.

Immerhin aber wurden die Entwicklung des Prototyps und der Bau eines kleinen Testfeldes durch 750 000 US-Dollar vom Innovationsfonds der US-Straßenbaubehörde gefördert. Nun wollen die Brusaws sich für die weitere Entwicklung per Crowdfunding eine Million holen. Jetzt, etwa zwei Wochen vor Ablauf der Frist, sind schon 1,8 Milli­onen US-Dollar von über 40 000 Unterstützern zusammengekommen. Die Idee scheint auf jeden Fall einige Menschen zu faszinieren.
Natürlich klingt letztlich alles viel zu gut, als dass es klappen könnte. Das entscheidende Problem dürften wie immer so langweilige Dinge wie Wirtschaftlichkeit und Effizienz sein. Vielleicht wird es auch das ein oder andere technische Problem geben, vielleicht stürzen die Straßen zukünftig ständig ab wie ein Windows-PC oder ein Heer von ehemaligen Fensterputzern müsste auf Straßen umgeschult werden, damit die so sauber bleiben, dass das Sonnenlicht überhaupt auf die Solarzellen treffen kann. Oder es werden neben all den Recyclingstoffen noch irgendwelche Seltene Erden oder sonst etwas gebraucht, für dessen Gewinnung dann leider ganz Afrika umgepflügt werden müsste.
Andererseits: Als ich anfing, Ingenieurswissenschaften zu studieren, hätte ich jeden für bekloppt erklärt, der mir das heutige Internet, Smartphones, die allumfassende Digitalisierung prophezeit hätte. »Geh weg!« hätte ich gesagt, während ich am Klebelayout unserer Studierendenzeitung schnippelte. Die Generationen davor hätten jeden verlacht, der von Fernsehern gefaselt hätte, von Telefonen, Flugzeugen, vom Klettverschluss. Und dass sich offenbar kein ernstzunehmender Konzern für die Solar Roadways interessiert, was heißt das heutzutage schon? Mark Zuckerberg, Steve Jobs und Larry Page haben auch als Garagen-Freaks ihre Wirtschafts­imperien ganz allein zusammengebastelt.
Wer weiß also, was aus der Idee von Solar Roadways Inc. letztlich werden wird. Eines jedenfalls ist sicher: Wenn es funktioniert, werden wir davon erfahren.