Gisela Neunhöffer im Gespräch über das Projekt »Labourstart« zur Vernetzung der internationalen Gewerkschaftsbewegung

»Solidarität herzustellen, ist eine schwierige Arbeit«

Ende Mai fand in Berlin die Konferenz von Labourstart, einer Nachrichten- und Kampagnen-Website für die internationale Gewerkschaftsbewegung, statt. Diskutiert wurde über das Thema »globale Solidarität«. Wie es um diese und die Möglichkeit, Arbeitskämpfe weltweit zu führen, steht, darüber sprach die Jungle World mit Gisela Neunhöffer vom Labourstart-Netzwerk Berlin, die die Konferenz mit vorbereitet hat.

Labourstart, das klingt wie eines der vielen Start-up-Projekte. Was hat es mit internationaler Solidarität zu tun?
Labourstart wurde 1998 gegründet mit Sitz in London. Bisher hat es Konferenzen zur globalen Solidarität in London, Washington, Hamilton, Ontario, Istanbul und Sydney durchgeführt. Ende Mai trafen sich über 300 Delegierte aus etwa 75 Ländern aus aller Welt erstmals in Berlin.
Was war der Grund für diese Ortswahl?
Kurz nach dem Kongress des Internationalen Gewerkschaftsbundes, der ebenfalls in Berlin stattfand, bot die Labourstart-Konferenz Gewerkschafterinnen und Gewerkschaftern, von Basisaktiven bis zu Vorsitzenden und Vertretern der internationalen Gewerkschaftsorganisationen, die Möglichkeit, aktuelle Fragen der Gewerkschaftsbewegung in einem informellen Rahmen zu diskutieren. Zudem sollte das Projekt bei den deutschen Gewerkschaften bekannter gemacht werden.
Was waren die Höhepunkte der Berliner Konferenz?
Auf dem Eröffnungspanel lieferte Kıvanç Eli Açık vom linken türkischen Gewerkschaftsbund DISK aktuelle Informationen zum Grubenunglück in Soma und zeigte die Folgen der Missachtung der Arbeitsgesetzgebung auf. Am zweiten Tag gehörte Nazma Akter zu den Podiumsteilnehmerinnen. Die Frauenaktivistin und Gewerkschafterin sprach über ihren Kampf für die Näherinnen in Bangladesh.
Gab es auch außerhalb der Konferenz praktische Aktionen internationaler Solidarität?
Am 24. Mai beteiligten sich die Teilnehmerinnen und Teilnehmer der Konferenz an einer Kundgebung vor einer Edeka-Filiale in Berlin-Kreuzberg. Die Aktion wurde von Verdi, der Christlichen Ini­tiative Romero, der Supermarktinitiative und der Initiative »Eigentum verpflichtet« gemeinsam vorbereitet. Damit soll der Edeka-Konzern zur Wahrnehmung seiner Verantwortung in der internationalen Lieferkette seiner Produkte aufgefordert werden – von der Produktion, in diesem Fall von Orangensaft, bis zu den Arbeitsbedingungen in den Edeka-Läden hierzulande.
Spielten auf der Konferenz auch die Rechte von Erwerbslosen eine Rolle?
Es gab mehrere Workshops zum Kampf für die Rechte von Erwerbslosen. Mag Wompel vom Informationsportal Labournet Germany betonte noch einmal eindringlich, dass die Verteidigung der Rechte derjenigen, die aus dem Arbeitsmarkt ausgegrenzt sind, zum eigensten Interesse der Gewerkschaftsarbeit gehören muss. Schließlich gehören die Entrechtung von Erwerbslosen und der Abbau von Rechten für die Beschäftigten zusammen.
Welche gewerkschaftlichen Solidaritätskampagen wurden von Labourstart bisher initiiert?
Sehr bekannt ist der internationale Kampf für Entschädigung für die Opfer des Einsturzes der Textilfabrik Rana Plaza in Bangladesh. Labourstart hat dazu beigetragen, dass der Druck auf die verantwortlichen Textilkonzerne erhöht wurde, damit sie endlich Geld in den vereinbarten Entschädigungsfond einzahlen. Auch die verbindliche Umsetzung der Gebäudesicherheits- und Feuerschutzbestimmungen spielt in der Kampagne eine wichtige Rolle. Die Unterstützung des Kampfes der Textilarbeiterinnen und -arbeiter in Kambodscha ist ebenfalls ein wichtiges Anliegen von ­Labourstart. Der Arbeitskampf dauert bereits mehrere Monate. Die Beschäftigten sind einer massiven Repression von Seiten des Staates ausgesetzt. Streikende wurden auf Demonstrationen erschossen oder schwer verletzt. Zahlreiche Gewerkschafterinnen und Gewerkschafter wurden verhaftet oder mussten untertauchen.
Sind als Träger solcher Solidaritätsaktionen nicht eher Nichtregierungsorganisationen (NGO) als Gewerkschaften gefragt?
Bei dieser Solidaritätsarbeit arbeiten Gewerkschaften und Nichtregierungsorganisationen eng ­zusammen. Es mag sein, dass die NGOs hier bekannter sind, weil sie in der Regel die Öffentlichkeitsarbeit in Europa übernehmen. Aber die gewerkschaftliche Arbeit vor Ort ist auch sehr wichtig. Schließlich muss in den Betrieben kontrolliert werden, ob die Vereinbarungen über faire Arbeitsbedingungen auch umgesetzt werden. Das können NGOs aus Europa nicht leisten. Dazu sind starke Gewerkschaftsgruppen nötig.
Unterstützt Labourstart auch Kämpfe von Beschäftigten in Deutschland?
Natürlich. Auch dafür gab es auf der Konferenz vielfältige Beispiele. Ich will nur an die internationale Solidaritätsaktion für die Streikenden des Raststättenkonzerns Autogrill erinnern. Gemeinsam mit der Gewerkschaft Nahrung Genuss Gaststätten (NGG) kämpfen die Beschäftigten für den Abschluss eines Tarifvertrags. Anfang April sind Beschäftigte in Thüringen und Bayern in einen unbefristeten Streik getreten. Labourstart hat eine internationale Solidaritätskampagne initiiert, die sehr erfolgreich war. Innerhalb weniger Tage haben Tausende Menschen aus aller Welt Autogrill aufgefordert, die Forderungen der Beschäftigten nach einem Tarifvertrag und fairen Löhnen zu erfüllen.
Kann ein Internetaktivismus, der sich auf einen Mausklick oder eine digitale Unterschrift beschränkt, wirklich Grundlage für eine weltweite Solidaritätsbewegung sein?
Es ist gerade eine Stärke von Projekten wie Labourstart, dass sie den Menschen die Möglichkeit des Engagements auf unterschiedlichen Ebenen geben. Wer wenig Zeit hat, kann einen Solidaritätsaufruf unterzeichnen. Andere können Texte in die verschiedenen Sprachen übersetzen. Zudem wird nach der Konferenz überlegt, ob in verschiedenen Ländern Labourstart-Unterstützergruppen gegründet werden. Die Diskussion darüber ist noch nicht abgeschlossen.
Ist die schlechte finanzielle Ausstattung des Projekts nicht ein großes Problem?
Gegenwärtig läuft der größte Teil der Arbeit ehrenamtlich. Es gibt nur ganz wenige bezahlte Stellen. Doch ohne die inhaltliche Zusammenarbeit und finanzielle Unterstützung verschiedener Gewerkschaften und Stiftungen sowie Einzelspenden wäre die Konferenz in Berlin nicht möglich gewesen.
Ist es aber nicht ein großes Problem, wenn Gewerkschaftsvorsitzende auf dem Kongress ein Bekenntnis zur internationalen Solidarität ablegen und in der Praxis eine Tarifpolitik für die Stärkung des Standorts Deutschlands machen, der andere Beschäftigte niederkonkurriert?
Es ist ein Ziel von Projekten wie Labourstart, das Prinzip der internationalen Solidarität in der Gewerkschaftsbewegung zu verankern und mit Leben zu füllen. Es geht darum, deutlich zu machen, dass nur so heute noch Erfolge zu erzielen sind. Dabei gibt es natürlich immer wieder Rückschläge, weil die Politik des »Teile und herrsche« eben manchmal doch ganz gut funktioniert. Doch in der Geschichte der Gewerkschaftsbewegung ist die Frage, wie Solidarität über vermeintlich unterschiedliche Interessen hinweg geübt werden kann, nicht neu. Darum ging es bei der Durchsetzung der Flächentarifverträge ebenso wie beim Kampf für die Rechte von Frauen in der Arbeitswelt. Diese Solidarität herzustellen, ist eine langwierige und schwierige Arbeit – manchmal eben auch innerhalb der eigenen Organisationen.
In den vergangenen Monaten wurde auch in Deutschland heftig darüber gestritten, ob Flüchtlinge ohne gültigen Aufenthaltsstatus Gewerkschaftsmitglieder werden können. Spielte das Thema auf dem Kongress auch eine Rolle?
Es gab mehrere Workshops, die sich mit der Frage beschäftigen, wie Gewerkschaften sich für Migrantinnen und Migranten mit unterschied­lichem Aufenthaltsstatus öffnen können. Dabei wurden verschiedene Modelle vorgestellt. In ei­nigen Ländern organisieren sich Migrantinnen und Migranten in eigenen Organisationen, in anderen sind sie Teil der bestehenden Gewerkschaftsstrukturen.
Es wird immer beklagt, dass das Kapital vernetzt, die Arbeiterbewegung aber noch im nationalstaatlichen Denken verfangen ist. Kann Labourstart das ändern?
Wir werden mit der kleinen Initiative natürlich nicht die neue internationale Arbeiterbewegung erfinden. Doch Labourstart kann wichtige Bausteine liefern, die Menschen solidarisches Handeln überhaupt wieder ermöglichen.