Die Hilflosigkeit linker Fußballkritik

Der Ball ist rund, nicht böse

Ist es ein Verrat am Klassenkampf, WM zu schauen? Über die Hilflosigkeit linker Fußballkritik.

Boah. Korrupt ist die Fifa. Mafiös organisiert. Macht das alles wegen des Geldes. Kriegt den Hals nicht voll. So etwa lässt sich hiesiges linkes Wissen über den Weltfußballverband zusammenfassen, und wenn jetzt noch jemand mit nachdenklichem Gesicht hinzufügt, dass es sich bei den Fifa-Funktionären um greise, alte Männer handelt, haben wir es sogar mit einem echten Experten zu tun.
Vor der Tatsache, dass eine Fußball-WM ein ­globales Medienereignis erster Güte ist, steht die Linke völlig verständnislos. Die kritisch gemeinte Rede von Korruption lässt das Jammern über »Bonzen«, die »eh machen, was sie wollen«, beinahe als differenzierte Analyse erscheinen. Im Schimpfen über Korruption drückt sich nämlich der Glaube aus, wenn man alles dem freien Spiel der Kräfte überließe, würde mit dem Sport alles ganz toll – Stichworte: Integration, Lebensfreude, Gesundheit, Naturerleben. Die Alternative zu dieser Sportpädagogenprosa ist die Verdammung: Ablenkung vom Klassenkampf, Sozialisationsagentur, um im kapitalistischen Wettbewerb zu bestehen, ein Brot-und-Spiele-Trick der Herrschenden, die mittels Merchandising die Ausgebeuteten dafür auch noch bezahlen ließen.
Beiden Sichtweisen gemeinsam ist, ist, dass man das, was viele Menschen mögen – beispielsweise bei einer WM dargebotener Spitzenfußball –, auf keinen Fall gut finden darf. Das erinnert an die Ablehnung des »Hollywood-Kinos«, die auch immer ein wenig nationalistisch – gegen die USA – begründet ist, aber noch stärker schwingt ein elitärer Dünkel mit: Was dem Pöbel gefalle, sei doch nichts für einen selbst.
Der Fußball aber ist im Vergleich zum Film doch etwas Besonderes. Da merkt man nämlich spätestens nach 90 Minuten, wer gewinnt. Entsprechend schwer lässt sich behaupten, dass der Club, den man mag, der bessere sei – es sei denn, man halluziniert sich etwas herbei, um doch noch einen Distinktionsgewinn zu erzielen. Etwa, dass ja ein anderer Fußball gespielt würde. Für das, was im nationalen Fußball von Gurkentruppen wie St. Pauli oder Babelsberg bereitgestellt wird, stehen bei Weltmeisterschaften wahlweise die brasilianische oder irgendeine afrikanische Mannschaft. Gerne wird bei der anstehenden WM Kamerun genommen, das vom früheren Freiburg-Trainer Volker Finke betreut wird. Wenn die gewönnen, so das Kalkül jener Linken, die trotz allem Fußball schauen, würden sich die korrupten Herren von der Fifa aber sehr ärgern. Weil, ja, äh, weil … eine WM, bei der nicht Deutschland oder Italien gewönne, die nicht zuletzt auf Un­berechenbarkeit beruhende Attraktivität des Fußballs noch weiter steigern würde? Falsche Antwort, weil zu richtig. Oder weil dann afrikanische Märkte noch besser erschlossen werden könnten, als es bei der WM vor vier Jahren in Südafrika der Fall war? Noch falschere Antwort, weil noch richtiger.
Der Fußballsport mit seinen Erscheinungsformen Weltmeisterschaft, Liga, Verein, elfköpfige Mannschaft etc. ist selbst Produkt der bürger­lichen Gesellschaft – und keinesfalls etwas Unschuldiges, das von reichen Mächten gekapert wurde. Der Fußball ist schön und hässlich zugleich. Er ist kein Spiegel der Gesellschaft, sondern hilft mit, diese stets aufs Neue zu konsti­tuieren. Er muss, wie Detlev Claussen jüngst schrieb, »als integraler Bestandteil des serious life analysiert werden wie Mode, Musik und Medien«.
So gesehen ist die Fifa weder besser noch schlechter als Microsoft, als die politische Supermacht USA oder als die großen Hollywood-Filmgesellschaften. Denen sich zu entziehen, gelingt auch nicht, und ein entsprechender Versuch wäre sehr doof.