Die Pressefreiheit in Ungarn ist bedroht

Freier Meinungsäußerung entgegensteuern

In Ungarn wird die Pressefreiheit von der Regierung weiter eingeschränkt.

Am Pfingstmontag demonstrierten in Budapest Tausende Menschen für die Pressefreiheit. Anlass waren die Entlassung des Chefredakteurs des unabhängigen Nachrichtenportals Origo nach regierungskritischen Berichten sowie die geplante Einführung einer hohen Reklamesteuer für kommerzielle Medien, die dann am folgenden Tag vom Parlament verabschiedet wurde. Zuvor hatten oppositionelle und erstmals auch regierungsnahe Medien mit weißen Seiten beziehungsweise 15 Minuten Sendepause dagegen protestiert. Die Nachrichtenredaktion von Origo trat aus Protest geschlossen zurück. Origo hatte überhöhte Hotelrechnungen von Auslandsreisen des Leiters der Staatskazlei János Lázár, aufgedeckt und auf Akteneinsicht geklagt. Diese ersparte sich Lázár, indem er die zwei Millionen Forint (etwa 7 000 Euro) an den Staat zurücküberwies. Auf Origo war wegen regierungskritischer Berichte schon früher politischer Druck ausgeübt worden; den Ausschlag für die Kündigung des Chefredakteurs gab laut Medienberichten, dass Origo die Anzeige gegen Lázar kurz vor den Wahlen gestellt hatte.

Origo.hu gehört der ungarischen Magyar Telekom, diese wiederum mehrheitlich der Deutschen Telekom. Nach Medienanfragen und einem Shitstorm auf ihrer Facebook-Seite erklärte diese, personelle Veränderungen bei Origo seien Resultat interner Umstrukturierungen gewesen, auf die man nie Einfluss genommen habe. Auch Magyar Telekom bestritt jede politische Einflussnahme. Kurz darauf versprach Lázár, bis 2018 solle jeder ungarische Haushalt Zugang zu mobilem Breitbandinternet bekommen. Im Februar hatten Timotheus Höttges, der Vorstandsvorsitzende der Telekom, und Ministerpräsident Viktor Orbán eine strategische Partnerschaft zum Breitband­aus­bau in Ungarn vereinbart. Zudem hat die Regierung Ende Mai überraschend und ohne Begründung die Preise für die ausgeschriebene Mobilfunkfrequenz 1 800 MHz, auf die sich Magyar Telekom bewirbt, um die Hälfte gesenkt. Laut Medienberichten ist es eines der wenigen Unternehmen, mit deren Vorsitzenden sich Orbán regelmäßig trifft. Die Kontakte verstärkten sich seit April 2013, nachdem die Gründung eines neuen staatlichen Mobilfunkanbieters gescheitert war.

Die am 10. Juni verabschiedete Reklamesteuer sieht ab 1,6 Millionen Euro Umsatz Abgaben in Höhe von zehn bis 30 Prozent vor, bei über 65 Millionen Euro Umsatz bis zu 40 Prozent. Dies ist ­genau zugeschnitten auf den Umsatz von RTL Klub, dem größten Privatsender in Ungarn, im Besitz der deutschen Bertelsmann AG. Der Sender wird von Fidesz und Jobbik seit 2010 wegen seiner Trash-Formate torpediert. Die ungarische Regierung deutet die Pressefreiheit nun in ihrem Sinne um. Lázár erklärte kürzlich, RTL bedrohe das Land, betrüge die Zuschauer und die Politiker. Eingereicht wurde der Gesetzesentwurf vom ehemaligen Staatssekretär für Kultur, László L. Simon (Fidesz). Die Erwartungen, das 2010 verabschiedete Mediengesetz werde das qualitative Niveau bei den Privaten verbessern, hätten sich nicht erfüllt, so Simon. Boulevardinhalte seien nicht Gegenstand der Pressefreiheit, weshalb sie durch die Reklamesteuer auch nicht gefährdet sei. Ohnehin erreichten 90 Prozent der oppositionellen Medien das steuerpflichtige Umsatzminimum gar nicht.
Am Freitag voriger Woche berichtete RTL Klub vom Vorhaben der Oppositionspartei DK, die Einkommensverhältnisse von Orbáns Vater, Győző Orbán, untersuchen zu lassen. Das Kanzleramtsministerium verurteilte dies unmittelbar als »unakzeptablen Rachefeldzug gegen die Regierung«, weil »man in Ungarn Steuern zahlen« müsse.
Seit der Wahl Orbáns zum Ministerpräsidenten 2010 hat sich die Situation der oppositionellen Medien dramatisch verschlechtert. Ihre Werbeeinnahmen sind zurückgegangen, da sie keine staatlichen Werbeaufträge mehr bekommen. Die Mediensteuer soll laut Simon nun auch auf soziale Netzwerke ausgedehnt werden. Wie es um die Datensicherheit der ungarischen Internet- und Mobilfunknutzer bestellt sein wird, wenn die Telekom langfristig faktisch zum Staatsprovider avanciert, bleibt abzuwarten.