Die Entführung in der Westbank

Frieden oder Einheit

Die Entführung dreier israelischer Jugendlicher zeigt, dass die Machtverhätlnisse in den palästinensischen Gebieten Verhandlungen aussichtslos machen.

Der Raketenbeschuss aus dem Gaza-Streifen hatte nach einigen ruhigeren Wochen bereits wieder zugenommen, doch diese für die israelische Bevölkerung alltägliche Bedrohung verursacht nur noch wenig Aufregung, zumal die meisten Geschosse vom Abwehrsystem Iron Dome abgefangen werden oder wenig Schaden anrichten. Um sicherzustellen, dass es in der nächsten Zeit keine Friedensgespräche gibt und sich auch in der palästinensischen Innenpolitik nichts ändert, musste etwas Spektakuläreres geschehen. Die Entführung der Schüler Eyal Yifrach, Gilad Sha’ar und Naftali Frenkel brachte die erwünschten Reaktionen. Die aufgebrachte israelische Öffentlichkeit interessiert kaum noch etwas anderes als die Suche nach den in der Westbank am Donnerstag voriger Woche Verschleppten, eine größere Militär­aktion im Gaza-Streifen ist sehr wahrscheinlich. Auseinandersetzungen mit israelischen Soldaten produzieren »Märtyrer« und schaffen so die »nationale Einheit«, die zuvor in Form der gemeinsamen Regierung von Fatah und Hamas nur eine institutionelle Fiktion war.
Die Verantwortung der Hamas für die Entführung ist zwar bislang nicht erwiesen, doch verfügt niemand sonst über die erforderlichen organisatorischen Strukturen, um die drei israelischen Jugendlichen trotz der intensiven Suche in der Westbank zu verbergen. Überdies war eine der­artige Aktion für die Islamisten geradezu unvermeidlich. Bei einer Umfrage des Palestinian Center for Policy and Survey Research Ende vorigen Jahres im Gaza-Streifen gaben nur 29 Prozent der Befragten an, dass sie die Hamas wählen würden, während 40 Prozent für die 2007 gewaltsam entmachtete Fatah stimmen würden. Zu den vordringlichsten Anliegen der Hamas nach der Bildung der Einheitsregierung gehörte daher, die vereinbarten Wahlen zu verhindern. Nun kann sie die Herrschaft über den Gaza-Streifen halten und zugleich von der internationalen Anerkennung der Einheitsregierung profitieren.
Mahmoud Abbas, der Präsident der Autonomiebehörde, hätte eigentlich ahnen müssen, dass die Islamisten sich nicht freiwillig zurückziehen werden. Erst nach vier Tagen konnte er sich zu einer Verurteilung der Entführung durchringen. Freudenkundgebungen in den palästinensischen Gebieten und die Entführung feiernde Postings auf Websites der Fatah hatten zuvor die israelische Öffentlicheit empört. Mag die Fatah grundsätzlich zu einer Verhandlungslösung bereit sein, so ist sie offenkundig nicht gewillt, das Risiko einzugehen, das eine Konfrontation mit der Hamas mit sich brächte.
Dafür gibt es ideologische Gründe, den antizionistischen Konsens teilen Fatah und Hamas. Zudem hat sich in der Westbank die überwiegend mit ausländischen Hilfsgeldern finanzierte Klientelwirtschaft fest etabliert, viele Funktionäre der Fatah müssten bei einem Friedensschluss ebenso um Macht und Pfründe fürchten wie die Profiteure der Kriegswirtschaft der Hamas im Gaza-Streifen. Nach dem Beginn der arabischen Aufstände kam es auch in den palästinensischen Gebieten zu Protesten gegen die Patriarchen. Doch das alte Muster des Konflikts, in dem provozierte israelische Militäraktionen die verfein­deten palästinensischen Fraktionen zusammenrücken lassen, hat sich wieder durchgesetzt.