Alstom wird statt an Siemens an den US-Konzern General Electric verkauft

Bloß nicht die Deutschen

Nach langen Verhandlungen hat die französische Regierung dem Verkauf von Alstom an den US-Konzern General Electric zugestimmt, Siemens hat das Nachsehen.

Es ist eine Fusion der Superlative, nach langwierigen Verhandlungen, die auch in Deutschland für Schlagzeilen sorgten. Der größte in den USA ansässige Industriekonzern hat sich am Ende durchgesetzt und sich vorerst gegen den deutschen Rivalen behaupten können. Er wird nunmehr den größten Unternehmenskauf in seiner bisherigen Geschichte tätigen. Zuvor hatte sich die Bundesregierung, Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) ebenso wie Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel von der SPD, hinter die Aufkaufpläne des deutschen Konzerns gestellt, die auch in vielen deutschen Medienberichten befürwortet wurden.
Der Sieger ist der US-amerikanische Konzern General Electric (GE) mit Sitz in Massachusetts, der unterlegene deutsche Konkurrent ist Siemens. Objekt des Aufkaufs ist das französische Energie- und Transportunternehmen Alstom mit Hauptsitz in Belfort, das seine Energiesparte veräußert. Diese macht mit bisher 73 Prozent seines Umsatzes (im vergangenen Jahr 20,7 Milliarden Euro) sein wichtigstes Geschäftsfeld aus. Nunmehr wird Alstom sich auf den Transportsektor konzentrieren, sein jährlicher Umsatz dürfte damit auf etwa sechs Milliarden Euro sinken.
Alstom ist ein Unternehmen mit weltweit 93 000 abhängig Beschäftigten, davon 18 000 in Frankreich und 9 000 in Deutschland. Es schreibt schwarze Zahlen, obwohl der Reingewinn im vergangenen Jahr um 28 Prozent zurückging, unter anderem aufgrund des wegen der Wirtschaftskrise und Energiesparmaßnahmen verringerten Stromverbrauchs. In diesem Frühjahr wurde keine Dividende an die Aktionäre ausgeschüttet. Aber der Reingewinn betrug noch immer 556 Millionen Euro, und in den Auftragsbüchern stehen Bestellungen für Züge, Streckensignale, Turbinen und Generatoren im Gesamtwert von 51 Milliarden Euro.

Alstom ist also kein von der Pleite bedrohter Konzern. Dennoch hatte das Unternehmen einige Probleme. So traf der Einbruch im US-amerikanischen Kreuzfahrtsektor auch Alstom, da das Unternehmen im Schiffbaubereich tätig war. Vor allem auf den Werften von Saint-Nazaire, wo es mittels Auftragsvergabe an Subunternehmen, die wiederum Subunternehmen beauftragten, Lohnabhängige zum Teil zu Niedrigstlöhnen schuften ließ, bevor gewerkschaftliche Proteste und Arbeitsgerichte den gröbsten Missbrauch eindämmen konnten.
Da zur selben Zeit auch Regresszahlungen in Milliardenhöhe auf Alstom zukamen, weil in mehrere Fällen gelieferte Turbinen für Kraftwerke nicht richtig funktionierten, geriet das Unternehmen 2003 in die Krise. Der deutsche Siemens-Konzern meldete damals sein Interesse an, das Unternehmen aufzukaufen. Die FAZ berichtete am 25. Mai 2004 von einer »aggressiven Lobbyarbeit des Konzerns in Brüssel und Berlin«. In deren Verlauf unterstützte auch der damalige DGB-Vorsitzende Michael Sommer die Interessen von Siemens, mit dem Argument, so könnten Arbeitsplätze in Deutschland gerettet werden – obgleich Siemens in Frankreich einen Großteil der Produktionsanlagen des Konkurrenten Alstom geschlossen und die dort Beschäftigten entlassen hätte.
Mutmaßlich deswegen wollte Patrick Kron, der Generaldirektor von Alstom, auch in diesem Jahr von Siemens als Aufkäufer nichts wissen. Bevor am 23. April durch eine Indiskretion der Finanznachrichtenagentur Bloomberg in den USA bekannt geworden war, dass Alstom große Unternehmensteile veräußern wolle, hatte Kron bereits seit zwei Monaten mit Jeffry Immelt, dem CEO von General Electric, verhandelt.

Die französische sozialdemokratische Regierung zeigte sich unangenehm überrascht davon, dass ein als »strategisch« bewertetes Großunternehmen – einer der bedeutendsten französischen Weltkonzerne nach dem Ölunternehmen Total – verkauft werden sollte, ohne dass sie vorab darüber informiert worden war. Wirtschaftsminister Arnaud Montebourg versuchte, ein alternatives Kaufangebot von Siemens einzuholen. Als Siemens dann Ende April grundsätzlich Interesse bekundete und am 12. Juni schließlich auch ein Angebot zusammen mit zwei japanischen Verbündeten unterbreitete, trieb dies den Preis für GE in die Höhe. Der US-Konzern musste nun versprechen, im Laufe der nächsten drei Jahre keine Stellen in Frankreich zu streichen und sogar 1 000 neue Arbeitsplätze zu schaffen.
Die Kritiker, die sich ebenfalls zu Wort melden, haben unterschiedliche Motive für ihre Ablehnung des Aufkaufs von Alstom, sei es durch GE oder auch durch Siemens. Auf der einen Seite insistierten gewerkschaftliche und linke Kritiker darauf, die Möglichkeit politischer Einflussnahme auf die Entscheidungszentren zu behalten, da Alstom etwa bei einer »Energiewende« als Anlagenbauer bedeutsam sein könne. Der Linkssozialist Jean-Muc Mélenchon forderte dies etwa im Zusammenhang mit dem von ihm befürworteten Ausstieg aus der Atomenergie. Aus ähnlichen Gründen sprach sich die Gewerkschaft CGT, die allerdings mehrheitlich an der Atomkraft festhält, für eine Verstaatlichung von Alstom anstelle eines Verkaufs aus. Mélenchon argumentierte ähnlich, bezeichnete allerdings den nun beschlossenen Verkauf an GE als kleineres Übel im Vergleich zur drohenden Übernahme und Zerschlagung durch Siemens.
Aus anderen, nämlich nationalistischen Gründen opponierten auch Rechte gegen den Unternehmensverkauf. Anfang Mai verteilten Mitglieder des Front National (FN) Flugblätter vor dem Unternehmenssitz in Levallois bei Paris, während dort eine Pressekonferenz des Vorstands stattfand, und ihre Vorsitzende Marine Le Pen trat im selben Monat als lautestete Gegnerin eines »nationalen Ausverkaufs« auf. In jüngster Zeit versucht die neofaschistische Partei, verstärkt auch auf wirtschaftspolitischem Terrain mit einer nationalistischen und protektionistischen, gegen die EU-Vorschriften gerichteten Position Anhänger zu gewinnen.

Um zumindest die wirtschaftspolitisch motivierten Vorbehalte zu entkräften, reagierte das Kabinett von Manuel Valls, indem es im Laufe der Woche doch noch eine stärkere Intervention der öffentlichen Hand befürwortete. Schließlich hatte der konservative Präsident Nicolas Sarkozy 2004 den staatlichen Einstieg bei Alstom bewerkstelligt, dahinter konnte die sozialdemokratische Regierung kaum zurückfallen. Zuvor hatte das Kabinett ein im Dezember 2005 von dem konservativen Premierminister Dominique de Villepin unterzeichnetes Regierungsdekret neu gefasst. Es war an der US-Gesetzgebung von 2004 orientiert und sollte »strategische Sektoren der Nation« vor Übernahmeversuchen durch ausländische Unternehmen schützen, wenn die Regierung diese als negativ beurteilt. Dazu zählen nach dem Dekret von 2005 insgesamt elf Sektoren, die aber fast ausschließlich mit der Verteidigung sowie Waffenherstellung und -verkauf zusammenhängen.
Auf Alstom konnte die damals gefasste Definition nur schwerlich angewendet werden. Ein neues Regierungsdekret vom 14. Mai dehnt nun das Vetorecht des Staats gegen ausländische Unternehmenskäufe auf fünf weitere Sektoren aus, darunter Energie- und Wasserversorgung sowie Transport. Es wirkte aber nur als Drohung, die GE und Siemens signalisierte, dass die französische Regierung ihnen den Einstieg verweigern könne. Es kam nicht zur Anwendung des Dekrets, die Regierung genehmigte den Verkauf jedoch erst, nachdem sie sich die Möglichkeit des Kaufs von 20 Prozent der Alstom-Aktien und damit eine Sperrminorität gesichert hatte.