Chicken Game

Wie üblich machen es deutsche Globalisierungskritiker ihren Gegnern leicht. Der Abscheu vor den Chlorhühnchen und der Unkultur, denen uns die Transatlantische Handels- und Investitionspartnerschaft (TTIP) schutzlos ausliefert, lässt unschwer antiamerikanische Ressentiments erkennen. Mag man über die Vor- und Nachteile von amerikanischem Chlordioxidbad und europäischer Antibiotikafütterung streiten können, doch für die Kultur gilt: Überflutet uns, liebe Kulturimperialisten, mit euren Filmen, Serien, Büchern und Comedy-Shows! Das allerdings ist die Sicht des Dissidenten eines kulturellen Schurkenstaates. Aber wir sollten auch einmal an die Amerikanerinnen und Amerikaner denken. Deren Supermarktregale könnten bald mit Gammelfleisch gefüllt werden, aber auch deutsche Comedians, als Krimiautoren getarnte Sozialpädagogen und Akustikterroristen der Volksmusik erhalten ungehinderten Zugang zum US-Markt. Das ängstigt sogar gut bewaffnete Anhänger der Tea-Party-Bewegung, deren Website vor dem »gezielten Angriff auf Wirtschaft, Konsumentenrechte und einheimische Gesetze« warnt.
Ebenso ignorant wie die linkspatriotische Globalisierungskritik ist die deutsche Tea Party der Marktextremisten und TTIP-Befürworter. Sie huldigen einem anderen mythologischen Bild der USA und nehmen die dortige Debatte gar nicht erst zur Kenntnis. Obwohl in den USA vielerorts Regeln der politischen Korrektheit und der Gesundheitsüberwachung durchgesetzt wurden, die sie hierzulande als Gender- und Tugendterror geißeln würden, sehen sie nur ein Land von tapferen Einzelkämpfern auf dem Markt, an denen wir uns ein Beispiel nehmen sollten. »Freien Menschen müssen freie Märkte keine Angst machen«, meint Florian Eder in der Welt und kritisiert die »hasenfüßigen Deutschen«. Immerhin ist es beruhigend für unsere Nachbarn, dass der deutsche Mann sich nicht mehr so sehr im Feld, sondern vornehmlich in Marktgewittern bewähren soll. Während deutsche Freihandelskrieger wie der Welt-Kommentator Jacques Schuster »die westliche Wertgemeinschaft in einer Welt von Schurken, Halbschurken und Entwicklungsländern stärken« wollen, verhandelt die US-Regierung allerdings ungerührt auch über eine Transpazifische Partnerschaft (TTP). Ohne die von Präsident Barack Obama gewünschten Sondervollmachten (fast track authority), die ihm der Kongress bislang nicht gewährt hat. Die vorgesehene »Schiedsgerichtsbarkeit«, die Unternehmen die Möglichkeit gibt, Streitigkeiten mit Regierungen von einem mit Unternehmensanwälten besetzten Gremium entscheiden zu lassen, gilt dort, anders als in der marktkonformen deutschen Demokratie, nämlich Linksliberalen und Rechtslibertären als Abkehr vom Rechtsstaat. Ein bisschen mehr Wertegemeinschaft würde den Deutschen also gar nicht schaden.