Tattoos? Ja!

Gegen die Tattoo-Verächter

Tattoo-Verächter sind lediglich vom Neid zerfressen. Denn Tätowierte nehmen sich die Freiheit zur Farbe und sind noch dazu nicht die allerschlechtesten Menschen.

Es ist schlimm. Kaum liegen die Temperaturen über 20 Grad und die Sonne kommt gelegentlich zum Vorschein, zeigt sie sich bei Tageslicht und unter freiem Himmel: die Heerschar der Tätowierten, kunterbunt von der Fontanelle bis zur Ferse. Das allein wäre ja eine schöne Sache, würde den Tätowierten nicht noch eine wahrhaftige Armee der Finsternis folgen: die Armee der Tattoo-Verächter.

Es handelt sich um einen erbarmungswürdigen Menschenschlag, dessen innerster Antrieb der Neid auf den scheinbar so verachteten Tätowierten ist. Denn dieser hat sich die Freiheit genommen, gegen jede Vernunft eine Schnapsidee auf seiner Haut verewigen zu lassen und das Ergebnis auch noch schön zu finden. Freilich würde kein Tattoo-Hasser dies jemals zugeben. Stattdessen bedient er sich einer nicht allzu großen Zahl an »Argumenten«, deren Erbärmlichkeit im Folgenden der Lächerlichkeit preisgegeben werden soll.
Argument Nummer eins: »Tätowierungen sind schlecht für die Haut und Gift für den Körper!« Das sogenannte Gesundheitsargument wird gern vorgebracht, obwohl offensichtlich ist, dass es die Bezeichnung »Argument« nicht verdient. Denn wenn Tätowierungen gesundheitsschädlich sind, wo sind die Toten, dahingerafft von ihren Ganzkörpertattoos? Wo sind die Kranken, die mit volltätowierten Armen im Bett dahinsiechen? Genau, es gibt sie nicht.
Argument Nummer zwei: »Tätowierungen kosten ein Vermögen!« Ein zweiwöchiger Urlaub in der Sonne mag zwar billiger sein als ein vollständiges »Backpiece«, also eine Tätowierung, die über den gesamten Rücken verläuft. Doch der Urlaub ist nach zwei Wochen vorbei. Die Tätowierung hingegen hält, bis das Leben vorbei ist, und darüber hinaus – ein hervorragendes Preis-Leistungs-Verhältnis! Kleiner Tipp für junge Leser: Zur Optimierung des Preis-Leistungs-Verhältnisses so früh wie möglich anfangen! Wer 20 Jahre alt und noch nicht tätowiert ist, sollte also schleunigst einen Tätowierer aufsuchen.
Argument Nummer drei: »Im Alter sind die Tätowierungen völlig verschrumpelt, das sieht dann doch schrecklich aus!« Tja, möchte man im Alter fahle, graue oder lieber bunte Hautfalten am Körper haben? Vom psychologischen Standpunkt aus spricht einiges für bunte Falten im Alter. Das frohe Farbenspiel lockert den grauen Alltag auf, so beugt man der Altersdepression vor. Zudem kann man raten, welcher Farbklecks früher wohl einmal welche Tätowierung gewesen sein mag und wann das gute Stück entstanden ist – gerade bei schwindendem Erinnerungsvermögen ein gutes Gedächtnistraining.
Argument Nummer vier: »Mittlerweile ist doch jeder tätowiert. Das ist nichts mehr für subversive Underdogs. Das ist der pure Konformismus.« Das ist fast richtig. Aber eben nur fast. Die Tätowierung hat einen langen Weg hinter sich, sie hat es herausgeschafft aus den Matrosenspelunken, Knästen und Rockerclubs, so dass mittlerweile in den Sommermonaten eine Person ohne Tätowierungen in den einschlägigen Gegenden Berlins eher auffällt als eine tätowierte, so dass in Zahnarztpraxen bunt tätowierte Helferinnen dem Patienten zur Begrüßung freundlich »Hallo« sagen und Eltern ihren Kindern zum 16. Geburtstag einen Gutschein für das erste »Piece« schenken. Tattoos sind schwer in Mode – was aber nicht schlimm ist. Punk war auch mal schwer in Mode und niemand würde deshalb seine Ramones-Platten aus dem Fenster werfen. Wer dachte, Tätowierungen seien als Körperschmuck für echte Rebellen der massenhaften Vermarktung auf ewig entzogen, müsste sich eigentlich zur Strafe die eine oder andere einschlägige Stelle aus dem »Kapital« zur Dauerlektüre auf die Unterarme tätowieren lassen.

Und was im Lamento über die Tätowierung als Mode der Massen vergessen wird: Trotz der vermeintlichen Allgegenwart des bunten Körperschmucks gibt es mächtige Institutionen, deren Handlanger nach wie vor keine Tattoos tragen dürfen. Wer mit einer sichtlich tätowierten Person ins Gespräch kommt, kann sich zumindest einer Sache sicher: weder mit einem Polizisten in Zivil noch mit einem Bankangestellten zu sprechen. Wer tätowiert ist, kann also in jedem Fall nicht der allerschlechteste Mensch sein – das wiederum kann der Tattoo-Verächter nicht von sich behaupten.