Form/prim im Gespräch über HipHop und Politik

»HipHop mit Haltung«

Der HipHopper, Journalist und Aktivist Form/Prim spricht über seine Jugend im schwäbischen Dorf, politischen Aktivismus und das Spazierengehen als Überlebensstrategie im Spätkapitalismus.

Der Titel deiner Doppel-EP, »Es gibt ein richtiges Leben im falschen: meins«, spielt auf ein berühmtes Zitat von Adorno an. Was ist denn das richtige Leben im falschen?
Für mich ist das richtige Leben jenes, das möglichst viel seiner Energie dafür einsetzt, dass es auch Orte auf der Welt gibt, an denen alle Menschen einfach nur ohne Angst und menschenwürdig leben können. Wer das tut und es da­bei noch schafft, auch selbst in ausreichendem Maße friedlich, unverbittert und humorvoll zu bleiben, hat das richtige Leben. Genaueres auf der EP, haha.
Du bist in einer schwäbischen Kleinstadt aufgewachsen. Wie wird man dort zum politischen Menschen? Durch HipHop?
Ich weiß es bis heute nicht recht. Cottenweiler ist auf keinen Fall eine Kleinstadt, sondern ein richtiges Dorf. Auf der anderen Straßenseite war der Misthaufen, ein Bauernhof 50 Meter von meinem Fenster weg. Ich mochte es da aber und komme auch gern immer wieder zurück. Bis ich etwa 18 war, wäre ich auch gar nicht auf den Gedanken gekommen, dass es woanders besser sein könnte.
Was wohl am meisten zu meiner Politisierung beigetragen hat, waren die Diskussionsrunden auf der Forche, einem Grillplatz auf dem Hügel zwischen den Dörfern, auf dem ich mit ein paar Freunden viel Zeit verbracht habe. Das hieß auch wirklich »Diskussionsrunde« und wir haben ungefähr alles mit großer Freude durchdekliniert, was die Welt so hergibt. Und eben auch viele Diskussionen über Politik. Ich war aber nie Teil eines Vereins, war nie Punk, war nie bei etwas dabei, das es schon gab.
Das klingt nach einem Außenseiterdasein.
Vielleicht hat auch mein Außenseiterdasein dazu beigetragen, mich mehr mit den Gemobbten zu identifizieren als mit Tätern. Ich bin relativ oft verprügelt worden und habe sehr lange Anschluss gesucht, aber erst mit der Forche- Crew gefunden. Und ich glaube, dass ich aus verschiedenen Gründen bis vor wenigen Jahren Probleme mit dem Selbstbewusstsein hatte, insgesamt schon immer ziemlich empfindlich war. Wie manche Typen über ihre Freundinnen geredet haben, hat mir zum Beispiel nicht eingeleuchtet. Ich hätte mich gefreut, wenn ich eine gehabt hätte.
Ein politisches Bewusstsein habe ich später entwickelt, nachdem ich weggezogen war. Meine Musik ist politisch, weil ich politisch bin. Alles, was in meinem Kopf passiert, findet sich auch in der Musik. Ich weiß gar nicht, wie man das anders machen kann. Kunst und Leben lassen sich für mich nicht trennen. Kann das jemand? Nur so seltsame Menschen mit komisch verkopften Kunstvorstellungen, oder?
Du bist nach Mainz gezogen, aber es scheint eine Sehnsucht nach der Ruhe des Landlebens zu geben. Irgendwo sprichst du vom Spazierengehen als einziger Überlebensstrategie im Spätkapitalismus des 21. Jahrhunderts.
Das Spazierengehen war da eher als Metapher gedacht, man kann eben nicht nur kämpfen, vielmehr ist die ruhige Betrachtung auch eine Möglichkeit des Kampfes. Dass ich das als einzige Überlebensstrategie im Spätkapitalismus bezeichnet habe, war als Halbwitz gemeint, ich mag es, mich bei unpassenden Gelegenheiten so geschwollen auszudrücken. Man kann natürlich auch rennen. Ich hatte nur schon genug Hörstürze, um zu wissen, dass ich selbst das nicht kann. Und sich trotz all der Scheiße dennoch Lebensfreude zu gönnen, ist meines Erachtens ziemlich subversiv und hält einen davon ab, verrückt zu werden oder sich umzubringen. Also doch eine Überlebensstrategie.
In welcher Tradition politischer Musik siehst du dich – im HipHop, aber auch darüber hinaus?
Ich sehe mich eigentlich gar nicht unbedingt in der Tradition politischer Musik. Ich sehe mich in der Tradition guter Musik, in der Tradition von geilem Rap, von HipHop mit Haltung. Aber wie jeder intelligente Mensch mit Herz habe ich eine politische Haltung zur Welt, die sich gegen Unterdrückung, Ungerechtigkeit und für Freiheit für alle Menschen einsetzt. Ich nenne das bewusst Gutmenschlichkeit, andere nennen es anders.
»Frauenverherrlichender Minderheitenrap für Leute über 18« nennst du deine Musik in einem Song. Ist das der Kompromiss, den man mit dem Anspruch von Reflektiertheit, machen muss: dass man eben nicht Musik für alle macht?
Ja, ich glaube, meinen Anspruch teilen nicht alle, ich habe mit dem Begriff der Reflexion aber ein Problem. Wahrscheinlich weil mir Zeit meines Lebens als Rapper vorgeworfen wurde, unfassbar kompliziert zu sein und Dinge zu sagen, die überhaupt niemand verstehen kann. Was natürlich Humbug ist. Ich denke aber einfach gern nach und das kommt natürlich auch in den Texten rüber. Aber ich bin eben kein total komplizierter Mensch, ich bin sehr impulsiv, ungeduldig und nicht zu Tode reflektiert.
Was ist mit linkem HipHop?
Der explizit linke Rap war mir oft nicht gut genug. Ich mochte die Vernachlässigung der Ästhetik nicht, die totale Fixierung auf Inhalte bei Vernachlässigung anderer Aspekte wie der Frage, ob das eigentlich gut gerappt ist. Abgesehen davon ist HipHop besser als sein Ruf, gerade in Deutschland wird er immer noch sträflich unterschätzt, von bildungsbürgerlichen Rassisten abgewertet, von vermeintlich politisch Denkenden in aller Regel missachtet und insgesamt nicht verstanden. Diese extreme Polarisierung »Hier der böse Gangsterrap, dort die Guten mit ihrer Gymnasiallyrik« entspricht so nicht der Realität und hat sowieso nie gestimmt. Noch so etwas, worüber man sich in Deutschland aufregen könnte.
Du arbeitest mit an dem Magazin Ficko, ­einem linken Fanzine: Wie groß sind die thematischen Überschneidungen zur ­Musik?
Der Übergang zu Ficko ist inhaltlich fließend, wenn ich auch mitunter Rollenkonflikte habe. Auf einer Bühne oder in Interviews mit Rapmedien weiß ich, dass ich nicht unbedingt zu Leuten spreche, die sich den ganzen Tag mit Politik beschäftigen. Und ich bin eben auf der Bühne nicht zuallererst nur politisch, sondern auch im weiteren Sinne Unterhalter. Was aber okay ist, ich verstehe unter Haltung auch den Hang zur Unterhaltung. Auch so ein deutsches Problem, dass Unterhaltung als unernst oder Witze als nicht ernst zu nehmen verstanden werden. Der Anspruch des Magazins ist, gute Sachen zu fördern und schlechte Sachen zu bekämpfen. Und darüber nachzudenken, was in diesem riesigen Spannungsfeld überhaupt gut oder schlecht oder weder noch ist. Ich weiß, das ist teilweise philosophisch problematisch, etwas gut zu nennen, normativ, blabla. Aber darüber kann man ja auch sprechen. Auch sich selbst als Gutmenschen zu bezeichnen und diesen Begriff umzudeuten, ist ein radikaler, souveräner Akt der Zynismussubversion und Coolnessdekonstruktion. Ein Gutmensch ist unserer Definition nach ein Mensch, der sich größtmögliche Mühe gibt, kein Arschloch zu sein. Wer sich dafür zu cool ist, hat ein Problem mit seinem Selbstbewusstsein.
Irgendwo hast du gesagt, man müsse wissen, wann die Zeit ist zu tanzen, zu singen oder zuzuschlagen. Wo möchtest du eingreifen? Bei den Montagsdemos?
Also richtig physisch zuschlagen finde ich eigentlich nur so richtig legitim, wenn man angegriffen wird oder wenn man, wie beim rassistischem Übergriff am 10. März in Mainz, damit anderen Angegriffenen zu Hilfe eilt und ihr Leben rettet. Aber es gibt ja noch andere Aktionsformen. Bei den Montagsdemos haben wir tatsächlich ziemlich lang versucht, mit Argumenten etwas zu erreichen. Hat nichts gebracht. Leider hilft man ihnen ja, wenn man zu hart draufhaut, weil es ja doch ein bisschen Denkarbeit braucht, die Problematik daran zu erklären. Also müssen wir weiter beobachten, vielleicht zerlegen sie sich ja selbst irgendwann. Und wenn nicht, hilft alles nichts und man muss eben aufklären, diskutieren, beweisen und sachlich bleiben. Ich schaffe das selbst auch nicht immer, aber Ignorieren wird nicht helfen. Die Leute mit nicht regressiver Systemkritik sollten sich aber auch fragen, wieso ihre Argumente nicht so stark kursieren. Liegt vielleicht neben der Komplexität auch daran, dass zu viele den Großteil der Gesellschaft gar nicht als zu gewinnende Gruppe sehen, sondern als – wenn überhaupt – zu belehrenden Feind. Und dann über Erfolglosigkeit jammern.
Gerade was die montägliche Verbindung mit dem in manchen HipHop-Kreisen verbreiteten Killuminati-Facebook-Antisemitismus angeht, wird das Problem die nächsten Jahre eher noch größer werden. Nur Panikmache hilft nicht, beharrliche und am besten für andere gut nachvollziehbare Kritik aber schon.
Was ist wichtiger für dich: Musik oder Handeln?
Wahrscheinlich ist mir tief drin die Musik sogar wichtiger, die anderen Dinge sind oft eher Notwehr und Trotz. Es kann einfach nicht sein, dass um 17 Uhr am Mainzer Hauptbahnhof ein Schwarzer unter rassistischen Rufen von einem zufälligen Passanten fast getötet wird, aber nichts passiert. Polizei, Staatsanwaltschaft, Lokalpresse, alle leugnen den Rassismus. Oder die europäische Flüchtlingspolitik, oder die Firma Neger in Mainz mit ihrem Logo und und und …
In der Musik bin ich viel freier und kann auch irrational sein, bei Ficko muss ich ja zwangsläufig nachvollziehbar und eindeutig bleiben, sonst klappt das nicht. Ich will aber beides nicht aufgeben. Manche Dinge lassen sich besser in einem Text erklären, manche sind in einem Lied besser aufgehoben.

Form/Prim: Es gibt ein richtiges Leben im falschen: meins. (Springstoff)