Die Fraktionsbildung der Rechtsextremen im Europaparlament ist gescheitert

Keine Allianz fürs Leben

Die Bildung einer rechtsextremen Fraktion im Europaparlament ist gescheitert.

Am Montag kurz vor Mitternacht war es amtlich: Es wird keine rechtsextreme Fraktion im Europaparlament rund um Marine Le Pen vom französischen Front National (FN) und Geert Wilders von der niederländischen »Partei für die Freiheit« (PVV) geben. Bis Dienstag hätten die fünf Parteien, die der seit November geschlossenen Allianz angehören, zur Fraktionsbildung vor der konstituierenden Sitzung des Europaparlaments Zeit gehabt. Wäre ihnen die Fraktionsbildung gelungen, hätten sie während der fünfjährigen Legislaturperiode des Europaparlaments zwischen 20 und 30 Millionen Euro an zusätzlichen Zuwendungen erhalten können. Am späten Montagabend sagte der stellvertretende Vorsitzende des FN, Florian Philippot, dem Radiosender Europe 1, dieser seiner Ansicht nach »vorläufige Misserfolg« sei nicht weiter schlimm, schließlich könne man im Laufe der Legislaturperiode noch weitere Versuche unternehmen.

Gescheitert ist die Fraktionsbildung letztlich an der Anzahl der vertretenen Länder, nicht an den erforderlichen Mandaten. Man hätte mindestens 25 Sitze benötigt, allein der FN hatte ursprünglich 24 Sitze. Nach dem Rückzug der Europaparlamentarierin Joëlle Bergeron, die nach Auffassung ihrer Partei zu moderate Standpunkte vertrat – sie wollte das kommunale Wahlrecht für Ausländer nicht ausschließen – und vom FN vergeblich zur Rückgabe ihres Mandats aufgefordert wurde, blieben für den FN noch 23 Sitze. Doch die Statuten des Europäischen Parlaments sehen vor, dass eine Fraktion aus Abgeordneten von min­destens einem Viertel der Mitgliedsstaaten, also sieben Ländern, bestehen muss.
Der FN und die PVV erreichten zusammen mit ihren Verbündeten – der österreichischen FPÖ, der italienischen Lega Nord und dem belgischen Vlaams Belang – nur eine Allianz von Vertretern aus fünf Staaten. Ursprünglich hatten sie sieben Parteien aus verschiedenen Ländern für die geplante Fraktionsbildung zusammenbringen können. Aber die »Slowakische Nationalpartei« (SNS) von Ivan Gašparovič scheiterte am 25. Mai beim Wiedereinzug ins Europaparlament. 2009 hatte sie mit einem Stimmenanteil von 5,6 Prozent einen Sitz im Parlament errungen, 2014 erreichte sie nur 3,6 Prozent. Ferner zogen sich die »Schwedendemokraten« (SD), die der Allianz von Marine Le Pen und Geert Wilders bis dahin angehörten, nach der Europaparlamentswahl zurück. Die bei ihrer Gründung 1988 ursprünglich deutlich neonazistisch ausgerichtete Partei, versucht sich mittlerweile »gemäßigt« zu präsentieren. Bei der am 14. September dieses Jahres stattfindenden Parlamentswahl in Schweden wollen sie ihren Stimmenanteil ausbauen, ein Bündnis mit Neofaschisten anderer Länder könnte potentielle Wähler verschrecken.

Als Reaktion auf den Verlust zweier Bündnispartner versuchte Marine Le Pen, neue Fraktionsmitglieder zu gewinnen. Dazu zählte die litauische Partei »Ordnung und Gerechtigkeit« (TT), doch diese verbündete sich mit dem rechtsbürgerlichen britischen Nationalisten Nigel Fa­rage von der »Unabhängigkeitspartei des Vereinigten Königreichs« (Ukip). Gegen einen anderen möglichen Alliierten legte Geert Wilders sein Veto ein: Der Vorsitzende der polnischen Partei »Kongress der Neuen Rechten« (KPN), der 72jährige Janusz Korwin-Mikke, erschien ihm zu offen antisemitisch. Korwin-Mikke hatte unter anderem erklärt, würde Adolf Hitler heutzutage ein Prozess gemacht, »müsste man ihn freisprechen«. Dem britischen Nationalisten Farage gelang es unterdessen am Donnerstag voriger Woche, eine eigene Fraktion im künftigen Europaparlament zu präsentieren. Gebildet wurde sie mit Abgeordneten aus den erforderlichen sieben Mitgliedsländern der EU, unter ihnen die »Schwedendemokraten« sowie die vom FN verstoßene Abgeordnete Joëlle Bergeron. Hinzu kommt unter anderem die »Fünf-Sterne-Bewegung« des italienischen Komikers Beppe Grillo. Offen neonazistische Parteien wie NPD, Jobbik und die »Goldene Morgenröte« werden im Europaparlament keiner Fraktion angehören.
Erschwert worden waren die Gespräche in Brüssel und Straßburg für Marine Le Pen wohl auch durch die jüngsten Ausfälle ihres Vaters, Jean-Marie Le Pen, dem Gründer des FN. Er vertritt die These, würde der FN »zu nett«, würde er langweilig und »interessiere niemanden«, deswegen bedürfe es bisweilen der Polemik. Seine Tochter setzt hingegen eher auf einen bürgerlichen Habitus. Eine Zeitlang konnten beide Richtungen arbeitsteilig koexistieren, nun aber scheint diese Strategie an ihre Grenzen zu stoßen. Am 6. Juni publizierte Jean-Marie Le Pen eine seiner berüchtigten Videobotschaften im Internet. Dieses Mal schlug er übermäßig über die Stränge. Über den FN-kritischen Sänger Patrick Bruel – er hatte kürzlich erklärt, nicht in rechtsextrem regierten Kommunen auftreten zu wollen – und andere Gegner seiner Partei äußerte er: »Beim nächsten Mal machen wir ›une fournée‹ mit denen.« Wörtlich bedeutet »une fournée« »eine Ofenladung«, der Ausdruck kann aber auch im Sinn von »mehrere Leute in einem Aufwasch abhandeln« übersetzt werden. Es muss angenommen werden, dass Jean-Marie Le Pen in voller Absicht mit dieser Doppeldeutigkeit spielte. Dieses Mal wurde es auch einigen Parteioberen des FN zu viel. Die amtierende Vorsitzende, Marine Le Pen, sprach von einer »politischen Verfehlung« – allerdings nicht wegen des Antisemitismus, sondern weil ihr Vater die angeblich böswillige Interpretation des Ausspruchs durch seine Gegner »nicht vorausgesehen« habe. Ihr Lebensgefährte, der stellvertretende Vorsitzende des FN, Louis Aliot, sprach von einer »Dummheit« und bezeichnete Jean-Marie Le Pens Ausspruch als »konsternierend«. Der parteilose, aber für den FN gewählte Parlamentsabgeordnete Gilbert Collard riet Jean-Marie Le Pen, nun endlich »in Rente zu gehen«.

Eine aktuelle Umfrage gelangt zu dem Ergebnis, dass mittlerweile 91 Prozent der Französinnen und Franzosen eine negative Meinung von Jean-Marie Le Pen haben. 81 Prozent der Befragten und sogar 74 Prozent der Anhänger des FN betrachten ihn inzwischen als »Klotz am Bein« der Partei. 45 Prozent der befragten Franzosen wären grundsätzlich bereit, für den FN zu stimmen. Allerdings erklärten 43 Prozent, der Tochter Marine Le Pen nahezustehen, nur zwei Prozent bevorzugen ihren Vater.
Der FN beschreitet unterdessen einmal mehr ungewöhnliche Wege. Beim jüngsten Eisenbahnerstreik in Frankreich (Jungle World 25/2014) ging die Partei strategisch klug vor: Der FN unterstützte zwar nicht die Gewerkschaften CGT und SUD und erklärte zudem, den Unmut vieler Leute über den Transportstreik zu verstehen, allerdings wendete er den Zorn nicht gegen die Beschäftigten, sondern gegen die Europäische Union, die an allem schuld sei und die Bahnreform erzwinge. Im gleichen Atemzug bemüht sich die extreme Rechte, die Gewerkschaften zu umgehen, indem sie sich radikaler als jene gibt. Innerhalb der Bahngesellschaft SNCF seien die Gewerkschaften »Komplizen« der Direktion, befand der FN und rief zur Bildung von »Komitees zur Verteidigung des öffentlichen Dienstes« auf. Die Gründung solcher Komitees wäre ein zwiespältiges politisches Instrument, denn sie könnten bei Bedarf gegen Regierungspläne und gegen eine Zerschlagung der Bahn eingesetzt werden, aber auch gegen Streiks als »Bedrohung für die Dienstleistung«.