Italienische Querfront-Politik

Weder links noch Mitte

Die italienische Fünf-Sterne-Bewegung von Beppe Grillo erweist sich durch das Bündnis mit der britischen Ukip endgültig als rechte Partei. Doch auch Italiens Ministerpräsident Matteo Renzi vetritt eine eher rechte, marktliberale Politik.

Wer Beppe Grillos Ankündigung, er werde sich aus der Politik zurückziehen, sollte der Movimento 5 Stelle (M5S) die Europawahlen in Italien nicht gewinnen, als Wahlversprechen auffasste, wurde enttäuscht. Ein Foto mit Nigel Farage, dem Vorsitzenden der britischen United Kingdom Independence Party (Ukip), kündigte bereits zwei Tage nach dem für die Fünf-Sterne-Bewegung enttäuschenden Wahlausgang die neue Bündnisstrategie des Komikers an. Das Treffen mit dem britischen EU-Kritiker in Brüssel offenbarte endgültig den Rechtspopulismus, der das Politunternehmen M5S seit jeher charakterisierte.
Als Farage am Mittwoch vergangener Woche die Neukonstitution seiner bisherigen Fraktion »Europa der Freiheit und der Demokratie« (EFD) bekanntgab, bejubelte Grillo die Nachricht als »großen Sieg«. In seinem Blog nannte er das Fraktionsbündnis mit der Ukip, den rechten »Schwedendemokraten«, der litauischen Rechtspartei »Ordnung und Justiz« und einzelnen rechten Abgeordneten aus Lettland, Tschechien und Frankreich »phantastisch«.
Überraschend deutlich hatte Grillo die zum inneritalienischen Zweikampf mit Ministerpräsident Matteo Renzi stilisierte Europawahl verloren. Zwar konnte sich M5S mit 21 Prozent als zweitstärkste politische Kraft etablieren, blieb aber weit hinter Renzis Demokratischer Partei (PD) zurück, die auf knapp 41 Prozent kam. In einer ersten Videobotschaft an das undankbare Wahlpublikum zeigte sich Grillo säuerlich, theatralisch schluckte er vor laufender Kamera Magenschmerztabletten. Auf Kritik an seinem Treffen mit Farage reagierte er wenige Tage später schon wieder gewohnt kämpferisch. Anlässlich der Online-Befragung der M5S-Mitglieder über die zukünftige Positionierung ihrer 17 Europaabgeordneten bewarb er Farage auf seinem Blog als »geistreich und nicht rassistisch«.
Wie von Grillo gewünscht, sprach sich Mitte Juni eine Mehrheit von 78 Prozent der teilnehmenden Parteimitglieder für ein Bündnis mit der Ukip aus. Nur einige Tausend M5S-Mitglieder stimmten für einen Beitritt zur Fraktion der Europäischen Konservativen und Reformisten (ECR) oder wünschten sich, der M5S möge fraktionslos bleiben. Allerdings hatte sich von den rund 100 000 Abstimmungsberechtigten nur knapp ein Viertel an der eintägigen Online-Abstimmung beteiligt. Da die Auswahlmöglichkeiten eingeschränkt wurden, kritisierten viele die Abstimmung als von Grillo und seinem Marketingstrategen Gianroberto Casaleggio »gelenkt«. Diejenigen, die offen protestierten, hätten sich aufgrund der umwelt- und energiepolitischen Ziele des M5S ein Fraktionsbündnis mit den europäischen Grünen gewünscht. Die EFD verstehe sich als reines »Zweckbündnis«, versuchte Grillo zu beschwichtigen: der Fraktionsstatus garan­tiere den größtmöglichen Einfluss innerhalb des Parlaments, es bestehe aber kein Fraktionszwang. Tatsächlich unterscheiden sich beide Gruppen weniger, als der Streit um die umweltspezifischen Themen vermuten lässt. Farages und Grillos Ansprachen kennzeichnet ein homophober, misogyner, chauvinistischer und fremdenfeinlicher Doktus, den die linken Wählerinnen und Wähler der Fünf-Sterne-Bewegung bisher stets verharmlosten oder leugneten.

Mit dem Slogan »Weder rechts noch links« hat Grillo den M5S von Anfang an von den etablierten politischen Parteien abgegrenzt und sich ein in der Empörung vereintes Publikum und Wahlvolk geformt. Die Einheit jenseits der traditionellen politischen Fronten gründet in der bornierten Überhöhung des eigenen »Territoriums«, in der Aufwertung der »Gemeinschaft«, der Ausbildung einer Art von basisorientiertem Nationalismus. Auch im Europawahlkampf fusionierte Grillo einmal mehr Schlagworte der linken, globalisierungskritischen Bewegungen mit genuin rechten Themen. Seine Hetzreden gegen die sogenannte Troika aus Europäischer Kommission, Europäischer Zentralbank und Internationalem Währungsfonds, die die vermeintlich nachhal­tige Produktion des Labels »Made in Italy« zerstörten, bedienten gleichermaßen rechte und linke Ressentiments. Neben der Verteidigung nationaler Interessen korrespondiert auch Farages rigide immigrationsfeindliche Politik mit den Ansichten vieler Wählerinnen und Wähler Grillos. Bei einer Online-Befragung im Januar hat sich zwar eine Mehrheit der abstimmungsberechtigten M5S-Mitglieder für die Abschaffung des Straf­tatbestands der illegalen Einwanderung ausgesprochen, das kann aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Forderung nach einer Zuwanderungsbeschränkung unter der M5S-Wählerschaft konsensfähig ist. Nicht zuletzt deshalb haben sich Grillo und Casaleggio damals von der Entscheidung ihrer Basis distanziert und sorgten jüngst durch gezielte Wahlvorgaben dafür, dass es der im Netz aktiven Minderheit nicht gelingen würde, die von ihnen gewünschte Bündnisstrategie mit der rechtspopulistischen EFD-Fraktion zu torpedieren.

Die Ergebnisse der gleichzeitig mit der Europawahl stattfindenden Kommunalwahlen haben gezeigt, dass der M5S nur dort gegen die Demokratische Partei bestehen kann, wo er die Stimmen des nach dem juristisch erzwungenen Abgang Silvio Berlusconis geschwächten und vielfach zerstrittenen ehemaligen Rechtsbündnisses für sich gewinnen konnte. Grillo und Casaleggio können das Logo M5S derzeit also nur durch eine Radikalisierung ihrer rechtspopulistischen ­Positionen gewinnbringend vermarkten, in direkter Konkurrenz zur rechtsextremen Lega Nord. Die vermeintlich rechtsliberalen Kräfte und das konservativ-katholische Zentrum votieren mittlerweile mehrheitlich für Renzis PD.
Das gute Abschneiden der Demokratischen Partei bei der Europawahl markiert nicht den ersehnten Sieg der sozialdemokratischen Linken, sondern den Triumph der vom Ministerpräsidenten verkörperten besseren Rechten. Renzi versteht sich wie Grillo auf populistische Rhetorik, doch anders als dieser beschränkt er sich nicht auf den Protest. Seine Forderung nach einer »Verschrottung« des bisherigen politischen Systems verbindet sich mit der Ankündigung weitreichender »Reformen«. In der Nachfolge Berlusconis, mit dem ihn eine offen bekundete, wechselseitige Sympathie verbindet, vertritt Renzi die neoliberale Ideologie des Selbstunternehmertums. Die Reformvorschläge zielen nicht auf Umverteilung, sondern auf die Durchsetzung des nach ökonomischer Leistung selektierenden Prinzips in allen gesellschaftlichen Bereichen.

Die Hoffnung der französischen Sozialisten, mit Renzis Demokraten eine gemeinsame Front gegen die von der deutschen Regierung erzwungene Austeritätspolitik aufzubauen, wurde spätestens am Wochenende auf dem Treffen der europäischen sozialistischen und sozialdemokratischen Regierungs- und Staatschefs in Paris zunichte gemacht. Dem in christdemokratischer Tra­dition sozialisierten Renzi ist die sozialistische Parteienfamilie seit jeher suspekt, er buhlt um die Gunst Angela Merkels. Deshalb ließ er das Programm für die EU-Ratspräsidentschaft, die Italien Anfang Juli übernimmt, von seinem Staatssekretär direkt in Berlin aushandeln. Offen bekannte Sandro Gozi bereits vor einigen Tagen, dass es nie um eine Neuverhandlung des Fiskalpakts ging. Der Vorschlag, einen Zeitaufschub beim Abbau des Haushaltsdefizits an einschneidende Strukturreformen zu knüpfen, kommt Renzis Regierungsplänen entgegen. Er wird dieses vermeintliche Zugeständnis in Italien als »Kursänderung« verkaufen.