Der Verfassungsschutzbericht

Weder NSU noch NSA

Wer einen kennt, kennt alle. Das gilt auch für die alljährlichen Verfassungsschutzberichte. Manchmal allerdings gibt es kleine, aber feine Abweichungen.

»Wir sind ein Dienstleister für Demokratie«, schreibt auf der Website des Bundesamts für Verfassungsschutz (BfV) der Amtsleiter Hans-Georg Maaßen. In einer »Dienstleistungsgesellschaft« soll man sich darunter wohl etwas vorstellen können. Hält das Amt bei Bedarf vielleicht Nationalhymnen, Räumungsbeschlüsse und Ausweisungsverfügungen, chemische Keulen und elektronische Fußfesseln bereit? Falsch, der Verfassungsschutz liefert »Erkenntnisse« mit der ganzen Bescheidenheit einer staatsbürgerlichen Beamtenseele: »Er kann keinen erschöpfenden Überblick geben, sondern unterrichtet über die wesentlichen Erkenntnisse.« Und das sind »Erkenntnisse und Analysen zum politischen Extremismus (Rechts- und Linksextremismus, Ausländerextremismus sowie Islamismus bzw. islamistischer Terrorismus), zur Spionageabwehr und zur Scientology-Organisation.«
Trotz dieser Bescheidenheit stellt die alljährliche Veröffentlichung des Verfassungsschutzberichts ein an Selbstzufriedenheit kaum zu überbietendes Ritual des deutschen Staates, seiner konformistischen Massenmedien und seiner schäfisch blökenden Wählergemeinschaft dar. Das war auch nicht viel anders, als hierzulande noch eine radikale Linke existierte: Wer es geschafft hatte, im Bericht erwähnt zu werden, konnte voll des Stolzes auf einen revolutionären Meisterbrief verweisen und wurde endlich einmal öffentlich als Subjekt wahrgenommen. Seit Jahren nun das Ewiggleiche: Linksextremisten steigen ab, Rechtsextremisten steigen auf, stagnieren, steigen wieder auf, um dann wieder zu stagnieren. Und alle, besonders die absteigenden Linksextremisten, werden Jahr um Jahr brutaler. Dennoch gab es diesmal Besonderes: die »Syrien-Heimkehrer«, wie deutsche Medien engagierte junge Männer bezeichnen, die heimische Leitartikel über den syrischen Bürgerkrieg im Sinne ihrer Autoren verstanden hatten, nämlich als Aufruf zum gewaltsamen Sturz des Assad-Regimes. Dummerweise waren die Heißsporne gleich zum Islam konvertiert, was die Gefahr birgt, die nahöstlich Frustrierten könnten sich, trotz irakisch erweiterten Betätigungsfeldes, hierzulande an unislamischen Objekten schadlos halten.
Aufmerksamkeit erregt stets auch das willentlich Unerwähnte, um dessen Existenz freilich alle wissen. Das Vorgehen des Verfassungsschutzes bei den unter dem Kürzel NSU verhandelten Morden wird mittlerweile von jedem Provinzblatt als »Verharmlosung« und »Vertuschung« bezeichnet. Sogar wer von »Beteiligung« redet, hat bisher – wohl aus gutem Grund – keine strafrechtlichen Folgen zu erwarten. Im Verfassungsschutzbericht wird der NSU nicht erwähnt, wenngleich der »Dienstherr«, Innenminister Thomas de Maizière (CDU), bei der öffentlichen Präsentation Nebelhaftes über einen »Einschnitt« mit Folgen für »Kultur, Mentalität und Struktur« ausbreitete.
Wer NSU sagt, sollte auch NSA sagen: Den bislang unwiderlegten Dokumenten Edward Snowdens zufolge müssten sich die NSA-Abhörprotokolle auch auf die NSU-Untersuchungen und Vertuschungen deutscher Dienste beziehen. De Maizière stellte dazu fest, man habe in Sachen NSA nichts berichtet, weil es nichts zu berichten gebe – wie der »Dienstleister«, so der »Dienstherr«.