Marius Jung im Gespräch über sein »Handbuch für Negefreunde«, critical whiteness und politisch korrekte Sprache

»Da habe ich einen Nerv getroffen«

Im vorigen Jahr erschien das Buch »Singen können die alle. Handbuch für Negerfreunde« von Marius Jung im Carlsen-Verlag. Es wurde Anfang diesen Jahres vom Referat für Gleichstellung und Lebensweisenpolitik des Leipziger Student_innenRats mit dem Negativpreis »Der Preis ist heiß* – oder auch nicht« ausgezeichnet. Nach einer kontroversen öffentlichen Debatte schrieb das Referat für Gleichstellung und Lebensweisenpolitik am 18. Juni, die Prämierung habe »sich auf rassistische Inhalte der Werbemaßnahme« bezogen und man wolle »nicht den Inhalt des Buches oder den Umgang des Autors mit seiner (Rassismus-)Erfahrung in Frage stellen oder kritisieren«. Der 1965 geborene Marius Jung arbeitet als Schauspieler und Kabarettist.

Haben sie schon mal was von critical whiteness gehört?
Critical whiteness? Nein, das habe ich tatsächlich noch nicht gehört.
Bei critical whiteness geht es darum, seine Privilegien als nicht vom Rassismus Betroffener zu reflektieren und Rassismus zu bekämpfen. Jetzt sind Sie selbst zum Rassisten erklärt worden. Wie fühlt sich das an?
Ich bin es ja nicht, ich bin da reinen Herzens. Ich sehe die Thesen meines Buches in der Art des Umgangs damit bestätigt. Die political correctness geht nicht in erster Linie auf eine Haltung ein, sondern auf Worte, und genau das ist hier passiert. Da hat jemand auf meinem Buch das Wort »Neger« gelesen und der Pawlowsche Reflex hat dafür gesorgt, dass sofort laut »Rassismus!« gerufen wurde und völlig unreflektiert ein Preis verliehen wurde an mich und meinen Verlag. Das zeigt mir, dass wir reflektierter sein müssen und Haltungen hinterfragen sollten. Natürlich muss man über Begriffe diskutieren, aber tabuisieren bringt überhaupt gar nichts.
Sie haben mal gesagt, man solle das umstrittene Wort so lange benutzen, bis man darüber lachen kann. Betroffene könnten sich davon angegriffen fühlen, das wurde etwa im Zuge der Debatte über Kinderbücher deutlich. Damals hatten sich viele Menschen über den Begriff »Neger« in Kinderbüchern beschwert.
Ja, das ist richtig. Allerdings steht mein eben genannter Rat etwas anders in meinem Buch. Man soll mit dem Wort niemanden titulieren, sondern es so oft benutzen, bis es seinen Schrecken verliert. Es geht mir darum, dass wir nicht anfangen, das Böse in ein Wort derart hineinzuprojizieren, dass das Wort selbst zum Bösen wird. Ein Wort an sich ist nicht böse, sondern der, der es benutzt und mit einer entsprechenden Bedeutung belegt. Das Wort »Neger« ist einfach der vergiftete Apfel. Deswegen sind Äpfel nicht grundsätzlich etwas Schlechtes, sondern dieser Apfel ist vergiftet, und deshalb sollte man das Wort heute nicht mehr benutzen. Jeder, der mein Buch gelesen hat – und sei es nur die erste Seite –, weiß, dass ich ganz klar sage: Das Wort »Neger« ist inzwischen rassistisch eingefärbt und sollte deshalb von weißen Menschen nicht benutzt werden. In meinem Buch positioniere ich mich deutlich und gehe differenziert damit um. Ich bin es allerdings etwas leid, dass Leute zu mir kommen und mir vorschreiben, wie ich mich zu benennen habe, und mich vor mir selber schützen wollen.
Im Kölner Stadtanzeiger heißt es über Ihre Person, sie seien »selber Neger«. Stört sie das?
Nein, tatsächlich nicht. Mir ist es wichtig, dass die Menschen, die mit mir umgehen, Respekt vor mir haben. Wenn sie den Begriff benutzen, ist es mir wichtig, dass die Haltung dahinter stimmt. Das ist so lange okay, wie das nicht aus rassistischen Motiven heraus passiert. Das tun viele übrigens in ironischer Form, wenn sie über mich reden, neuerdings bin ich bei denen aber nur noch »der Rassist«.
Wie schätzen sie die deutsche Gesellschaft ein? Gibt es ein großes Rassismusproblem oder wird vieles eher aufgebauscht?
Den Begriff »Rassismusproblem« finde ich schwierig. Wir müssen so etwas wie Rassismus in seiner Struktur betrachten, um es zu verstehen. Die Struktur ist eigentlich ganz einfach: Jedwede Gruppe, die diskriminiert wird, wird es, damit sich andere stärker fühlen beziehungsweise andere ihre Unsicherheit in den Griff kriegen. Ob das nun ein Mensch mit Behinderung ist, ob das eine Frau ist, ob das ein Mensch aus einem anderen Land ist. Da projizieren wir dann unsere Ängste hinein. Oder wenn wir uns die Faschos anschauen, die nicht nur in Deutschland, sondern europaweit mehr werden: Da spielen Dinge wie Wirtschaftsängste und die Angst davor, das eigene Leben nicht mehr in den Griff zu kriegen, eine Rolle.
Ja, es gibt Rassismus! Aber der ist oft so unterschwellig, dass die Menschen dann selber nicht verstehen, dass sie gerade rassistisch sind. Das habe ich auch anhand der vielen Mails, die ich wegen meines Buches bekommen habe, gemerkt. Das hat mir gezeigt, dass man Rassismus aufbrechen kann, indem man ein paar Gags darüber macht. Dann merken viele Leute: Oh, das wusste ich ja gar nicht. Es gibt ganz viele Sachen, die erleben wir immer wieder. Als Schwarzer wird man gerne gefragt, ob man Gras zu verkaufen hat. Man bekommt Komplimente dafür, dass man Deutsch kann. Das sind ja alles Dinge, die letztendlich rassistisch sind, was aber an sich erst mal nicht schlimm ist. Ein Vorurteil ist so lange nicht schlimm, wie ich es revidieren kann.
Mir geht es übrigens auch so. Kürzlich habe ich einen Schwarzen getroffen, der ein traditionelles Kostüm trug. Ich habe ihn automatisch auf Englisch angesprochen und dachte, wenn der Deutsch spricht, dann spricht er gebrochenes Deutsch. Für mich sah er aus, als sei er gerade dem Flieger entstiegen. Fakt war: Er hat tief Bayerisch gesprochen! Da wurde ich zwar überrascht, aber ich bin ja auch respektvoll auf den Mann zugegangen und habe ihn nicht angesprochen wie einen Einzeller. Rassismus wird es so lange geben, wie es Menschen gibt, die verunsichert sind und die zu wenig Wissen haben über die, die sie rassistisch behandeln.
Sie wollen mit ihrem Buch ein Bewusstsein für Rassismus schaffen. Für wen haben sie das Buch geschrieben?
Eigentlich für alle Menschen. Wir alle treffen Menschen, die uns fremd vorkommen oder die wir nicht richtig einschätzen können, da sie einen anderen kulturellen Hintergrund haben könnten. Wenn man irgendwo auf dem Dorf lebt, hat man das mit Sicherheit weniger. Da leben weniger Ausländer, etwa in der Eifel oder im Bayerischen Wald. Aufgrund dessen glaube ich, dass es für jeden interessant ist, weil jeder mit Menschen zu tun hat, die anders sind.
Sie sind nicht der einzige Künstler, der mit den Mitteln der Selbstironie die political correctness angreift. Ist jemand wie Serdar Somuncu für sie auch eine Inspiration gewesen?
Ich kenne Serdar persönlich und ich mag sehr, was er macht. Er geht da völlig anders heran als ich, er ist viel provokanter. In seinem Programm »Der Hassprediger« ist es auch noch mal anders. Dort spielt er eine klare Rolle, die noch viel extremer sein kann, weil diese Figur das erlaubt. Eine Inspiration ist er schon für mich, weil er mit vielem sehr mutig ist. Und ich merke jetzt, dass ich für vieles, was ich ursprünglich gar nicht für so mutig gehalten habe, hart angegriffen werde. Aber es prallt an mir ab, wenn mich jemand als Nazi bezeichnet. Ich merke an der Aufregung dieser Menschen: Da habe ich einen Nerv getroffen. Was ich mit meinem Buch geschafft habe – und das hätte ich ehrlich nicht gedacht –, ist, dass ich die Debatte wieder angeregt habe. Mehr kann man sich wirklich nicht wünschen.
Ihr Verlag unterstellt dem Leipziger Student_innenRat nun seinerseits Rassismus. Dieser suggeriere, viele Schwarze wären nicht in der Lage, Satire zu erkennen und könnten sich daher von ihrem Buch diskriminiert fühlen. Hat Ihr Verlag recht?
Das ist ein grundsätzliches Ding, was ich Leuten unterstelle, die sich für Schwarze einsetzen wollen, indem sie für sie denken. Die mich vor mir selber retten wollen, die mir unterstellen, ich würde mich zum Objekt machen. Das ist eindeutig rassistisch, da sie davon ausgehen, dass ich das scheinbar nicht abstrahieren kann und mir das nicht bewusst mache. Ganz abgesehen davon, dass sie, mit Verlaub, Satire nicht verstehen. Diese Formulierung und die Sichtweise ist nicht nur beim Verlag entstanden. Es gibt einen offenen Brief eines schwarzen Deutschen an den Student_innenRat. In dem ist das sehr klar formuliert. Er sagt, ich als Schwarzer fühle mich beleidigt und spüre Rassismus auf der Gegenseite dadurch, dass ich nicht selbst entscheiden kann, wann ich getriggert werde und wann ich Satire verstehe.
Unterm Strich hat sich die ganze Debatte für Sie ja gelohnt. Man kann wohl davon ausgehen, dass Sie in Zukunft ebenfalls weniger zimperlich agieren?
Ich habe mir beim Schreiben sehr genau Gedanken gemacht, wie ich das Buch nenne. Das sind Sachen, die viel diskutiert wurden. Ich habe auch Begriffe reingeschrieben, die ich später wieder rausgestrichen habe. Ich wusste, dass es ein sensibles Thema ist. Gleichzeitig war es mir aber auch wichtig, satirisch zu provozieren. Nur die Provokation führt dazu, dass die Leute aufhorchen. Das, was gerade passiert, gibt mir recht. Beim nächsten Mal würde ich wieder genauso vorgehen. Ich muss das Buch in Händen halten und sagen können: Ich stehe zu allem, was da drin steht.