Indonesien vor den Präsidentschaftswahlen

Der General holt auf

Bei den bevorstehenden Präsidentschaftswahlen in Indonesien wird auch über die Demokratie im Land entschieden.

In Indonesien wird am 9. Juli der siebte Präsident des Landes direkt gewählt. Die 190 Millionen Wahlberechtigten müssen sich zwischen dem als moderat geltenden Joko Widodo (genannt Jokowi) und dem ehemaligen General Prabowo Subianto entscheiden. Der Ausgang der Wahl wird Indonesiens Werdegang als neue Demokratie in den nächsten fünf Jahren maßgeblich prägen. Obwohl es im Vergleich zu seinen Nachbarländern wie ein Musterbeispiel der Demokratisierung erscheint, derweil in Thailand erneut das Militär putschte und sowohl Malaysia als auch Singapur Demokratie eher halbherzig praktizieren, ist die Gefahr einer Entwicklung hin zu mehr Autokratie und Zentralismus im Inselstaat mit der weltweit größten muslimischen Bevöl­kerung nicht zu unterschätzen.
Die beiden Kandidaten könnten nicht unterschiedlicher sein. Prabowo, Sprössling einer der politisch und wirtschaftlich einflussreichsten Dynastien Indonesiens, strebte zuerst eine Karriere beim Militär an. Dank seiner Erfolge als Oberkommandeur der militärischen Spezialeinheit Kopassus im Kampf gegen Unabhängigkeitsbewegungen wie die in Ost-Timor und nicht zuletzt dank seiner Ehe mit der Tochter des damaligen Diktators Suharto gelang ihm ein schneller Aufstieg. Er ist zweifellos ein Produkt der »Neuen Ordnung«. Damit ist die autoritäre Herrschaft von 1966 bis 1998 unter Suharto gemeint, der dem Land zwar zu wirtschaftlichem Aufschwung verhalf, aber jegliche Opposition gewaltsam unterdrücken ließ. Auch für das Massaker an mindestens 500 000 Kommunisten und anderen Linken 1965 und 1966 war er verantwortlich.
Prabowo war seinem Schwiegervater dabei behilflich, unliebsame Oppositionelle loszuwerden. Bis heute fehlt von Dutzenden studentischen Aktivisten, die in das Visier des Suharto-Regimes geraten waren, jegliche Spur. Unmittelbar nach dem Rücktritt Suhartos im Mai 1998 entließ dessen Nachfolger, Bacharuddin Jusuf Habibie, Prabowo unehrenhaft aus dem Militär. Ihm wurden Putschabsichten vorgeworfen, ­daraufhin tauchte er für kurze Zeit im Ausland unter.

Seit 2000 bemüht Prabowo sich um ein politisches Comeback. Von Anfang an hatte er es auf das Amt des Präsidenten abgesehen. Bereits 2004 wollte er als Präsidentschaftskandidat für die ehemalige Suharto-Partei Golkar antreten, was aber misslang. Daraufhin gründete er seine eigene Partei, »Bewegung für ein Groß-Indone­sien« (Gerindra), die mit nationalistischen und globalisierungskritischen Tönen vor allem ärmere Wählerinnen und Wähler erreichen will. Ob die im Wahlkampf versprochenen Subventionen im Falle eines Wahlsieges wirklich beschlossen würden, ist aber höchst fraglich. Als Gerindra 2009 erstmals bei der Wahl antrat, erreichte die Partei nur 4,45 Prozent der Stimmen. Im selben Jahr ließ sich Prabowo als Kandidat für das Amt des stellvertretenden Präsidenten aufstellen, konnte aber die Wählerschaft nicht von sich überzeugen. Doch dieses Mal sind seine Chancen deutlich besser, nicht zuletzt Dank der enormen Geldsummen, die sein jüngerer Bruder, Hashim Djojohadikusumo, einer der reichsten und dubiosesten Geschäftsmänner Indonesiens, für seine Kampagnen bereitgestellt hat. Wenngleich Gerindra bei den vergangenen Parlamentswahlen im Mai nur 11,8 Prozent erzielte, konnte Prabowo danach die Unterstützung von vier anderen Parteien für seine Kandidatur als Präsident gewinnen – nämlich von Golkar und den drei islamistischen Parteien PAN, PKS und PPP.
Jokowi ist das genaue Gegenteil des als erratisch und cholerisch geltenden Prabowo. Er steht für Bescheidenheit und »saubere Politik« statt Prunk und Paraden. Seine politische Karriere begann erst nach dem Ende der »Neuen Ordnung«, zuvor war er Möbelfabrikant in Solo, einer Stadt in Zentraljava mit etwa einer halben Million Einwohnern. Zweimal wurde er dort zum Bürgermeister gewählt. Während seiner Amtszeit gelang es ihm, die lokale Wirtschaft und den Tourismus zu stärken. Anders als viele seiner Amtskollegen, die sich schamlos durch ihre Privilegien bereicherten und dafür im Gefängnis landeten, machte sich Jokowi keiner Veruntreuungen schuldig. Seine politischen Erfolge vor Ort brachten ihm 2012 nicht nur den dritten Platz beim »World Mayor Prize« ein, sondern er hatte auch bei der Gouverneurswahl in Jakarta Erfolg. Berüchtigt war Jokowi für seine unangemeldeten Besuche in Amtsstuben, um gegen ineffizient arbeitende Beamte vorzugehen. Andere Versprechen, wie eine überschwemmungsfreie Hauptstadt während der Monsunzeit, konnte Jokowi in der kurzen Amtszeit allerdings nicht einlösen. Bei der anstehenden Präsidentschaftswahl hat Jokowi neben seiner eigenen »Demokratischen Partei Indonesiens – Kampf« (PDI-P) auch die Unterstützung der kleineren Parteien PKB und Nasdem.

Wenngleich bisher unklar bleibt, wie Jokowi und sein Vizekandidat Yusuf Kalla, der sich in der selben Position bereits in der ersten Amtsperi­ode des amtierenden Präsidenten Susilo Bambang Yudhoyono einen Namen als erfolgreicher Schlichter bei regionalen Konflikten wie in Aceh und den Molukken gemacht hat, die vielen Probleme Indonesiens lösen wollen, so ist doch ein gemäßigter Kurs zu erwarten. Im Gegensatz dazu machen Prabowo und sein Mitstreiter Hatta ­Rajasa, der ehemalige koordinierende Wirtschaftsminister, keinen Hehl daraus, dass sie die alte Verfassung von 1945 wieder in Kraft setzen wollen. Diese würde dem Präsidenten weitgehende Befugnisse einräumen und diverse staatliche Kontrollmechanismen, von denen viele erst nach dem Ende der »Neuen Ordnung« eingeführt wurden, sowie die dezentralisierte Verwaltung der Provinzen wieder zurücknehmen. Auch die vor relativ kurzer Zeit eingeführten Menschenrechtsgerichtshöfe will Prabowo wieder abschaffen. Stattdessen verspricht er, ein starker Führer zu sein. Juwono Sudarsono, ein ehemaliger Verteidigungsminister, bezeichnete Prabowo als »angehenden Putin«. Gelegentlich wird Prabowo heimlich auch »der Führer« oder »il duce« genannt. Sein Faible für Uniformen zeigte sich wiederholt bei Wahlkampfauftritten, seine Unterstützer tragen provokant NS-Ästhetik zur Schau.
Während es zu Beginn so aussah, als würde Jokowi die Wahl mit Leichtigkeit gewinnen, hat Prabowo in den vergangenen Wochen enorm aufgeholt. Das Geheimnis seiner neuen Popularität liegt nicht nur in den demagogischen Kampagnen, die er mit Hilfe von Hunderten Getreuen in privaten Fernsehsendern und sozialen Medien gegen seinen Kontrahenten führt. Unter anderem wird behauptet, dass Jokowi heimlich Christ sei, was bei der mehrheitlich muslimischen Wählerschaft nicht gut ankommt. Jüngsten Umfragen zufolge kann es am 9. Juli knapp werden.

Sollte Prabowo gewinnen, ist die Demokratie in Indonesien ernsthaft gefährdet. Während in den ersten Jahren nach der »Neuen Ordnung« mittels diverser Reformen das Militär aus der Politik in die Kasernen zurückgedrängt wurde, Pressefreiheit sich etablierte, starke und unabhängigere Medien gegründet und die einzelnen Provinzen weniger von der Hauptstadt aus regiert wurden, kam der Reformprozess bereits in den vergangenen Jahren unter Präsident Yudhoyono weitestgehend zum Stillstand. Zu den dringendsten Problemen zählen die Korruption, die die ­gesamte Gesellschaft durchzieht, soziale Ungleichheit und die fehlenden Nachhaltigkeit bei der Ausbeutung vieler Ressourcen und Bodenschätze. Bedenklich für Indonesiens gesellschaftlichen Zusammenhalt sind aber auch die immer stärkere religiöse Intoleranz gegenüber muslimischen Minderheiten wie den Schiiten und der Ahmadiyah sowie gegenüber christlichen Konfessionen, und die eskalierende Gewalt in West-Papua, dem östlichsten Teil des Archipels, wo seit mehreren Jahrzehnten ein Teil der indigenen Bevölkerung für Unabhängigkeit kämpft.