Berichtet aus der Sperrzone rund um die besetzte Schule in Berlin-Kreuzberg

Faule Tricks in der Sperrzone

Im Konflikt um die von Flüchtlingen ­besetzte Gerhart-Hauptmann-Schule in Berlin-Kreuzberg haben sich Polizei und ­Bezirksverwaltung obskurer Methoden bedient.

Eine Woche nach der versuchten Räumung der ehemals von etwa 400 Flüchtlingen bewohnten Gerhart-Hauptmann-Schule in Berlin-Kreuzberg durch ein Großaufgebot der Polizei lässt sich die Situation nicht gerade als entspannt bezeichnen. Die 40 Flüchtlinge, die sich weigerten, die Schule zu verlassen, harren immer noch dort aus. Ihre Forderung, weiter in der Schule leben zu können und nicht in Heime außerhalb von Berlin abgeschoben zu werden, wurde bisher nicht erfüllt. Es erscheint ausgeschlossen, dass die Ausländerbehörde in Berlin die Asylverfahren von Flüchtlingen aus anderen Bundesländern für eine Einzelfallprüfung übernehmen wird. Die Forderung nach der Abschaffung der Residenzpflicht und einem Bleiberecht für die Flüchtlinge, die in der Schule gelebt haben, bleibt ebenfalls unerfüllt.

»Die Situation ist insgesamt schwierig, denn der Bezirk kann die Forderungen der Flüchtlinge nicht erfüllen. Und das Land Berlin kann das Asylregime Deutschlands mit Residenzpflicht und Arbeitsverbot nicht ändern«, sagt Dirk Behrendt, der rechtspolitische Sprecher der Grünen im Abgeordnetenhaus von Berlin, der Jungle World. Die Polizei wollte den im Kiez seit dem Versuch der Räumung de facto herrschenden Ausnahmezustand am Montagabend beenden. »Wir haben das Bezirksamt aufgefordert, bis morgen eine Entscheidung zu treffen, sonst beenden wir den Einsatz«, hieß es in einer Presseerklärung des Berliner Polizeipräsidenten Klaus Kandt. Er stellte der Kreuzberger Bürgermeisterin Monika Herrmann (Grüne) ein Ultimatum bis Dienstagmorgen um 7 Uhr, das er am Morgen bis zum Mittag verlängerte. Die Polizei hatte somit die Bezirksregierung in Zugzwang gebracht und die Kontrolle der Lage übernommen.
Herrmann wollte die Schule nicht gewaltsam räumen lassen. »Wir werden ganz sicher kein Räumungsersuchen an die Polizei stellen«, sagte sie am Montagabend der Taz. Ihr sei mit dem Ultimatum »die Möglichkeit genommen« worden, den Konflikt »zu einem friedlichen Ende zu bringen«. Am Dienstagmittag traf dennoch ein Räumungsersuchen des Bezirks bei der Polizei ein, offenbar aber nicht von Bezirksbürgermeisterin Herrmann, sondern von Bezirksstadtrat Hans Panhoff (Grüne) unterschrieben.
»Hey police, I thinks it’s better for you to go home now«, hatte die sudanesische Menschenrechtsaktivistin Mai Shutta am Dienstag um kurz vor drei Uhr morgens noch von der Schule aus getwittert. Eine Stunde später berichtete sie von Polizisten, die in das Schulgebäude eingedrungen seien und die Flüchtlinge mit Scheinwerfern geblendet hätten. Insbesondere nachts, wenn weniger Unterstützer an den Absperrgittern der von der Polizei errichteten Sperrzone waren, konnte die Polizei willkürlich mit den Flüchtlingen umspringen. In den ersten Tagen unter­sagte die Polizei den Unterstützern sogar, den Flüchtlingen in der Schule Essen zu bringen. Der Presse wurde bis zuletzt der Zutritt zur Schule verweigert.
Kurz nach der Besetzung der Schule durch die Polizei am Dienstag voriger Woche hatten sich etwa 300 Unterstützer auf den Weg zur Schule gemacht, um gegen das Vorgehen der Polizei und die vom Bezirksamt angeordnete Räumung zu demonstrieren. Bis spät in die Nacht blieben sie bei den Flüchtlingen, die aus der Schule geflohen waren, und demonstrierten mit ihnen vor den Absperrgittern, die die Polizei nach der Teilräumung um die Schule errichtet hatte. Am späten Abend standen viele Flüchtlinge verschüchtert an den Gittern der nun von der Polizei errichteten Sperrzone. Sie wussten nicht, wo sie übernachten sollten. Viele blieben die ganze Nacht auf der Straße sitzen. »Wir kommen aus dem Tschad«, erzählt Abdallah*, der sich neben seinen drei Freunden an eine Hauswand lehnt. »Das Mittelmeer haben wir mit dem Boot überquert. Viele sind bei der Überfahrt gestorben.« Alles hätten sie investiert und aufgegeben, um hierher zu kommen. Und sie wollten gern Deutsch lernen.

Wie die drei kommen viele Flüchtlinge aus politisch instabilen Ländern, in denen gewaltsame Konflikte ausgetragen werden. Einige Flüchtlinge aus dem Tschad haben in Libyen gearbeitet und sind nach dem Sturz Muammar al-Gaddafis 2011 nach Europa geflohen. Viele sind durch die Jahre der Flucht, Gefängnisaufenthalte und Misshandlungen durch die Polizei traumatisiert. »Heute habe ich viele Pfandflaschen gefunden und die Polizei hat mich nicht gefangengenommen«, sagt ein Flüchtling erleichtert an einem der Abende im Unterstützerbereich der Reichenberger Straße.
Bereits am Tag der Räumung wirkten die Bezirksstadträtin Jana Bohrkamp (Grüne) und die Leiterin des Büros von Monika Herrmann, Susanne Hillmann, ratlos und überfordert, als ihnen klar wurde, dass zahlreiche Flüchtlinge in Kreuzberg auf der Straße standen, nachdem die Busse mit anderen Flüchtlingen zu den Heimen in Charlottenburg und Spandau gefahren waren. »Am ersten Tag suchten wir für über 100 Flüchtlinge Schlafplätze, als ich hörte, wir sollten mit den Flüchtlingen in die Emmaus-Kirche am Lausitzer Platz kommen«, sagt die Architekturstudentin Amelie Fischer, die von befreundeten Flüchtlingen vom Polizeieinsatz erfuhr. »Ich dachte, das hätte gar nichts mit dem Bezirksamt zu tun, und wir kamen mit vielen Flüchtlingen dorthin.« Sie hätten dort Pastor Jörg Machel, Bezirksstadträtin Jana Bohrkamp und Susanne Hilmer vorgefunden, die die Flüchtlinge aufforderten, sich namentlich auf einer Liste einzutragen. Außerdem sollten die Flüchtlinge angeben, wie lange sie sich bereits in der Schule aufhielten und ob sie einen »Hausausweis« besäßen. Kurz vor der Räumung hatte eine Sicherheitsfirma versucht, die Flüchtlinge in der Schule zu registrieren. Diejenigen, die sich dort zu diesem Zeitpunkt aufhielten, bekamen einen »Hausausweis«.
»Ich glaube, die Leute vom Bezirksamt wollten sich einen Überblick verschaffen, wie viele Flüchtlinge nicht in die Busse eingestiegen waren«, sagt Fischer. Nachdem die Liste ausgefüllt worden sei, habe Bohrkamp gesagt, sie werde sich mit den Flüchtlingen am Absperrgitter am Eingang der Schule treffen, damit die Mitarbeiter der Sicherheitsfirma die Flüchtlinge, die zwar einen »Hausausweis« erhalten, ihn aber während der Räumung nicht bei sich hatten, identifizieren und ihnen erneut einen ausstellen könnten. Am Gitter habe die Polizei Bohrkamp mitgeteilt, dass kein Sicherheitspersonal gekommen sei und die Trennung der Flüchtlinge in diejenigen, die dank des »Hausausweises« einen Heimplatz bekämen, und die anderen, die ohne Ausweis leer ausgehen würden, auf keinen Fall an dieser Stelle stattfinden könne. Bohrkamp und Hilmer seien hierdurch sichtlich beunruhigt gewesen, sagt Fischer. Sie hätten die Flüchtlinge, ihre Unterstützer und freiwilligen Dolmetscher auf die andere Straßenseite gebeten und die Flüchtlinge in zwei Gruppen eingeteilt. Die Flüchtlinge der einen Gruppe seien dann in Taxis zu den Heimen gefahren worden. Bohrkamp und Hilmer hätten die anderen einfach stehen lassen und seien weggefahren. »Ich verstehe nicht, warum wir keinen Platz bekommen haben, denn wir waren als erste in der Schule«, kommentiert Abdallah die Verteilung der Heimplätze durch die Bezirksregierung.

Danach ließen sich keine Vertreter des Bezirks­amts mehr an der Schule blicken. Der Berliner Innensenator Frank Henkel (CDU) erschien noch nicht einmal zur Sitzung des Innenausschusses des Berliner Abgeordnetenhauses zur Situation der Flüchtlinge in der Kreuzberger Schule, die auf Antrag der Fraktion der Piratenpartei am Montag einberufen worden war. So änderte sich während der gesamten Woche wenig an der Situation: Rund um die Uhr standen sich an den Absperrgittern Polizisten und Unterstützer sowie Flüchtlinge gegenüber. Anwohner mussten an den Absperrungen ihre Personalausweise zeigen und wurden von der Polizei bis zur Haustür begleitet. Sie veranstalteten am Montagabend eine Demonstration in der Sperrzone, in der sich ihre Wohnhäuser befinden, und bekundeten ihre Solidarität mit den Flüchtlingen. Am Samstag hatten 3 000 Personen in Kreuzberg zur Unterstützung der Flüchtlinge demonstriert.
Viele, die in der Gerhart-Hauptmann-Schule in Kreuzberg gelebt haben, sind trotz allem von der Abschiebung bedroht. »Der Senat bot allen Bewohnern in der Sache eine Sechs-Monats-Duldung an, ohne sie so zu nennen«, sagt Dirk Behrendt. Er geht davon aus, dass innerhalb der kommenden sechs Monate keine »aufenthaltsbeendenden Maßnahmen«, also Abschiebungen, unternommen würden. Doch die Duldung ist das eine, ein tatsächliches Aufenthaltsrecht etwas anderes. Die Forderung nach Aufenthalt unterstützen Behrendt zufolge die Grünen, bei SPD und CDU sieht er hier aber »wenig Bewegung«.

*Name von der Redaktion geändert