Berlin Beatet Bestes. Folge 248.

Freaks like me

Berlin Beatet Bestes. Folge 248. Erlangen (2014).

Seit 1992 fahre ich alle zwei Jahre nach Erlangen zum Comic-Salon, dem großen Klassentreffen der Szene. In den ersten Jahren verunsicherte mich die Messe mit ihrem unüberschaubar großen Angebot. Aber auch stilistisch fühlte ich mich dort nicht heimisch. Das Gros der Comicproduktion hielt ich für eskapistischen Müll. Ich hätte damals am liebsten alle bunten Alben auf einen großen Haufen geworfen und abgefackelt. Die Comics, die ich lesen und machen wollte, sollten am liebsten Schwarzweiß gezeichnet, realistisch, autobiographisch und krass sein. Und natürlich schwebte mir eine Szene vor, die independent war! Beides schien in weiter Ferne. Realistische autobiographische Comics gab es nicht. Abgesehen von wenigen Einzelkämpfern, gab es keine unabhängigen Verlage. Den Comicmarkt teilte eine Handvoll von Großverlagen unter sich auf.
20 Jahre später bin ich mit der Comicszene längst versöhnt. Irgendwann legte sich meine Unsicherheit und ich erkannte, dass alle, die zum Comic-Salon nach Erlangen kommen, Freaks sind. Freaks wie ich, die leidenschaftlich gern Comics lesen und sammeln, egal ob es Mangas, Mainstream-Comics oder Graphic Novels sind. Letztlich teilen wir mehr, als uns trennt. Die Szene ist immer noch so überschaubar, dass es keinen Sinn macht, sie spalten zu wollen. 20 Jahre später gibt es allerdings so viele ernste Comicstoffe, dass viele Leser und vor allem Macher vergessen zu haben scheinen, was für einen Ursprung Comics haben. Immer seltener sind Comics komisch. Seit Jahren behaupten sich Indie-Verlage wie Reprodukt und Avant auf dem Comicmarkt und räumen regelmäßig in verschiedenen Kategorien den Max-und-Moritz-Preis, den deutschen Comic-Oscar, ab. 20 Jahre später scheine ich mich einmal um meine Achse gedreht zu haben. Jetzt öden mich die verzweifelt ernsten Literaturcomics an. In vielen Comiczeichner-Typen erkenne ich den humorlosen, wichtigtuerischen jungen Mann wieder, der ich vor 20 Jahren war. Heutzutage ist lustig das Größte für mich.
Diesmal übernachtete ich im Hotel »Schwarzer Bär«. Das Zimmer teilte ich mir mit Olav »18Metzger« Korth, der den Preis für den besten Comicstrip erhielt. Ebenfalls auf dem Salon traf ich die Jungle World-Kollegen Leo Leowald und Wolfgang »Digirev« Buechs. Sogar dem kleinen Kapitalismus wurde ich vorgestellt. Oder jedenfalls dem Zeichner desselben, Anjo. Mit Preisträger Mawil und den Mitgliedern der Künstlergruppe »Magical Secret Society«, Caro, Evelyn und Calli, guckte ich das Spiel Ghana gegen Deutschland in einer Heavy-Metal-Kneipe. Wir hatten uns extra abgesetzt, um nicht mit den anderen Freaks Public Viewing machen zu müssen. Meine Neigung zur deutschen Mannschaft bewegt sich, umgeben von pariotischem Lärm, auf dünnem Eis. Hier in der Metal-Kneipe sind die Leute überraschend in Ordnung. Ein Stammgast quatscht uns gleich breit fränkelnd an: »Ich bin net ins E-Werk nei! Mit dene ganze Patriote, da kansch glei de rechte Arm hebbe!«