Komplett verrückt

Wer sich die ganze Zeit vom jemandem beobachtet und gelenkt fühlt, leidet wohl unter Verfolgungswahn. Wer sein Leben streng nach irrationalen Regeln ausrichtet, mag eine Zwangsstörung haben. Wer vom Paradies halluziniert und den Schilderungen anderer Schizophrener immer vollsten Glauben schenkt, mag selbst nicht ganz dicht sein. Doch für verrückt erklärt wird, wer die kollektive religiöse Psychose nicht teilen will. Seit dem 13. Juni werde er gegen seinen Willen in einem Krankenhaus im nordnigerianischen Kano festgehalten, teilte Mubarak Bala dank eines eingeschmuggelten Mobiltelefons vorige Woche per E-Mail und Twitter mit. Der Nigerianer sei von Mitgliedern seiner Familie verprügelt, sediert und in die Psychiatrie eingeliefert worden, so der 29jährige Chemieingenieur. Inzwischen gibt es eine Online-Petition für seine Freilassung, er hatte sich an die International Humanist and Ethical Union (IHEU) um Hilfe gewandt.
Der IHEU zufolge soll sich Bala vor seiner muslimischen Familie als Atheist geoutet haben. Diese suchte einen Arzt auf, der Bala allerdings für vollkommen gesund erklärte. Daraufhin holte sie die Meinung eines zweiten Arztes ein, der den Atheismus zum Ausdruck einer Persönlichkeitsstörung erklärte. Balas Vater ist strenggläubiger Muslim und in einer lokalen Behörde auch für die Umsetzung der seit 2000 im Bundesstaat Kano herrschenden Sharia verantwortlich. Balas Anwalt zufolge meinte der Vater, er habe seinen Sohn zur eigenen Sicherheit eingewiesen, damit er als Atheist nicht gelyncht werde. Bala mutmaßte in einer Twitter-Nachricht, sein Vater könne es sich nicht leisten, einen Nicht-Muslim in der Familie zu haben, und habe ihn deshalb für verrückt erklären lassen. In einem im September 2012 auf dem Blog »affairsofournation« veröffentlichten Artikel hatte Bala die islamischen Almajiri-Schulen in Nigeria kritisiert. Als »archaische Kultur« bezeichnete er es, dass Jungen ab dem Alter von fünf Jahren von ihren Familien in die Städte geschickt werden, um in diesen Schulen unterrichtet zu werden, wo sie jedoch meist auf sich allein gestellt bleiben, bettelnd und obdachlos. Außerdem dienten die Almajiri-Schüler islamistischen Gruppen wie Boko Haram häufig als Rekrutierungsbasis. Er forderte eine Verbesserung des öffentlichen Bildungssystems und dass sich Eltern gut um ihre Kinder kümmern, im Einklang mit der Sharia. Was seine eigenen Eltern darunter verstehen, hatte er wohl unterschätzt.