Die Berufe deutscher Neonazis

Schaffende Kameraden

Erzieher, Krankenpfleger, Deeskalationstrainer, Anwalt – die Berufe deutscher ­Nazis sind vielfältig.

»Ich lebe in einer ziemlich ländlichen Gegend, und hier im Ort gibt es bemerkenswerterweise keinen einzigen Schwarzen. (…) Wenn ich in die nächste größere Stadt fahre, ist das Bild schon wieder ein völlig anderes, und dort würde ich mein Kind auch um keinen Preis in die Kita schicken wollen«, bekannte eine Userin namens »Prometheusfunke« im »Thiazi-Forum«, das bis zu seiner Schließung 2012 zu den am stärksten frequentierten deutschsprachigen Naziforen gehörte. Die Userin wurde von Antifaschisten geoutet. Hinter dem Nickname steckt offenbar eine in Österreich geboren Frau, die zu der Zeit in ihrem damaligen Wohnort Münstermaifeld in Rheinland-Pfalz selbst eine Kindertagesstätte leitete. Die Moderatorin des »Thiazi-Forums« siedelte vor drei Jahren nach Treuenbrietzen in Brandenburg um. Dort ist sie mittlerweile Beisitzerin im Vorstand des CDU-Stadtverbands. Beruflich hat sie sich nicht verändert, sie arbeitet in einem Nachbarort in einer Kindertagesstätte. Auch der Gründer des »Thiazi-Forums« arbeitete in Mecklenburg-Vorpommern als Erzieher in einem städtischen Kinderhort.

Auf dem Weg zur Arbeit legen Rechtsextreme ihre politischen Ansichten zwar nicht ab. Sie halten sich aber meist bedeckt, um unangenehme berufliche Konsequenzen zu vermeiden. Wenn überhaupt, verläuft die politische Betätigung am Arbeitsplatz zunächst subtil. Der Politikwissenschaftler Michael Kohlstruck vom Berliner Zentrum für Antisemitismusforschung bezeichnet dieses Vorgehen als eine »Samtpfötchenstrategie«, die darin bestehe, »zunächst den Akzent auf die Beziehungsarbeit zu legen, um auf dieser Basis dann um so erfolgreicher eine Sach- oder Inhaltsarbeit aufzubauen«.
»Naja, um meinen Arbeitsplatz zu verlieren, reicht’s locker aus, was ich so schreibe. Auch ohne ›Heil Hitler‹ oder Hakenkreuze. Und nebenberuflich würde ich auch keinen Fuß mehr auf den Boden bekommen«, schrieb der User »Krafft« im »Thiazi-Forum«. Er sollte Recht behalten. Hinter dem Pseudonym »Krafft« verbarg sich Marian Rohde, einer der drei wichtigsten Forenmoderatoren. Bis zu seiner Enttarnung durch Freiburger Antifaschisten arbeitete er unauffällig als Pflegestationsleiter in der Psychiatrie und war Deeska­lationstrainer unter anderem für die Polizei sowie Ansprechpartner bei Verstößen gegen die »humanistischen Werte« des Deutschen Vereins für Gewaltprävention, der mit »SOS Rassismus« in Nordrhein-Westfalen kooperiert. Das Berufskolleg Ernährung-Sozialwesen-Technik des Kreises Heinsberg in Geilenkirchen hatte Rohde eingeladen, um die interkulturelle Kompetenz von Lehrkräften zu fördern. Zudem ist Rohde Mitautor des Buches »Kommunikative Deeskalation«, eines »Praxisleitfadens zum Umgang mit aggressiven Personen im privaten und beruflichen Bereich«. Rohde war beruflich überaus engagiert.

Großen Einsatz bei der Arbeit zeigte auch Thomas Jauch, der jahrelang von Kommunen in Sachsen-Anhalt engagiert wurde. Nach Recherchen des Mitteldeutschen Rundfunks und von Zeit Online arbeitete Jauch in den vergangenen Jahren für mindestens elf Gemeinden und eine Anstalt des öffentlichen Rechts in dem Bundesland. Als Honorar sollen Hunderttausende Euro geflossen sein. Seine Karriere begann Jauch als Stadtratsmitglied der CDU in Bad Salzuflen und stellvertretender Kreisvorsitzender der Jungen Union (JU) Lippe in Nordrhein-Westfalen. Parteifreunde warfen ihm damals vor, im Anschluss an eine Informationsfahrt der JU zum Atomreaktor Jülich in der Düsseldorfer Altstadt das Horst-Wessel-Lied gesungen und den Hitlergruß gezeigt zu haben. Jauch behauptet, innerparteiliche Gegner hätten diese Geschichte in die Welt gesetzt, um ihm zu schaden. Er trat wegen der Anschuldigungen 1987 aus der CDU aus.
Vor Gericht vertrat der Anwalt unter anderem zwei Mitglieder der »Skinheads Sächsische Schweiz«, den Bezirksschornsteinfegermeister aus Laucha, der wegen der Teilnahme an antisemitischen Veranstaltungen seine Zulassung ver­loren hatte, und einen Dresdener Neonazi, der eine Broschüre verbreitet hatte, in der ein Davidstern im Fadenkreuz zu sehen war. Nebenberuflich schult Jauch Mitglieder der Jungen Nationaldemokraten (JN) für den Fall einer Vorladung oder Verhaftung. Nach Recherchen von MDR und Zeit Online ist Jauch wie auch die bekannten Neonazis Thorsten Heise und Patrick Wieschke Gründungsmitglied des Vereins »Deutsch-russische Friedensbewegung im europäischen Geiste«. Der Verein hat nach Angaben des thüringischen Verfassungsschutzes das Ziel, »bislang nicht politisch Interessierte über unverfänglich erscheinende Vereinsbezeichnungen als Mitglieder zu gewinnen, sie nach und nach an rechtsextremistisches Gedankengut heranzuführen«.
Für Gemeinden wie Zorbau, Burgwerben, Wengelsdorf, Westerhausen, Güsten und Förder­stedt sollte Jauch die drohende Zwangseingemeindung im Rahmen der Gemeindegebietsreform in Sachsen-Anhalt Ende 2010 abwenden. ­Allein Zorbau bei Weißenfels zahlte im Jahr 2010 etwa 185 000 Euro an den Anwalt, davon 89 000 Euro für einen sogenannten Prozessführungsvertrag. Die Kommunalaufsicht beanstandete den Vertrag, das Geld soll gerichtlich zurückgeholt werden. »Der Burgenlandkreis hat, den Rechtsanwalt Jauch verklagt, wegen ungerechtfertigter Bereicherung, nämlich auf den Differenzbetrag zwischen dem, was er laut Treuhand- und Prozessführungsvertrag erlangt hat und dem, was ihm nach dem Rechtsanwaltsvergütungsgesetz zusteht«, sagte Michael Wersdoerfer vom Landesverwaltungsamt dem MDR.
Wegen seiner umfangreichen Kontakte in der rechtsextremen Szene in Thüringen muss Jauch bald im Münchener NSU-Prozess aussagen. Focus sagte er, dass Beate Zschäpe, Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos Anfang 1998 bei ihm gewesen seien. Gegen die Zahlung eines Vorschusses habe er die Vertretung von Zschäpe mit dem Ziel übernommen, in dem damals gegen sie geführten Strafverfahren Akteneinsicht zu beantragen. Bei den zuständigen Justizbehörden ist ein entsprechendes Schreiben Jauchs bisher nicht aufgefunden worden.

Jauch vertritt darüber hinaus im NSU-Verfahren einige Zeugen aus dem Umfeld des Trios, so auch Tino Brandt, den ehemaligen stellvertretenden thüringischen Landesvorsitzenden der NPD, Anführer des »Thüringer Heimatschutzes« und Spitzel des Verfassungsschutzes. Brandt, dessen Name in den vergangenen Jahren in der Öffentlichkeit nur noch im Zug der gegen ihn laufenden Ermittlungen wegen Betrugs auftauchte, sitzt seit Juni im Gefängnis. Die Polizei ermittelt gegen den 39jährigen, weil er angeblich Jugendliche und junge Männer an Freier vermittelt und dafür Wohnungen angemietet haben soll. Im Verlauf der polizeilichen Ermittlungen machte der Thüringer Allgemeinen zufolge ein zur Tatzeit 15jähriger detaillierte Aussagen, Brandt habe ihn sexuell missbraucht und anschließend an Freier vermittelt.