Der Weg des Kalifen

Der neue Kalif Ibrahim gab sich in seiner Antrittsrede bescheiden. »Ich bin nicht besser oder tugendhafter als ihr«, sagte Abu Bakr al-Baghdadi am Freitag vergangener Woche in der Großen Moschee von Mossul. »Wenn ihr mich auf dem richtigen Weg seht, helft mir. Wenn ihr mich auf dem falschen Weg seht, beratet mich und stoppt mich.« Doch angesichts seines bisherigen Werdegangs ahnt man, dass ein wohlmeinendes »Hey, Ibrahim, ist doch echt uncool, so viele Menschen abzuschlachten« ihn nicht beeindrucken wird. Über sein Leben ist wenig bekannt. Es gilt als sicher, dass er 1971 geboren wurde, er soll Mullah gewesen sein und in Bagdad einen Doktorgrad in Islamischen Studien erworben haben. Nach der Invasion der US-Truppen schloss er sich einer jihadistischen Gruppe an. Er wurde 2004 inhaftiert, aber als mittelmäßiger Gotteskrieger eingestuft und nach ­einigen Monaten freigelassen. Die Führung beim Islamischen Staat im Irak (ISI) übernahm er, nachdem 2010 eine US-Rakete den von Abu Abdullah al-Baghdadi besetzten Posten hatte vakant werden lassen. 2011 setzte die US-Regierung eine Belohnung von zehn Millionen Dollar auf al-Baghdadi aus. Nur für Ayman al-Zawahiri, den Anführer von al-Qaida, gibt es mehr, nämlich 25 Millionen Dollar.
Noch, denn die Machtverhältnisse haben sich geändert. »Who the fuck is Zawahiri?« ist die Hauptbotschaft Ibrahims. Nicht einmal er kann so vom Fanatismus verblendet sein, dass er annimmt, sein Anspruch auf den Gehorsam aller Muslime werde größere Anerkennung finden. Doch der globale Jihad ist eine Meritokratie des Terrors, Ussama bin Laden verdankte seine Führung den Anschlägen vom 11. September 2001. Al-Baghdadi hat ISI um al-Sham (ein von der Südtürkei bis zum Nordsinai reichendes Gebiet) erweitert und zu Isis gemacht. Obwohl er das derzeitige Herrschaftsgebiet nicht dauerhaft wird halten können, ist ihm ein Coup gelungen, der das jihadistische Publikum begeistert. Isis dürfte nun weitaus mehr Kämpfer rekrutieren und Spenden sammeln als al-Qaida. Damit droht aber auch von al-Qaida Gefahr, überdies stützt sich die Herrschaft von Isis im Irak auf ein Bündnis mit Ba’athisten und anderen Männern, die nicht für ihre Neigung zu friedlicher Konfliktlösung bekannt sind. Zumindest in einer Hinsicht könnte Ibrahim daher der Tradition der ersten vier Kalifen folgen. Drei von ihnen wurden von Muslimen ermordet, die sich ausgebootet fühlten.