Gewerkschaftliche Arbeit und ethischer Konsum

Ethischer Konsum reicht nicht

Bei den Protesten gegen Primark und »Billigmode« allgemein wird viel auf ethische Aspekte verwiesen. Die Rolle der gewerkschaftlichen Arbeit in den Herstellerländern wird dabei ausgeblendet.

»Life is a Festival«, lautet der Werbespruch auf den Schaufenstern der neueröffneten Filiale der irischen Modemarke Primark am Berliner Alexanderplatz. In etwas kleinerer Schrift findet sich im Schaufenster der Hinweis: »Primark verpflichtet sich zur Beobachtung und fortlaufenden Verbesserung der Rechte der Menschen, die unsere Produkte herstellen.«
Die Erklärung ist eine Reaktion auf die heftige Kritik, von der die Eröffnung der zweiten Berliner Primark-Filiale begleitet war. Im Juli 2012, als in Berlin-Steglitz die erste Filiale eröffnete, hatte es nur lobende Worte gegeben. »Das Erfolgskonzept von Primark basiert auf sehr modischer Qualitätsware zu erschwinglichen Preisen«, hieß es damals in einer Pressemitteilung. Auch für die Eröffnung der Filiale am Alexanderplatz waren die Jubelmeldungen schon gedruckt. Doch wenige Tage vor dem Termin wurde die Feierlaune verdorben. In mehreren Kleidungsstücken von Primark tauchten eingenähte Etiketten auf, die mit »SOS« und »Ich werde zur Arbeit bis zur Erschöpfung gezwungen« beschriftet waren. Bis heute ist nicht geklärt, ob es von Arbeitern in die Kleidung geschmuggelte Nachrichten waren. Das Primark-Management bestreitet das vehement.

Es könnte sich auch um eine gelungene Informationsguerilla-Strategie handeln, die das »Erfolgskonzept von Primark« als Teil jener globalen Ausbeutungsverhältnisse in der Textilindustrie anprangert, die in britischen Medien schon 2008 Schlagzeilen machten. Damals legte ein Rechercheteam der BBC offen, dass Primark einen Teil seiner Billigklamotten in indischen Sweatshops von teils 11jährigen Kindern produzieren lässt. Die mit zahlreichen Fotos und Interviews belegten Enthüllungen führten in Großbritannien zu Protestkundgebungen vor Primark-Filialen. Diese Proteste wurden in Deutschland kaum bekannt, und wie die geräuschlose Eröffnung der ersten Berliner Primark-Filiale zeigte, gab es damals auch keine Versuche, daran anzuknüpfen.
Das hat sich seit dem 24. April 2013 geändert. An diesem Tag wurden beim Einsturz der Textilfabrik Rana Plaza in Bangladesh 1 127 Arbeiterinnen und Arbeiter getötet und fast 2 500 zum Teil schwer verletzt. Schnell stellte sich heraus, dass in der Fabrik sämtliche Arbeitsschutzbestimmungen verletzt worden waren. Zudem war Rana Plaza die Werkbank für viele der hierzulande bekannten Modefirmen. Dazu gehören KiK, Adler Modemärkte, Mango, Benetton, C & A und Primark. Der irische Discounter habe nach Angaben der Frankfurter Rundschau eine Million Dollar an den Entschädigungsfonds für die Opfer überwiesen und weitere neun Millionen Dollar sollen direkt an Familien der Opfer sowie an 580 Arbeiter gegangen sein, die für einen Primark-Zulieferer in dem kollabierten Gebäudekomplex gearbeitet haben. Andere der in Rana Plaza produzierenden Modefirmen schoben jede Verantwortung für den Einsturz auf ihre Zulieferer und wollten sich so auch um eine Entschädigung drücken. Noch ein Jahr nach dem Unglück teilte die »Kampagne für Saubere Kleidung« mit: »Der von der internationalen Arbeitsorganisation ILO kontrollierte Entschädigungsfonds ist noch nicht einmal zur Hälfte gefüllt – noch immer fehlen knapp 25 Mio. US-Dollar.« Dass sich Primark im Fall Rana Plaza vergleichsweise kooperativ verhielt, dürfte eine Folge des Skandals um die Kinderarbeit in Indien gewesen sein, die das Firmenimage ankratzte. Deshalb verweist Primark auch bei den jüngsten Diskussionen gerne auf die firmeneigene Ethik-Abteilung mit eigener Website, auf der demons­triert werden soll, welch großes Interesse die Firma an den Arbeitsbedingungen der Arbeiter und an Nachhaltigkeit habe. Damit reagiert Primark auf eine vor allem ethisch geführte Kampagne vieler NGOs.
So erklärte Bernd Hintzmann, der beim Inkota-Netzwerk für die »Kampagne für Saubere Kleidung« zuständig ist, die Proteste anlässlich der Eröffnung der neuen Filiale hätten zum Ziel, »dass Primark den öffentlichen Unmut kritischer Verbraucher zur Kenntnis nimmt und Veränderungen vornimmt, bevor wieder etwas passiert wie bei der Katastrophe in Bangladesh«.
Dabei wird die Rolle gewerkschaftlicher Organisierung in den Fabriken des globalen Südens ausgeblendet. »Es mag sein, dass die NGOs hier bekannter sind, weil sie in der Regel die Öffentlichkeitsarbeit in Europa übernehmen. Aber die gewerkschaftliche Arbeit vor Ort ist auch sehr wichtig. Schließlich muss in den Betrieben kontrolliert werden, ob die Vereinbarungen über faire Arbeitsbedingungen auch umgesetzt werden. Das können NGOs aus Europa nicht leisten. Dazu sind starke Gewerkschaftsgruppen nötig«, betont Gi­sela Neunhöffer von der Kampagnenwebsite für die internationale Gewerkschaftsbewegung Labourstart gegenüber der Jungle World. Dieser Grundsatz gilt allerdings nicht nur für den globalen Süden.

Kritik an den Arbeitsbedingungen bei Primark gibt es auch hierzulande. So werden alle deutschen Läden mit Kameras überwacht – und es gibt Vorwürfe, dass in der größten Filiale in Hannover Mitarbeiter über längere Zeit bespitzelt worden seien. In dem vierstöckigen Kaufhaus gebe es 128 Überwachungskameras, sagt Juliane Fuchs von der Gewerkschaft Verdi. Knapp die Hälfte der Kameras überwache nicht nur die Kunden, sondern die gut 550 Mitarbeiter. Sie seien vor Personalräumen, Toiletten und Aufgängen angebracht. »Es entsteht der Eindruck, die Mit­arbeiter stehen unter Generalverdacht«, moniert Fuchs. Damit verstößt Primark womöglich gegen Gesetze. Schließlich ist eine zeitlich begrenzte Überwachung der Belegschaft nur erlaubt, wenn ein begründeter Verdacht besteht – etwa wenn besonders viel gestohlen wurde. Eine permanente Überwachung von nicht öffentlichen Räumen ohne Grund ist dagegen verboten. Die Kameras in Hannover werden nach Gewerkschaftsangaben nicht nur von einer externen Sicherheitsfirma überwacht, sondern auch vom Primark-Filialleiter persönlich. In dessen Büro, so berichten Betriebsrat und Fuchs, habe lange ein Kamera-Steuerungsinstrument gestanden, mit dem sich Bilder aus Kameras sehr nah heranzoomen lassen.
Primark wollte sich zu diesen Vorwürfen im Detail nicht äußern. Die Kameras dienten generell »dem Schutz der Kunden und Mitarbeiter«, sagte ein Sprecher. Doch es gibt Anzeichen, dass der Konzern in Hannover einlenkte: »Wir sind momentan in Verhandlungen mit den Betriebsräten, um gegebenenfalls die Anzahl der Kameras zu reduzieren und jeweils zu einer Einigung vor Ort zu kommen.« Betriebsrat und Verdi in Hannover wollen sich damit nicht zufriedengeben. Sie verlangen von der Primark-Geschäftsführung, dass alle nicht öffentlichen Kameras abgebaut werden.
Dass die Kritik an den Arbeitsbedingungen bei Primark-Hannover bei den Protesten in Berlin kaum eine Rolle spielte, macht einmal mehr die Schwächen einer rein ethischen Debatte um die Arbeitsbedingungen deutlich, bei der gewerkschaftliches Handeln hier und in den Ländern des globalen Südens weitgehend ausgeblendet wird. Dabei ist klar, dass für die Beschäftigten das Leben zumindest während der Arbeitszeit bei Primark kein Festival ist, wie der Werbespruch dies weismachen möchte.