Die US-amerikanischen Oligarchen Charles und David Koch

Hier kocht der Chef

Oligarchen gibt es nicht nur in Russland. In den USA nutzen die Brüder Charles und David Koch ihr Milliardenvermögen, um ihre rechtslibertäre Doktrin durchzusetzen.

Für Diskretion schien gesorgt, als Charles und David Koch Mitte Juni zu einem Treffen im kalifornischen St. Regis Monarch Beach Resort einluden. Das gesamte Hotel nebst Golfplatz war für 870 000 Dollar exklusiv angemietet worden, ­offiziell sollte ein »T & R Sales Meeting« stattfinden und alle Teilnehmer mussten am Eingang ihr Handy abgeben. Der Wochenzeitung The Nation wurden jedoch Dokumente sowie weitere Informationen über die Tagung »American Courage: Our Commitment to a Free Society« zugespielt.
Unter den etwa 300 Teilnehmern waren neben zahlreichen Millionären und Milliardären auch republikanische Abgeordnete des Repräsentantenhauses sowie die Senatoren Mitch McConnell und Marco Rubio, ein führender Politiker der Tea-Party-Bewegung, der als möglicher Bewerber für die Präsidentschaftskandidatur gilt. Den Quellen der Nation zufolge wurde als »explizites Ziel« vereinbart, 500 Millionen Dollar für die Kongresswahlen im November bereitzustellen und wei­tere 500 Millionen zu sammeln, »damit Hillary Clinton nie Präsidentin wird«.
Dass Milliardäre einen Konservativen an der Spitze der Regierung sehen wollen, ist so erstaunlich nicht. Dass der im Ölgeschäft engagierte Mischkonzern Koch Industries von Klimaschutz nichts wissen will und daher »Energie: Die Erzählung ändern« auf die Tagesordnung setzt, überschreitet auch noch nicht den üblichen Rahmen des Lobbyismus. Ungewöhnlicher ist schon, dass auf einer solchen Tagung über Bücher diskutiert wird – allerdings nur über sehr spezifische politische Literatur wie »In Pursuit of Happiness and Good Government« von Charles Murray, die markt­extremistische Ideen propagiert.

Es geht nicht allein um Deregulierung und Steuersenkungen, angestrebt wird eine Gesellschaft von Einzelkämpfern ohne soziale Absicherung, in der nur Justiz und Landesverteidigung staatliche Aufgaben sind. »Die größten gesellschaftlichen Probleme sind in jenen Bereichen aufgetreten, die als am besten von der Allgemeinheit kontrolliert gelten; die Atmosphäre, die Gewässer, Luft, Straßen, die Körperpolitik und menschliche Tugend«, schreibt Charles Koch in seinem Buch »The Science of Success«. Diese Bereiche »funktionieren viel besser, wenn Methoden ersonnen werden, um ihnen die Charakteristika des Privateigentums zu geben«.
Auf der Liste der Reichsten des Magazins Forbes belegen die Kochs, die das zweitgrößte Familienunternehmen der USA führen, mit einem Vermögen von jeweils 41,4 Milliarden Dollar gemeinsam den sechsten Platz. Sie werden nicht ruhen, bis endlich auch die Atemluft privatisiert wird. Und sie haben einen Plan. Die Unterstützung rechtlibertärer Politiker ist wichtig, so wurde bei dem Treffen – allerdings nur in einem inneren Kreis von Eingeladenen – über »Gelegenheiten« im Senat verhandelt. Vor allem aber soll auf die Gesellschaft Einfluss genommen werden. »Die nationale Debatte lenken« war ein Programmpunkt, ebenso »Die nächste Generation ausbilden und beteiligen« und die Universitätspolitik.
Leeres Gerede ist das nicht. Die Kochs finanzieren ganz oder teilweise mehr als 30 politische Organisationen, von Think Tanks wie dem Cato Institute bis zu Lobbygruppen wie Americans for Prosperity, und spenden an Dutzende weitere. Sie haben überdies Einfluss auf viele Universitäten gewonnen. Rechtslibertäre waren empört, als das Brooklyn College Ende Juni 4,3 Millionen Dollar der Charles G. Koch Foundation ablehnte, mit denen ein Institut für »marktorientierte Ökonomie« finanziert werden sollte. Doch eine solche Standhaftigkeit ist die Ausnahme, meist haben die Kochs keine Probleme, Mitarbeiter zu gewinnen.
So gelang es dem von den Kochs mitfinanzierten American Enterprise Institute (AEI) im Februar, den Dalai Lama für die Tagung »Glück, freies Unternehmertum und menschliches Gedeihen« zu engagieren, wo dieser bekundete, er stehe dem Kapitalismus heute viel wohlgesinnter gegenüber als früher, aber mahnte, der Werte bedürfe es schon. Da widersprach ihm der AEI-Präsident Arthur Brooks nicht, der zu einem glücklichen Familienleben und Wohltätigkeit rät. Auch die Kochs legen großen Wert auf Werte. Wer für sie arbeiten will, muss der Firmenphilosophie des market-based management zufolge »Tugend und Talente« vorweisen können.
Geld allein macht ja bekanntlich nicht glücklich. Doch auch wer kein Geld, aber die richtigen ­Tugenden hat, kann sich nach Ansicht der Kochs glücklich schätzen. Dies ist die Kernbotschaft ihrer jüngsten ideologischen Offensive, der »Well-Being Initiative«, der auch der Dalai Lama seinen Auftritt zu verdanken hat. »Das System des verdienten Erfolges, das Ihnen Freude verschafft, ist das System des freien Unternehmertums, das die Menschen aus der Armut erhebt«, doziert Brooks. »Arbeiten Sie nicht für den Etatismus, den Kollektivismus, der das unterdrückt.«
Die Kochs, selbstverständlich Gewerkschaftsfeinde, betrachten den Einsatz für das »freie Unternehmertum« als eine der Pflichten ihrer Beschäftigten. »Ihre Arbeitskräfte für die Sache der Freiheit engagieren« war ein Programmpunkt im St. Regis Monarch Beach Resort. »Für uns als Beschäftigte der Firma Koch steht bei den kommenden Wahlen viel auf dem Spiel«, erfuhren etwa 50 000 Lohnabhängige im Oktober 2010 aus einem Brief des Managements, der ihnen auch die Kandidaten nannte, die sie wählen sollten. Es wird ideologischer Druck ausgeübt. So berichten Gewerkschafter bei Georgia-Pacific, einem Subunternehmen von Koch Industries, dass ihnen nahegelegt wird, Kochs »The Science of Success« zu lesen und Seminare über sein market-based management zu besuchen.

Die Bourgeoisie vertritt ihre Interessen für gewöhnlich diskreter, überdies wissen viele Unternehmer den Sozialstaat zu schätzen, der ihnen gesunde und gebildete Lohnabhängige beschert, auch wenn sie möglichst wenig dafür bezahlen wollen. Eine Aktiengesellschaft könnte sich die Politik der Kochs nicht erlauben, da sie auf den shareholder value, die Profitmaximierung, festgelegt ist und es nicht möglich wäre, andere Interessen der Aktionäre zu einheitlichen Zielen zusammenzufassen. An sich kann die Aktiengesellschaft als Basis des globalisierten Freihandelskapitalismus gelten. Andererseits sind die Kochs nicht die einzigen Oligarchen, die in jüngerer Zeit hervorgetreten sind.
Der Kapitalist wird zum Oligarchen, wenn sein Vermögen so konzentriert ist, dass er dessen Verwendung kontrollieren kann und er diese Möglichkeit politisch nutzt. Bill Gates nutzte seine Marktmacht vornehmlich, um einem mittelmäßigen Betriebssystem ein Monopol zu verschaffen, hat aber mit der Bill & Melinda Gates Foundation ein Subunternehmen gegründet, das mit einem Kapital von mehr als 40 Milliarden Dollar im vorigen Jahr etwa 1,7 Milliarden Dollar verdiente. Die Stiftung nimmt erheblichen Einfluss auf die globale Bildungs- und Gesundheitspolitik. Gates gilt als liberal, trägt aber dazu bei, einem weiteren traditionell unter öffentlicher Kontrolle stehenden Bereich »die Charakteristika des Privateigentums zu geben«.
Das ist nicht nur in den USA politisch erwünscht. Dort aber haben mehrere Urteile des Obersten Gerichtshofs die Rechte der Unternehmen gestärkt. Die Entscheidung, bei Wahlkampfspenden fast alle Beschränkungen für Unternehmen aufzuheben, sprach diesen Meinungsfreiheit zu, wertete sie also als Person, die verfassungsmäßige Rechte in Anspruch nehmen kann. In der vergangenen Woche wurde der Firma Hobby Lobby das Recht zuerkannt, ihren Angestellten aus religiösen Gründen im Rahmen der Krankenversicherung keine Verhütungsmittel zu bezahlen, die das Unternehmen mit Abtreibung in Verbindung bringt. Zwar gilt das Urteil nur für Firmen mit einer kleinen Zahl von Besitzern (»closely held«). Das aber sind 90 Prozent der US-Unternehmen, die etwas mehr als die Hälfte der Lohnabhängigen beschäftigen. Diese Unternehmen wurden faktisch individuellen Gläubigen gleichgestellt. Es ist offensichtlich, dass die Lohnabhängigen damit entrechtet und einer anderen »Person«, dem Unternehmen, auch im Hinblick auf ihre Ansichten und ihr Verhalten jenseits der Arbeitsleistung unterstellt werden.

In den spätkapitalistischen Alltag kehren frühkapitalistische Phänomene zurück – die erdrückende Fürsorge des Patrons, der sich für das sittliche Verhalten und die politischen Ansichten seiner Untergebenen verantwortlich fühlt, und der rücksichtslose Wille zur Macht jener Unternehmer, die man als Eisenbahn- und Gummibarone bezeichnete. Bemerkenswert ist, dass die meisten westlichen Oligarchen keine provinziellen christlichen Eiferer sind. Traditionelle konser­vative Werte dienen den Kochs vornehmlich zur Abwehr von Zumutungen der Antidiskriminierungs- und Sozialpolitik. Ansonsten folgen sie der von Ayn Rand (»Atlas Shrugged«, 1957) popularisierten Lehre, die ideale Gesellschaft sei ein Kapitalismus der Einzelkämpfer, in dem jede mensch­liche Beziehung eine Geschäftsbeziehung ist. Diese Ideologie ist auch in der Führungsschicht der IT-Industrie sehr populär, die mit dem Facebook-Baron Mark Zuckerberg den vielleicht einflussreichsten Oligarchen hervorgebracht hat und derzeit wohlwollend die Idee diskutiert, aus Silicon Valley einen eigenen Bundesstaat zu machen – natürlich mit niedrigeren Steuern und noch unternehmerfreundlicheren Gesetzen.
In welchem Ausmaß sich neofeudale Abhängigkeitsverhältnisse durchsetzen werden, lässt sich noch nicht absehen. Meinungsfreiheit im Betrieb gab es nie, und solange im Unterschied zum Feudalismus die Berufswahl »frei« bleibt, ist der unternehmerische Zugriff auf Privates der Lohnabhängigen nicht nur in den USA möglicherweise verfassungsgemäß. Der grassierende Privatisierungswahn stärkt zwangsläufig die Macht der Unternehmer, denen über Freihandelsabkommen nun eine eigene Standesjustiz mit von ihren Anwälten besetzten »Schiedsgerichten« zugesprochen werden soll. Auch das Wahlrecht wird bereits in Frage gestellt. »Man bekommt kein Stimmrecht, wenn man keinen Dollar Steuern zahlt«, fordert der Milliardär Tom Perkins. Er schlägt vor: »Man zahlt eine Million Dollar und bekommt eine Million Stimmen.« So einfach ist es noch nicht. Um zu verhindern, dass die Demokratin Kay Hagan als Senatorin für North Carolina wiedergewählt wird, hat Americans for Prosperity bereits Monate vor den Wahlen 8,2 Millionen Dollar, etwa 1,30 Dollar pro regis­triertem Wähler, ausgegeben. Dennoch – oder deshalb – hat sich Umfragen zufolge Hagans Vorsprung vor dem Republikaner Thom Tillis um drei Prozentpunkte erhöht.