Kicken und reden

Die Sache ist ganz einfach: Fußballspieler sollen Fußball spielen. Und das möglichst gut, also erfolgreich. Das heißt, das Runde muss ins Eckige. Und zwar beim Gegner. Zu diesem Zweck laufen die Herren (und Damen) in der Regel 90 Minuten lang über ein recht großes Spielfeld. Sie verrichten bodenständige Arbeit, intellektuelles Rüstzeug ist dafür zumeist nicht nötig. Die taktischen Anweisungen des Trainers verstehen und dann möglichst umsetzen – das reicht. Der Rest ist individuelles sportliches Geschick, Teamarbeit und eine Menge Glück. Auch rhetorische Fähigkeiten tun nichts zur Sache. Hier geht es allein um mentale Kraft und körperliches Können.
Da sollte uns Per Mertesackers mittlerweile legendäres Wut-Interview eigentlich kaum erstaunen. Nach dem Erreichen des WM-Viertelfinales gegen den Fußballgiganten Algerien entgegnete der Verteidiger auf die Frage des Fernsehreporters, ob wir denn noch mit einem spielerischen Sommermärchen rechnen dürfen: »Watt wollen se? Wollen se ’ne erfolgreiche WM oder sollen wir wieder ausscheiden und haben schön gespielt?«
Das so schnörkellos Gesagte wirkte auf das Fernsehpublikum wie ein verbales Foulspiel, irgendwie dahingerotzt und das Gegenteil von wohlformuliert. Okay, der Mann war nach 120 Minuten Gerenne erschöpft und vollgepumpt mit Adrenalin. Da rutscht einem schon mal was raus. Aber irgendwie wunderte sich der Medienkonsument schon ein wenig. Diese Profifußballer reden doch sonst ganz verständliche, gut klingende Sätze. Fast jedes Interview, das sich in Magazinen und Zeitungen findet, liest sich flott. Und man denkt: Schön hat der das gesagt.
Nur: Fast immer hat der betreffende Kicker das eben gar nicht so gesagt. Denn zunächst versucht der Interviewer, aus dem ins Mikrofon Gesprochenen etwas Lesbares zu machen. Und dann gibt es ja noch die in Deutschland übliche Autorisierung. Von der machen gerade die PR-Verantwortlichen in den Pressestellen gerne exzessiv Gebrauch. Da wird umgestellt, tatsächlich oder vermeintlich Kritisches glattgebügelt und der Inhalt womöglich zurechtgebogen – Hauptsache, Funktionäre, Trainer und die Mannschaft stehen in gutem Licht da.
Und wehe, ein Spieler umgeht die Pressestelle, gibt ein Gespräch auf eigene Faust frei. Dann droht ihm im Profifußball ein Maulkorb oder eine saftige Geldstrafe. Die FAZ hat die Bundesliga mal eine »Zensurbehörde« genannt. Da ist eine Menge dran. Denn mit Meinungsfreiheit hat das Streben nach Kontrolle der öffentlichen Darstellung herzlich wenig zu tun. Umso auffälliger ist es, wenn wir kurz nach dem Abpfiff, auf freiem Feld sozusagen, wie im Falle Mertesacker, immer mal wieder erleben dürfen, wie ein Fußballspieler wirklich tickt und redet. Ganz authentisch war das. Und ganz einfach.