Das Bündnis zur Vorbereitung der Disability and Mad Pride Parade im Gespräch über die Parade »Behindert und verrückt feiern«

»Man kann feiern, ohne Leid und Wut zu verleugnen«

Die Pride Parade »behindert und verrückt feiern« fand im vergangenen Jahr erstmalig in Berlin statt. Am 12. Juli wird es die zweite Parade geben. Sie wird organisiert von einem Bündnis von Menschen mit und ohne Behinderung und Psychiatrieerfahrung. Im Aufruf heißt es: »Freaks und Krüppel, Verrückte und Lahme, Eigensinnige und Blinde, Taube und Normalge­störte – kommt wieder raus auf die Straße, denn sie gehört uns! Wir waren viele! Wir werden mehr!« Die Jungle World sprach mit einigen der Organisatoren und Organisatorinnen: Marie Metzer, Sven Drebes, Michael Zander, Mo Simon und Matthias Vernaldi.

Was erwartet ihr für die diesjährige Pride Parade?
Matthias Vernaldi: Wir möchten durch die Parade noch viel mehr Öffentlichkeit dafür schaffen, dass Leute wie wir, die jenseits der Norm liegen und mit sich im Reinen sind, gerne leben. Außerdem natürlich gutes Wetter und noch viel mehr Leute, die mit uns feiern, als voriges Jahr.
In eurem Aufruf heißt es »Es ist gut so, dass wir sind, wie wir sind!« Daran gibt es von Betroffenen die Kritik, dass es keineswegs für alle gut und angenehm ist, so zu sein, wie sie sind. Warum besteht ihr darauf, dass das für alle gilt?
Michael Zander: Uns wird oft vorgeworfen, wir würden Leid negieren und so tun, als ob das Leben ein Ponyhof wäre. Aber wir sagen ja nicht, dass die Verhältnisse gut sind, wie sie sind. Außerdem denken wir, dass man feiern kann, ohne Leid und Wut zu verleugnen. Der Unterschied zwischen uns und dem Mainstream der Gesellschaft ist, dass wir eben Leiden und Schmerzen nicht verleugnen, sondern eine Feierkultur entwickeln, wo alle Aspekte Platz haben, unser Selbstbewusstsein genauso wie unsere Wut oder unsere Trauer.
Marie Metzer: Wir sind uns aber bewusst, dass wir mit der Pride Parade nicht alle erreichen können, vor allem die nicht, die weggeschlossen sind und gar nicht die Möglichkeit haben, frei auf die Straße zu gehen.
Matthias Vernaldi: Wir sind ja auch nicht in allererster Linie Behinderte oder Kranke, sondern Menschen. Einem wie mir wird es ja immer abgesprochen, dass ich feiern kann. Ich muss immer nur nach Luft japsen und traurig sein, weil ich ja so ein schweres Leben habe. Wir werden als ­defizitär, krank, anders wahrgenommen und dadurch stigmatisiert. Statt das schamvoll auszublenden, wollen wir darauf hinweisen, dass es Teil des Lebens aller Menschen ist. Daher feiern wir auch in allererster Line, dass wir da sind, und nicht unsere Behinderung.
In dem Bündnis haben sich Menschen mit Behinderung, Leute mit Psychiatrieerfahrung und Unterstützer, die selbst nicht betroffen sind, zusammengefunden. Wie gelingt die Zusammenarbeit?
Sven Drebes: Es gab solche Ansätze schon mal in den neunziger Jahren, als Leute unter der Selbstbezeichnung ›Freaks‹ zusammengearbeitet haben. Eigentlich sind die Organisationen und Aktivi­täten auch nach einzelnen Diagnosen und Betroffenheiten sehr separiert. Es ist schon ein Erfolg der Parade, dass wir diese Trennungen und Spaltungen überwinden konnten, in der Vorbereitung und auch auf der Parade selbst. In der Bündnisarbeit sind alle gleichberechtigt, das Wort der Betroffenen hat aber ein besonderes Gewicht. Außerdem ist der Raum, um öffentlich in Erscheinung zu treten, für die Betroffenen reserviert.
Marie Metzer: Ich denke, unsere Zusammenarbeit funktioniert sehr gut. Was wir beispielsweise immer wieder diskutieren, ist die unterschiedlicher Sichtbarkeit. Psychische Diagnosen kann man halt viel weniger sichtbar machen, als wenn jemand im Rollstuhl sitzt. Und vielleicht will man das auch gar nicht. Ich selbst habe zum Beispiel Schwierigkeiten, öffentlich aufzutreten, weil ich immer aus meiner Psychiatrieerfahrung heraus spreche und nicht immer möchte, dass der ganze Raum das weiß. Manchmal wird es auch politisch schwierig. Eigentlich wenden wir uns gegen den kapitalistischen Zwang, immer funktionieren zu müssen, andererseits war es, als ich in der Psychiatrie war und überhaupt nichts mehr konnte und auch ganz orientierungslos war, sinnvoll, wieder funktionieren zu können.
Diesen Widerspruch zwischen funktionieren wollen und funktionieren sollen habt ihr auf der Veranstaltung zu Inklusion im Mai diskutiert. Wie kann ein emanzipatorischer Umgang mit diesem Problem aussehen?
Michael Zander: Die Frage ist immer, welcher Zweck mit Inklusion verfolgt werden soll. Eigentlich ist es eine sehr emanzipatorische Idee: Jeder nach seinen Fähigkeiten, jedem nach seinen Bedürfnissen. Das ist einer kapitalistischen Ge­sellschaft aber total fremd. Das bedeutet, dass das Konzept der Inklusion verwässert wird zu einer Inklusion der Nützlichen, oder man belässt es gleich bei einer schönen Idee für die Sonntagsrede.
Mo Simon: Ich finde es im Kontext der Psychiatrie absurd, von Inklusion zu sprechen. Viele Leute sind gegen ihren Willen eingesperrt und werden mit Medikamenten behandelt, die sie von der ganzen Welt abschneiden.
Marie Metzer: In Psychiatrien werden die Leute mit Medikamenten zugeschüttet, damit sie wieder funktionieren. Es geht eben nicht darum, was die Leute für Bedürfnisse und Probleme haben, was sie eventuell aufarbeiten müssen, an welchen Strukturen sie zerbrechen. Um wieder aus der Klapse rauszukommen, muss man stattdessen eine Strategie entwickeln. Der Arzt muss einem glauben, dass es schon wieder besser geht, dass man draußen klarkommt, dass man wieder studieren oder arbeiten will. So funktioniert das halt. Eigentlich braucht man Unterstützung, wo man sie aber theoretisch herbekommen sollte, gibt es keine, oder zumindest nicht die, die man braucht.
Mo Simon: Das ist ja auch kein Wunder, denn vielen Betroffenen wird mit dem Eintritt in die Psychiatrie das Recht auf körperliche Unversehrtheit und der freie Wille aberkannt, viele verlieren ihre bürgerlichen Freiheiten und Menschenrechte komplett.
Auf eurem Plakat, das zur diesjährigen Pride Parade aufruft, gibt es zwei kleine Geschichten, in denen Leute mit Superkräften ein Loch in die Mauer einer Psychiatrie sprengen und aus der Werkstatt wegfliegen, um an der Parade teilzunehmen. Gehört es zu euren politischen Zielen, diese Institutionen abzuschaffen?
Sven Drebes: Wir wollen niemandem vorschreiben, was ein gutes Leben ist. Aber wir haben die Vorstellung, dass die Leute, die an der Parade teilnehmen, das System vielleicht nicht komplett wegsprengen, aber es ein bisschen untergraben, indem sie in ihrem Kopf etwas bewegen oder in den Köpfen anderer Leute.
Matthias Vernaldi: Für manche Teilnehmer ist es tatsächlich so, dass sie ein Loch sprengen müssen in das Gehäuse der Scham. Wenn sie die Gebäude verlassen, in denen sie von der Öffentlichkeit weggehalten werden, sei es Psychiatrie oder Heim, ist es ein Akt der Befreiung, sich auf der Parade in die Öffentlichkeit zu stellen.
Sven Drebes: Körperbehinderte haben auch andere Erfahrungen als »geistig Behinderte«, und Psychiatrieerfahrene noch mal andere mit dem Weggesperrtsein. Bei der einen Gruppe ist es richtig physisch greifbar, durch verschlossene Türen und Fixierungen. Bei der anderen Gruppe ist es subtiler durch die Bindung von Unterstützungsleistungen an bestimmte Institutionen oder die komplette Verweigerung von Unterstützung und Assistenz.
Mo Simon: Auch Körperbehinderte und Psychiatrieerfahrene sind in sich keine homogenen Gruppen und das jeweilige Ein- und Weggesperrtsein wird individuell ganz verschieden erlebt. Trotzdem gibt es eben auch Gemeinsamkeiten und einen gemeinsamen Kampf.
Marie Metzer: In dem Bündnis gibt es zudem einen Austausch über die verschiedenen Ausschlüsse, Probleme und Lebensrealitäten, so dass ich sogar viele Sachen gelernt habe, die ich vorher nicht so auf dem Schirm hatte. Das ermöglicht es erst, einen Blick für bestimmte Sachen zu entwickeln. Es ist auch eine tolle Erfahrung bei der Organisation der Pride, zu sehen, dass man mit seinen Erfahrungen politisch arbeiten und sie vermitteln kann und nicht verheimlichen muss. Wir wollen außerdem das große Tabu in der Linken und der Szene aufsprengen, über persönliche Krisen und psychiatrische Diagnosen zu sprechen. Das ist nicht nur eine Forderung an den gesellschaftlichen Mainstream, sondern auch an die linke Szene, da etwas zu ändern und offener zu werden.
Auf der Parade soll eine »glitzernde Krücke« an eine Institution verliehen werden, die sich besonders hervorgetan hat gegen Behinderte und Psychiatrieerfahrene. Welche Vorschläge gibt es?
Michael Zander: Auf Facebook hat jemand das Amtsgericht Bonn nominiert, weil es, besonders kreativ, nicht nur die Lautäußerungen einer Frau mit Lernschwierigkeiten als Zumutung aburteilte, sondern obendrein ihrer 82jährigen Mutter, die nachvollziehbarerweise mit ihrer Lebenssituation überfordert ist, Ordnungshaft androhte. Außerdem wurde zum Beispiel der sozialpsychiatrische Dienst Neukölln vorgeschlagen für dessen Schikanen, Beleidigungen und Demütigungen im Zusammenhang mit dem persönlichen Budget.