Die Pläne für den Ausbau des Breitbandnetzes

Auf dem Land surft es sich schlecht

Die Pläne der Großen Koalition für den Ausbau des Breitbandnetztes orientieren sich nicht an den Nutzern, sondern an den wirtschaftlichen Interessen der Telekommunikations- und Netzunternehmen.

Stefan Zierke zeigte sich betrübt. »Bei uns in der Uckermark verfügen nur fünf Prozent der Haushalte im ländlichen Raum über einen Breitbandzugang mit einer Geschwindigkeit von 50 Megabit pro Sekunde«, berichtete der SPD-Bundestagsabgeordnete bei seiner Jungfernrede Anfang Juli im Berliner Reichstagsgebäude. »Das heißt, 95 Prozent der Haushalte im ländlichen Raum können zum Beispiel gar nicht meine heutige erste Rede über den Livestream des Bundestages miterleben«, ärger er sich. Wenn das nächste Mal ein Bundestagsabgeordneter aus der 90 Kilometer nördlich von Berlin gelegenen Uckermark seine erste Rede im Parlament hält, werden die Leute auch dort Livestreams empfangen können – jedenfalls wenn sie genug Geld für die Gebühr haben. Für die hohen Internetkosten werden sie sich auch bei Zierke bedanken dürfen. Bei seiner Rede ging es um den Antrag zum Breitbandausbau in Deutschland, den die Fraktionen der Union und der SPD gemeinsam in den Bundestag eingebracht hatten. Der Antrag liest sich in weiten Teilen wie ein Wunschzettel der Konzerne, die mit dem Internet Geld verdienen. Für sie sollen »Investitionshemmnisse« abgebaut, »Wirtschaftlichkeitslücken« geschlossen und Förderbedingungen vereinfacht werden. Die Branche ist hochzufrieden. »Der Antrag setzt auf einen Technologie-Mix und Planungssicherheit mit einem innovations- und investitionsfreundlichen Regulierungsrahmen«, lobte Bernhard Rohleder, der Hauptgeschäftsführer des Bundesverbands Informationswirtschaft, Telekommunikation und neue Me­dien (Bitkom).

Die Interessen der Nutzer spielen im Antrag keine Rolle. Dabei ist der Zugang zum Netz längst eine Frage der Daseinsvorsorge, für immer mehr Menschen ist er privat oder beruflich fast so wichtig wie der Strom- und Wasseranschluss. Doch nur 60 Prozent der Haushalte bundesweit haben eine schnelle Internetverbindung. Die Große Koalition will Unternehmen animieren, in den Ausbau der Infrastruktur zu investieren – jedenfalls da, wo schnell Gewinne zu erwarten sind. In den Regionen, in denen es sich für die Branche vielleicht nicht lohnen könnte zu investieren, sollen Bund und Länder sie mit Fördergeldern unterstützen. Und nicht nur da kommen Union und SPD der Branche entgegen.
Werden Bundesregierung und IT-Industrie Hand in Hand ihre Pläne ungestört umsetzen, wird es mit der sogenannten Netzneutralität bald völlig vorbei sein. Netzneutralität bedeutet, dass alle Daten bei der Übertragung im Internet gleich behandelt werden. Es ist also unerheblich, wer Empfänger und Sender ist. Telekommuni­kationsanbieter wollen aber die Möglichkeit haben, ihre Kunden unterschiedlich zu behandeln, um darauf neue Geschäftsmodelle aufzubauen. Auch heute ist das punktuell schon der Fall, etwa bei Tarifen für mobile Anwendungen, bei denen ab einer bestimmten Download-Menge die Geschwindigkeit gedrosselt wird. Die Große Koalition will nun dafür sorgen, dass bis 2018 bundesweit Netze mit einer Übertragungsgeschwindigkeit von 50 Megabit pro Sekunde zur Verfügung stehen. So steht es im Koalitionsvertrag.
Die Regierung ist fest entschlossen, beim Aufbau der modernen Internet-Infrastruktur den Unternehmen so weit wie möglich zu Diensten zu sein. Verantwortlich für den Ausbau des schnellen Internets ist der Mann mit der passenden Nerd-Brille aus Bayern. Alexander Dobrindt (CSU) ist nicht nur Bundesverkehrsminister, sondern auch Minister für »digitale Infrastruktur«, der erste mit dieser Zusatzbezeichnung. Dobrindt hat die »Netzallianz Digitales Deutschland« ins ­Leben gerufen, um die Bundesrepublik und Europa an die »Spitze des Fortschritts« zu führen. Dahinter verbirgt sich ein staatlich organisiertes Treffen von Vertretern der großen Telekommu­nikations- und Netzunternehmen, wie der Telekom, Vodafones oder den jüngst fusionierenden E-Plus und Telefonica Germany, und Verbandsfunktionären. Sie wollen bis zum Herbst ein »Kursbuch« für den Ausbau des schnellen ­Internets vorlegen. Das ist eine hervorragende Gelegenheit für die Branche, ihre Claims abzustecken. Verbraucher- und Nutzerinteressen werden dabei keine Berücksichtigung finden, schon weil niemand aus diesem Kreis Teil der »Netzallianz« ist.

Wohin die Reise geht, erklärt unverblümt der wirtschafts- und energiepolitische Sprecher der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, Joachim Pfeiffer. »Wir wollen kein Einheitsinternet«, betonte er. Der »gleichberechtigte Zugang zum Internet« dürfe »nicht verwechselt werden mit einer kostenfrei unbegrenzten Nutzung für jeden«. Ziel ­jeder Regulierung – also jedes staatlichen Eingriffs – müssten »diskriminierungsfreie Dienstklassen« sein. Das bedeutet: Die Anbieter sollen das Recht bekommen, verschiedene Nutzerklassen im Internet zu schaffen und eine Geschwindigkeitshierarchie einzuführen. Den Begriff »diskriminierungsfrei« hat Pfeiffer der Debatte um Netzneutralität entlehnt – als gehe es ihm um die Gleichbehandlung aller Nutzer. In der Internet-Klassengesellschaft werden gleiche Bedingungen nur für die Angehörigen der jeweiligen Tarifstufen gelten: schnelles Internet nur für solvente Surfer. »Der mit hohen Milliardeninvestitionen verbundene Netzausbau kann von den Netzbetreibern nur geleistet werden, wenn Investitionen zur Entwicklung besserer Serviceangebote und Qua­litätsstufen bei der Datenübermittlung durch entsprechende Vergütungen honoriert werden«, sagte Pfeiffer. Dabei investieren die Unternehmen ohnehin nur an den Orten, an denen sie jetzt schon Gewinne erwarten.
Investieren müsste die Branche vor allem auf dem Land. Das ist ihr zu teuer. Nach einer TÜV-Studie kostet der Anschluss ans schnelle Internet auf dem Land aufgrund langer Wege je nach Region zwischen 700 und 4 000 Euro. 80 Prozent der Kosten entfallen auf das Graben der erforderlichen Tunnel für Kabel. Jeder vierte oder fünfte Haushalt in Deutschland würde ohne zusätzliche Fördermaßnahmen kein schnelles Internet bekommen, schätzt der SPD-Bundestagsabgeordnete Martin Dörmann. Auf die Idee, Unternehmen zu Mischkalkulationen für Investitionen in ländlichen und städtischen Gebieten zu zwingen, kommen Dörmann und seine Parlamentskollegen nicht. Dabei ist es nicht einzusehen, dass Unternehmen in Großstädten hohe Gewinne erzielen, sich aber um die Infrastruktur 50 Kilometer weiter nicht kümmern müssen.

Stattdessen sollen Gemeinden und Länder beim Bau von Brücken und anderen Verkehrsprojekten verpflichtet werden, leere Rohre zu verlegen, durch die später Kabel gezogen werden können. »Aber viele Kommunen, insbesondere die, die ­finanziell knapp dran sind, können das gar nicht leisten; denn die Kommunalaufsicht würde ihnen überhaupt nicht genehmigen, Mittel für diese zusätzliche Investition in ihren Haushalt einzustellen, weil es sich hierbei um sogenannte freiwillige Leistungen handelt«, kritisierte der Bundestagsabgeordnete Herbert Behrens (Die Linke). Sehr viel mehr als die Allzweckwaffe der Linkspartei, die »Vermögenssteuer« zur Finanzierung des In-frastrukturausbaus, für den Kosten von 20 Milliarden Euro veranschlagt werden, ist dem Abgeordneten als Entgegnung auf den Vorstoß der Großen Koalition allerdings nicht eingefallen. Und auch die Grünen scheinen außer dem Ruf nach mehr Wettbewerb für die Branche keine Idee zu haben, wie die Alternative zum nun in die Wege geleiteten Aufbau einer Internet-Infrastruktur im ausschließlichen Interesse der Industrie aussehen könnte. Angesichts der Phantasielosigkeit der Opposition ist es vielleicht gar nicht schlecht, Bundestagsdebatten nicht im Live­stream empfangen zu können.