Der frühere NPD-Politiker Ralf Wohlleben im NSU-Prozess

Die Dringlichkeit des Tatverdachts

Im NSU-Prozess wird es allmählich eng für den Angeklagten Ralf Wohlleben. Dem früheren NPD-Politiker wird Beihilfe zu neun Morden vorgeworfen.

Der im Münchner NSU-Prozess angeklagte thüringische Neonazi Ralf Wohlleben wird nicht vorzeitig aus der Untersuchungshaft entlassen. Die Richter lehnten Anfang Juli einen entsprechenden Antrag Wohllebens ab. Aus ihrer Begründung folgern Experten, dass der Thüringer damit rechnen muss, wegen Beihilfe zu neun Morden verurteilt zu werden. Der mitangeklagte Carsten Schultze, der bei der Beschaffung der NSU-Mordwaffe eine zentrale Rolle gespielt hatte, kann, weil er sich selbst schwer belastete, »auf Milde hoffen«, schreibt Tanjev Schultz in einem Kommentar für die Süddeutsche Zeitung.

Nach Ansicht der beiden Verteidiger Wohllebens, Nicole Schneiders und Olaf Klemke, ist ihrem Mandanten im Prozess bisher keine objektive Beihilfehandlung zum Mord an neun Personen, die mit einer Pistole Česká 83 erschossen wurden, nachgewiesen worden. Der Anklage zufolge bestand die Beihilfe darin, dass Wohlleben dem Mitangeklagten Schultze den Auftrag gegeben habe, die Pistole zu besorgen. Die Verteidigung hält es hingegen allenfalls für belegbar, dass ihr Mandant Schultze einen »Tipp« gegeben hatte. Des Weiteren sei, nach ihrer Ansicht, nicht ausgeschlossen, »dass der sogenannte NSU die von S. beschaffte Waffe veräußert, getauscht oder entsorgt hat«. Somit sei auch nicht nachgewiesen, dass es sich bei der Waffe um die Tatwaffe gehandelt habe. Zum Zeitpunkt des »Tipps«, so Schneiders und Klemke, sei Wohlleben nicht bewusst gewesen, dass die Česká für eine Mordserie besorgt werden sollte. Es sei außerdem nicht absehbar gewesen, um was für eine Waffe es sich handeln würde, so die Verteidiger. Ihr Kalkül ist es, die Bestellung der Waffe als harmlose Hilfeleistung für die Untergetauchten darzustellen und von der Mordserie zu entkoppeln. Wenn Wohlleben nachgewiesen werden kann, dass er nicht nur die Česká, sondern auch einen Schalldämpfer bestellte, wäre dies ein weiteres Indiz für eine geplante illegale Verwendung der Waffe gewesen. Ein Schalldämpfer lässt die Schlussfolgerung zu, dass die Waffe dazu gedacht war, unbemerkt Morde begehen zu können. Damit würde sich die Beweislage erhärten. Der »Gehilfenvorsatz« Wohllebens wäre kaum noch zu leugnen. Zwar beharrt Schultze bisher auf seiner Aussage, das Waffenzubehörteil sei ihm bei der Abholung der Pistole mitgegeben worden, doch dagegen steht die Aussage des Waffenlieferanten, des Thüringer Neonazis Andreas Schultz. Dieser gab in einer Vernehmung im Januar 2012 zu, dass er »die Scheißknarre besorgt« hatte. Mit Schalldämpfer und Munition. Schultze brachte sie dann als Kurier nach Chemnitz zu Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt. Nach Ansicht von Wohllebens Anwälten ist aber dennoch nicht belegt, dass ihr Mandant über die Mordpläne des NSU Bescheid gewusst habe. »Es ist nicht ersichtlich, warum Herr Wohlleben damit rechnen musste, dass das sogenannte Trio dazu übergehen sollte, Ausländer anzugreifen oder gar zu töten«, heißt es in ihrem Antrag. Die Bundesanwaltschaft ist anderer Ansicht. Der dringende Tatverdacht in der Beweisaufnahme habe sich nicht nur bestätigt, sondern intensiviert. Der Ankläger geht »dringend davon aus«, dass es sich bei der von Schultze an Böhnhardt und Mundlos übergebenen Waffe um die Tatwaffe der »Česká-Mordserie« handelt.

Die Bundesanwaltschaft bezweifelt nicht die detaillierten Angaben Schultzes. Der dringende Verdacht, dass dieser auf Weisung Wohllebens gehandelt habe, wird von den Anklägern als »in objektiver Hinsicht« glaubhaft eingeschätzt. Hinzu kommt, dass der angeklagte Neonazikader nach Angaben der Bundesanwaltschaft einen weiteren Mitangeklagten, Holger Gerlach, dazu veranlasst habe, eine andere Schusswaffe nebst Munition für das untergetauchte NSU-Trio nach Zwickau zu transportieren. Um das ideologische Fundament des NSU-Trios näher zu beleuchten, beantragten Anwälte der Nebenklage, zwei Ausgaben eines Neonazi-Fanzines als Beweismittel in den NSU-Prozess einzuführen. Das Fanzine trägt den programmatischen Titel »The Aryan Law and Order« und propagiert einen »Racial Holy War«. Herausgegeben wurde es als Rundbrief von der »Weißen Bruderschaft Erzgebirge«, die angeführt wurde von den Zwillingsbrüdern André und Maik Eminger. Inhaltlich beziehen sich viele der Texte auf die Schriften der amerikanischen Neonazis William Luther Pierce, Tom Metzger und Robert Mathews. Pierce, der 2002 verstorbene Autor des Romans »The Turner Diaries«, gilt als einer der geistigen Ziehväter vieler Rechtsterroristen. Er predigte den »führerlosen Widerstand« kleiner autonomer Zellen. Sein Buch gilt als Inspirationsquelle für mehrere terroristisch motivierte Einzelpersonen und Gruppen.
Die Eminger-Brüder streben wie Pierce eine Nation nur für Weiße an. »Bei uns ist Rassenzugehörigkeit stets größer geschrieben als Staatsangehörigkeit«, schreiben sie in ihrem Fanzine. Weiter heißt es: »Denn wir sind für ein weißes Europa, in einer weißen Welt, in der Grenzen, die willkürlich von Politikern gezogen wurden, nichts zu suchen haben.« Die Texte sollen bei oder nach Treffen in Chemnitz, an denen sich auch Beate Zschäpe, Mundlos und Böhnhardt beteiligten, entstanden sein. Mit der inhaltlichen Auswertung der Hetzschriften wollen die Opferanwälte beweisen, dass die Brüder halfen, »das geistige Fundament für die Serie der zehn NSU-Morde zu legen«. Bundesanwalt Herbert Diemer hat zugesagt, den Antrag der Nebenkläger zu unterstützen. Emingers Verteidiger versuchen hingegen geltend zu machen, dass ihr Mandant in einem Interview zu Gewaltlosigkeit aufgerufen habe.

Als friedliebender und humorvoller Mensch versuchte sich auch Thomas Gerlach, ein ehemaliger Aktivist des »Freien Netzes«, im Zeugenstand zu präsentieren. »Wenn ich in Internetforen schreibe, dass man ja auch mal Polizeiwachen abfackeln könne, dann versteht das dort jeder als Spaß. Das ist eben meine Art von Humor«, gab er zu Protokoll. Gewalt sei niemals Thema gewesen: »Das war Konsens, dass das nicht funktioniert. Da brauchte man nicht groß drüber zu reden.« Befragt zu seinen politischen Aktivitäten, äußerte sich Gerlach vage, er sei ein Sozialist, der sich »zu seinem Volk und seiner Heimat bekennt«. Es sei deshalb »nicht ehrenrührig, wenn mich jemand als nationaler Sozialist bezeichnet«. Als ihn der Vorsitzende Richter, Manfred Götzl, nach seiner Mitgliedschaft bei den sogenannten Hammerskins befragte, verweigerte Gerlach die Aussage: »Mein mir selbst gestelltes Wertegefüge gebietet es mir, darüber nicht zu sprechen.« Auf die Androhung von Zwangsmaßnahmen reagierte er gelassen. Gerlach, der vor einigen Jahren in den Verdacht geriet, bei der Beschaffung von Waffen für die portugiesischen Hammerskins behilflich gewesen zu sein, soll sich seit seiner Hochzeit im Jahr 2009 weitestgehend aus der Öffentlichkeit zurückgezogen haben. Vor Gericht gab er an, von Beruf Dachdecker zu sein. Antifaschisten berichten jedoch, Gerlach sei weiterhin international vernetzt und 2011 für ein »Hammerskins«-Konzert nach Portugal gereist. Zuletzt twitterte er eine Nachricht über die der Festnahme seines ehemaligen Mitstreiters im »Thüringer Heimatschutz«, Tino Brandt: »V-Mann-Ratte und bundesrepublikanischer Agent Brandt endlich in U-Haft! Nach Betrug nun Kinderschänderei! Eine BRD-Karriere … « Brandt war V-Mann für den Thüringer Verfassungsschutz. In dieser Woche wird er als Zeuge im NSU-Prozess befragt. Das Gericht hat für diese erste wissentliche Befragung eines V-Manns drei Tage reserviert. Von Brandt erhofft es sich Aufschlüsse bei der Frage, welche Rolle der Verfassungsschutz beim Aufbau des NSU gespielt hat.