Talmi

Photoshock

Smarter und smarter wird es, mein Smartphone. Nicht nur sieht es besser aus als ich, es hat mein Leben auch besser im Griff, erinnert sich an alle wichtigen Geburtstage, kauft für mich ein, macht Vorschläge für Ausflüge ins Umland. Ja, so soll’s auch sein, die Maschinen haben uns schließlich zu entlasten, sollen unser blühendes sozialistisches Utopia verwalten, während wir in Schumann-Konzerte gehen oder betrunken in der Hängematte dösen.
In letzter Zeit wird mein Handy allerdings ganz schön autoritär – und dringt in Bereiche vor, die ich bisher für mich selbst reserviert dachte, in die Welt von Kunst und Schönheitssinn. So bearbeitet die Google-Bildergalerie jetzt selbsttätig die Bilder, die sie irgendwie scheiße findet. Wenn irgend noch ein Fuß reinragt, wenn das Licht nicht stimmt oder die Tiefenschärfe, baut die App ungefragt dran rum; bei Gruppenaufnahmen setzt sie darüber hinaus aus mehreren gleichartigen Bildern eines zusammen, auf dem alle Beteiligten einigermaßen lächeln und nach vorne schauen. In frechem Kinderstolz reibt sie mir das Ergebnis unter die Nase: Schau her, ich bin nur eine kleine KI und kann trotzdem viel besser fotografieren als du.
Ich meinenteils bin sehr dafür, dass die Maschinen jetzt auch als Kunstrichter auftreten. Vor einigen Jahren stand ich in Berlin einmal vor einer bemalten Hauswand und telefonierte. Ich trug ein weißes Hemd mit Kragen, dunkle Jeans. Dies provozierte einen dieser unerträglichen Urbanfotografen, mich aus gleich mehreren Perspektiven abzulichten. Ich wusste sofort, um was es ihm ging: doofer Yuppie vor Graffiti, boah, gentri-gentri, unser schönes autonomes Viertel! Wenn kluge Kameras dereinst auch solche Arschkrampenkunst verhindern, sehe ich dem Fortschritt gelassen entgegen.