Isis als Gefahr für Israel

Über den Jordan

Die Grenzen der territorialen Expansion von Isis dürften erreicht sein. Dennoch ist die Organisation eine Gefahr für Israel und Juden in aller Welt.

Mit den Erfolgen von Isis wird das jihadistische Publikum anspruchsvoller. Bemängelt wird derzeit das fehlende Engagement im Kampf gegen Israel. Nidal Nuseiri, ein Sprecher von Isis, erläuterte daher die Strategie: Die Zerstörung Israels sei selbstverständlich ein zentrales Ziel, doch müssten dafür erst die Voraussetzungen geschaffen werden, vor allem durch die Schwächung der USA und ihrer Position in den islamischen Staaten sowie eine Erweiterung des von Isis beherrschten Territoriums.
Das entspricht der strategischen Doktrin von al-Qaida, aus der Isis hervorging. Ussama bin Laden war der Ansicht, zunächst sollte die Macht in islamischen Staaten übernommen werden, überdies wollte er die USA durch die Anschläge vom 11. September in einen Abnutzungskrieg in Afghanistan verwickeln, von dem er hoffte, er werde den »großen Satan« ruinieren. Erst dann sollte der Angriff auf Israel folgen. Neben stra­tegischen Überlegungen spielte auch die islamistische Doktrin eine wichtige Rolle. Ayman al-Zawahiri, damals wie heute der wichtigste Ideologe von al-Qaida, begann seine Karriere in den siebziger Jahren in der ägyptischen Jihad-Organisation, die den Kampf gegen Israel als verfrüht ablehnte. Zunächst müsse die »Islamisierung« der eigenen Gesellschaft erfolgen, da sie nur dann eines Sieges über Israel würdig sei. Schließlich würde der Erfolg eines aus der Sicht der Jihadisten unislamischen Regimes eher Israel stärken.
Isis folgt der Strategie von al-Qaida. Mit der Eroberung weiter Teile des Irak hat die Organisation ihre Verteidigungs- und Nachschublinien jedoch bereits überdehnt. Wo ihre Kämpfer auf ernsthaften Widerstand stoßen, wie an der Grenze zum kurdischen Autonomiegebiet im Nord­irak, stoppen sie ihren Vormarsch. Nach ausgedehnten Plünderungen fehlt es zwar nicht an Geld und Waffen, auch neue Rekruten aus aller Welt strömen Isis zu. Im konventionellen Krieg bleibt die jihadistische Organisation dennoch ein schwacher Gegner.
Das bedeutet allerdings nicht, dass die Israelis sich keine Sorgen machen müssen. Der Aufschub des Vernichtungskriegs gegen Israel ist keine Absage an antisemitische Anschläge, die bereits al-Qaida verübte. Jihadisten sind auch Populisten und antisemitischer Terror ist insbesondere in Zeiten der Eskalation im israelisch-palästinensischen Konflikt über den engeren Sympathisantenkreis hinaus populär. Das Verhältnis von Isis und al-Qaida ist noch nicht endgültig geklärt, doch spricht derzeit alles dafür, dass Isis mit ihrem Kalifen Ibrahim (alias Abu Bakr al-Baghdadi) sich als Nachfolger der traditionellen Führung des globalen Jihadismus sieht. Vom Überraschungserfolg im Irak kann Isis noch eine Weile zehren, doch um dem Führungsanspruch dauerhaft gerecht zu werden, muss die Organisation im gesamten Bereich des jihadistischen Terrors Handlungsfähigkeit beweisen. Für antisemitische Anschläge werden derzeit offenbar die Voraussetzungen geschaffen.

Fahnen von Isis waren bereits bei einem Begräbnis im Gaza-Streifen zu sehen, im Internet wurde ein Video verbreitet, das angebliche Isis-Kämpfer beim Abschuss von Raketen zeigt. Der Hintergrund ist noch unklar. Die Hamas will ihr Machtmonopol auch gegenüber konkurrierenden islamistischen Terrorgruppen wahren und ist daher bemüht, deren Präsenz zu leugnen und zu verbergen. Dass Korruption und Misswirtschaft der regierenden Islamisten manche Anhänger dazu bewegen, sich einer »reineren« Bewegung anzuschließen und fanatisierte Jihadisten Gefallen an einer Organisation finden, die im Gegensatz zur Hamas Erfolge vorweisen kann, ist jedoch naheliegend.
Stärker noch scheint Isis an Jordanien interessiert zu sein. Dessen Königshaus hat die Welle der arabischen Revolten bislang überstanden und die Islamisten im eigenen Land weitgehend integriert. Die Armee ist modern ausgerüstet, überdies kann sie auf die Hilfe der USA und Israels zählen. Es kommt immer wieder zu Scharmützeln an den Grenzen, so wurden nach Angaben der Jordan Times am Mittwoch vergangener Woche drei Isis-Kämpfer bei einer Schießerei mit einer Grenzpatrouille verwundet.
Eine Invasion muss König Abdullah nicht fürchten, gefährlich kann jedoch auch die Infiltration durch kleine Gruppen sein. Isi (Islamischer Staat im Irak), die Vorläuferorganisation von Isis, wurde von dem Jordanier Abu Musab al-Zarqawi ­geführt, der den Terror zurück in sein Herkunftsland brachte. Im November 2005, im Jahr bevor Zarqawi bei einem US-Bombenangriff starb, wurden bei Anschlägen auf drei Hotels in Amman 57 Menschen getötet. Die Bekennererklärung von Isi bezeichnete Jordanien als »Schutzwall für die Juden« und drohte mit Anschlägen in Israel.
Daran wird Isis wohl anzuknüpfen versuchen. Bei Demonstrationen in Amman und der Kleinstadt Ma’an wurden Fahnen von Isis gesehen, doch ist unklar, ob es handlungsfähige Gruppen gibt. Die Enttäuschung über die mangelnde Konfrontationsbereitschaft etablierter islamistischer Organisationen dürfte Isis nutzen können. Die Zahl der für Isis in Syrien und im Irak kämpfenden Jordanier wird auf 1 000 geschätzt, obwohl Polizei und Geheimdienst die Rekrutierung zu unterbinden versuchen. Auf eine Machtübernahme kann Isis nicht hoffen, doch für die Bildung terroristischer Gruppen ist eine ausreichende Basis vorhanden. Damit wächst auch die Gefahr, dass Terroristen nach Israel vordringen, wie es im August 2011 mehreren Kleingruppen vom Sinai aus gelang, die im Süden Israels acht Menschen töteten.
Der Norden des Sinai bietet geeignete Bedingungen für die Infiltration durch Isis. Polizei und Militär Ägyptens werden wegen ihres brutalen Vorgehens von der örtlichen Bevölkerung als Besatzungsmacht gesehen, haben den Norden der Halbinsel aber nicht unter Kontrolle. Jihadistische Gruppen sind in dieser Region seit mehr als zehn Jahren aktiv und scheinen sich nun Isis anzuschließen. Dies berichteten Clanführer einem Journalisten der Online-Zeitung al-Monitor. Nach Angaben der ägyptischen Behörden wurden zudem 15 Isis zugerechnete Jihadisten verhaftet. Isis hat die Jihadisten des Sinai zum Kampf gegen die ägyptische Armee und zur Errichtung eines »islamischen Staates« aufgefordert. Das tatsäch­liche Ziel dürfte es sein, durch Angriffe auf die ägyptische Armee und die Liquidierung der traditionellen beduinischen Führungsschicht ein Operationsgebiet zu schaffen und die Blockade des Gaza-Streifens wieder zu lockern.

Davon würde auch die Hamas profitieren. Obwohl ihr Machtmonopol noch nicht gefährdet ist, muss sie die terroristische Konkurrenz fürchten. Ihr wichtigstes Kampfmittel, der Raketenbeschuss, erweist sich angesichts der Erfolge des Abwehrsystems Iron Dome als immer ineffektiver. Die provozierte israelische Bombardierung des Gaza-Streifens löst zwar noch einmal die üblichen Reflexe aus, doch hat die Hamas, ebenso wie die libanesische Hizbollah, in der arabischen Welt erheblich an Ansehen verloren. Beide Organisa­tionen sind auch materiell geschwächt.
Der Kampf gegen Israel und die Juden hat für Isis vornehmlich eine propagandistische, damit für eine auf Rekruten, einflussreiche Helfer und Spenden angewiesene Gruppe aber essentielle Funktion. Die jihadistische Organisation wird daher wohl versuchen, beim antisemitischen Terror die Führung zu übernehmen. Um eine Infiltration zu verhindern, hat die israelische Regierung Ende Juni den Bau einer Sperranlage an der Grenze zu Jordanien angekündigt, ein Sicherheitszaun an der Grenze zu Ägypten wurde bereits errichtet. Da Israel sich immer besser zu schützen vermag, sind wahrscheinlich Israelis im Ausland und Juden in aller Welt umso stärker gefährdet.