Oscar Deutsch im Gespräch über den Angriff gegen Spieler von Maccabi Haifa in Österreich

»Die Angreifer hatten leichtes Spiel«

Vor wenigen Tagen musste ein Testspiel des israelischen Erstligisten Maccabi Haifa gegen den französischen Club OSC Lille, das im österreichischen Bischofshofen (Bundesland Salzburg) ausgetragen wurde, nach 85 Minuten vom Schiedsrichter abgebrochen werden. Rund 20 Männer hatten zuvor mit palästinensischen Fahnen und Transparenten mit der Aufschrift »Fuck Israel« den Platz gestürmt und Spieler von Maccabi tätlich angegriffen. Dabei soll auch ein Messer gezückt worden sein. Einige der israelischen Fußballer setzten sich aktiv gegen die Angreifer zur Wehr und verhinderten so Schlimmeres. »Wir sind 85 Minuten lang beschimpft worden, weil wir Israelis sind«, schrieb Maccabis Spieler Dekel Kainan auf Twitter, und sein Mannschaftskollege Yossi Benayoun ergänzte: »Wir hatten keine Wahl, außer uns selbst zu verteidigen.« Die Polizei wurde von den Ausschreitungen offenkundig überrascht. Es seien zwar Beamte vor Ort gewesen, sagte ihr Sprecher, sie hätten aber erst Verstärkung anfordern müssen. Festnahmen gab es keine, der Verfassungsschutz will nun ermitteln. Die Jungle World sprach mit Oscar Deutsch, dem Präsidenten der Israelitischen Kultusgemeinde Wien, über diese Vorfälle und den Antisemitismus in Österreich.

Kam der Platzsturm in Bischofshofen überraschend, oder hätten die österreichischen Behörden damit rechnen können, gar müssen?
Die entscheidende Frage ist ja immer, wie man so etwas einschätzt. Es gab schon einige Tage vorher in Wien, Bregenz und Innsbruck Demonstrationen für die Hamas. Bei diesen Demonstrationen wurden Hakenkreuzfahnen gezeigt, außerdem wurde »Tod den Juden« und »Tod den Israelis« skandiert. In Innsbruck hat man eine Frau sogar krankenhausreif geschlagen. Also hätte man sich auch in Bischofshofen denken können, dass möglicherweise etwas passiert. Was mich extrem stört, ist Folgendes: Wenn man schon sieht, dass etwas geschieht, und man die Leute dann verhört, verstehe ich nicht, warum sie nicht sofort verhaftet wurden. Sie haben den Platz gestürmt, um die Spieler von Maccabi Haifa zu verletzen, das war eindeutig, das hat jeder gesehen. Die Spieler haben das dann nicht zugelassen, sie haben sich gewehrt.
Haben Sie eine Erklärung, warum niemand verhaftet wurde?
Das ist vollkommen unverständlich für mich. Die Polizei war offenbar völlig unvorbereitet und hat sich schlichtweg überrumpeln lassen. Ein Unding.
Es wurden also auch keine Sicherheitsvorkehrungen getroffen. Lag das womöglich daran, dass man in einem kleinen Ort wie Bischofshofen einfach keine antiisraelischen Ausschreitungen erwartet hat?
Man hat anscheinend nicht sonderlich viel nachgedacht. Das mag auch daran liegen, dass Maccabi Haifa bereits zum zehnten Mal ein Trainingslager in Österreich bezogen hat, und meines Wissens ist so etwas wie in Bischofshofen vorher nie passiert. Testspiele wie das von Maccabi Haifa finden außerdem nicht in großen Stadien statt, wo schon aufgrund des Abstands zwischen den Tribünen und dem Platz für eine gewisse Sicherheit gesorgt ist. Auf den kleinen Plätzen sieht die Sache anders aus, da gibt es diesen Abstand nicht und die Angreifer hatten leichtes Spiel.
Sie haben bereits die Gegenwehr der Profis von Maccabi Haifa angesprochen. Verschiedentlich gab es Kritik daran, dass einige Spieler ihre Fäuste eingesetzt haben, auch von Seiten der Polizei.
Diese Kritik kann ich überhaupt nicht nachvollziehen. Es wäre übel ausgegangen, wenn die Spieler sich nicht gewehrt hätten. Schlimm genug, dass sie es mussten.
Es gab ein weiteres Testspiel von Maccabi Haifa in Österreich, nämlich gegen den deutschen Erstligisten SC Paderborn. Die Partie sollte eigentlich in Kirchbichl stattfinden, wurde dann aber – aus Sicherheitsgründen, wie es hieß – erst abgesagt und schließlich nach Leogang verlegt. Eine richtige Entscheidung?
Nein, damit setzt man das völlig falsche Zeichen. Wo kommen wir hin, wenn die antisemitischen Hetzer, die da in Bischofshofen aufs Spielfeld gestürmt sind, entscheiden, wo, wann, was in Österreich stattfinden oder auch nicht stattfinden kann? Das ist der eigentlich große Skandal für mich gewesen.
Konnte denn wenigstens das nach Leogang verlegte Spiel ohne besondere Vorkommnisse stattfinden?
Soweit ich weiß, ist da nichts passiert. Dafür hat es aber bei einem Spiel des FC Ashdod in Polen ähnliche Ausschreitungen wie in Bischofshofen gegeben, und in Dortmund haben Neonazis bei einer Partie der U19 von Maccabi Netanya antisemitische Parolen gerufen. Mir ist etwas sehr wichtig: Die Europäische Union ist ein Friedensprojekt, und deshalb sind die europäischen Politiker, aber auch die Politiker anderer Länder sowie ihre Zivilgesellschaften aufgefordert, dieses Aufkommen des Antisemitismus in Europa im Keim zu ersticken. Wir wissen aus der Geschichte, dass am Anfang die Worte stehen, dann folgen die Taten. Und wir sehen, dass es zu immer mehr antisemitischen Taten kommt. Deshalb ist es höchste Zeit, dass etwas passiert. Außerdem muss man die jüdischen und israelischen Institutionen einfach schützen. Wenn eine rote Linie überschritten wird, dann muss das konsequent geahndet werden. Und das geschieht bislang nicht.
Gab es bei Sportveranstaltungen in Österreich in der Vergangenheit schon häufiger antisemitische Angriffe, oder ist das eine neue Entwicklung?
Ich war 18 Jahre lang Präsident von Maccabi Wien, da kam es immer mal wieder zu Zwischenfällen. Aber verglichen mit dem furchtbaren Höhepunkt, den wir jetzt erleben, sind sie nicht der Rede wert.
Beobachten Sie insgesamt eine Zunahme des Antisemitismus in Österreich?
Es ist ein neuer Antisemitismus hinzugekommen. Den Antisemitismus von rechts gab es immer schon, es gibt ihn außerdem von links, beide sind relativ konstant. Und dann gibt es eben die radikalen Islamisten, die für eine neue Art von Antisemitismus stehen – in Österreich, aber auch in vielen anderen europäischen Ländern, Frankreich und Deutschland beispielsweise –, der immer stärker wird.
Fühlt sich die jüdische Gemeinde in Österreich zunehmend bedroht?
Sagen wir es so: Ich glaube nicht, dass es so weitergehen wird, und ich erwarte von den Politikern, dass sie sehen, dass es so auch nicht weitergehen kann. Ich erwarte aber auch von den verschiedenen muslimischen Vereinen, dass sie mit ihren Leuten sprechen und sie darüber aufklären, dass Antisemitismus – und es geht ja nicht nur darum, sondern auch um Fremdenhass – im heutigen Europa keinen Platz hat. Wenn das geschehen ist, müsste die Politik eine große Kampagne unter dem Motto »Nie wieder Antisemitismus« starten und die Bevölkerung viel stärker aufklären als bisher. Das wäre zumindest mal ein Anfang.