Der Antifaschist Josef S. wurde in Wien verurteilt

»Von Anfang an schuldig«

Der Antifaschist Josef S. wurde von einem Wiener Gericht trotz sehr dürftiger Beweislage verurteilt.

Zwölf Monate Haft, davon acht auf Bewährung – nach einem halben Jahr und drei Prozesstagen endete das Verfahren gegen den Antifaschisten Josef S. im Saal 303 des Landesgerichts für Strafsachen Wien mit einem Schuldspruch. Anfang des Jahres hatten ihn die österreichischen Behörden inhaftiert. Nach dem Urteil wurde der 23jährige Jenaer Student aus der Haft entlassen, weil er bereits sechs Monate in Untersuchungshaft gesessen hatte.
Auch am Ende des dritten Verhandlungstags war der einzige Belastungszeuge der bereits am ersten Prozesstag vorgeladene Polizeibeamte. Seine Glaubwürdigkeit wird von der Verteidigung in Frage gestellt. »In diesem Fall gibt es so viele so gravierende Widersprüche, dass ich meine, dass die Glaubwürdigkeit dieses Belastungszeugen so stark beschädigt ist, dass sie kein Fundament für ein korrektes Urteil mehr sein kann«, sagte Josefs Anwalt Clemens Lahner. Bereits am ersten Prozesstag behauptete der Beamte, dass Josefs ostdeutscher Dialekt ihn verraten habe. Dass der Ruf »Tempo, Tempo, weiter« nicht vom Angeklagten kam, belegt eine Stimmenanalyse. »Irren ist menschlich, jeder kann Fehler machen«, quittierte der Beamte damals den Hinweis der Verteidigung.

Insgesamt 60 Zeugen ließ Richter Thomas Spreitzer laden. Doch weder Steinwürfe noch das Werfen eines Mülleimers konnten Josef S. nachgewiesen werden. Der schwarze Pullover mit der Aufschrift »Boykott«, der ihn identifizieren sollte, war von keinem der weiteren Vernommenen wahrgenommen worden. Der Richter wollte dem Belastungszeugen trotzdem vertrauen: »Man muss auch auf Zeugen bauen können – wir leben Gott sei dank in keinem Überwachungsstaat, wo jeder Beamte eine Kamera hat, wo Drohnen herumfliegen.« Dass Zivilpolizisten, die eine Demonstration unterwandern, auch eine Form der Überwachung sind, kam ihm nicht in den Sinn.
Während des Prozesses wurde Josef vom Staatsanwalt mehrfach verbal angegriffen. Ein »Demonstrationssöldner« sei er, weil er politisch aktiv sei und bereits an mehreren Demonstrationen teilgenommen habe, und »feige«, weil er von seinem Recht, die Aussage zu verweigern, Gebrauch gemacht habe. Der Staatsanwalt schloss sein Plädoyer mit der Aussage, dass niemand das Recht habe, politische Forderungen mit Gewalt durchzusetzen. So etwas nenne er »Terrorismus« und der Rechtsstaat müsse »sich vor derartigen Auswüchsen schützen«. Indem sie nun doch bei der versuchten schweren Körperverletzung der Anfangsanklage blieb, reduzierte die Staatsanwaltschaft das geforderte Strafmaß wieder. Dass Josef S. mehrerer Straftaten, darunter Landfriedensbruch (Paragraph 274), zur Last gelegt werden, rechtfertigt in den Augen der Anklage jedoch die Forderung nach einer nur teilweise auf Bewährung ausgesetzten Strafe.
Heinz Patzelt, Generalsekretär von Amnesty International Österreich, sprach in Hinblick auf die Anwendung des Paragraphen 274 von einem »Rechtsbruch« und einem »Ausweichdelikt«, da die Polizei die schweren Straftaten im Einzelfall nicht habe aufklären können und nun auf Landfriedensbruch ausweichen müsse. Richter Spreitzer machte den Angeklagten unterdes sogar für das Verhalten der rechten Besucher des »Akademikerballs« verantwortlich, gegen den sich der Protest gerichtet hatte: »Welche Möglichkeit geben Sie den Leuten, die in der Hofburg tanzen? Da gibt es Aussagen wie ›Wir sind die neuen Juden‹ – die stellen sich als Opfer hin. (…) Das wäre ohne Ausschreitungen nicht passiert.« Die Verteidigung forderte einen Freispruch. Der Richter folgte der Argumentation der Anklage und sprach Josef des Landfriedensbruchs in Rädelsführerschaft, der schweren Sachbeschädigung und versuchten schweren Körperverletzung schuldig.

Das stark kritisierte Verfahren fand großes öffentliches Interesse. Schließlich ging es nicht nur um Josef S. persönlich, denn dadurch, »dass dieser Paragraph Landfriedensbruch mit eingefügt ist, ist uns überhaupt nicht klar, was das in Zukunft für das Demonstrationsrecht und die Versammlungsfreiheit bedeutet«, sagte Josephine Tischner von der sozialistischen Jugendorganisation »Die Falken« in einem Videointerview mit dem österreichischen Nachrichtenmagazin Der Standard. Lahner spricht sogar von einem »Frontalangriff auf die Demonstrationsfreiheit«.
Das Verhalten der Justiz erhärtet auch den Verdacht, dass es sich um eine Kriminalisierungskampagne gegen eine antifaschistische Basisbewegung handelt. Vielleicht bringt eine Aussage von Martin Balluch das auf den Punkt. Dieser wurde 2008 im Zuge der Ermittlungen des sogenannten Tierrechtsprozesses in Österreich inhaftiert. Im Gespräch mit dem Filmemacher Igor Hauzenberger sagte er, dass »gewisse Kreise in der Gesellschaft eine fundamentale Angst vor selbstorganisierten Bewegungen haben, die eigene Sprachen entwickeln, eine eigene Dynamik entwickeln und die nicht von oben kontrollierbar sind«.
Und genau an diese Angst dürfte das Urteil im Fall Josef S. appelliert haben, meint der Prozessbeobachter Michael Genner. Das »Ziel war: Junge Menschen sollen sich fürchten, auf Demonstrationen zu gehen, denn sie könnten dort zu Schaden kommen, sie könnten dort verhaftet werden und lange hinter Gittern bleiben.« Am Samstag demontsrierten in Wien nach Angaben der Veranstalter 3 000 Menschen gegen das Urteil. Es ist noch nicht rechtkräftig. Die Verteidigung von Josef S. gibt sich nach dem Prozess kämpferisch, sie kündigte eine Beschwerde und Berufung an. Josefs Mutter empörte sich heftig über das Urteil und warf dem Gericht Voreingenommenheit vor: »Die Justiz hat ihre Meinung nie geändert in diesem Prozess. Er war von Anfang an schuldig.«