Die Pro-Gaza-Demonstrationen und der interne Streit bei der Linkspartei in Nordrhein-Westfalen

Linke Parallelwelt

Der Landesverband der Partei »Die Linke« in Nordrhein-Westfalen gilt innerparteilich als Hort des Wahnsinns. Und er tut alles, um dem mühsam erworbenen Ruf gerecht zu werden.

Für Jürgen Aust ist klar, wer die alleinige Schuld am Nahost-Konflikt trägt. Das »jüdische ›Projekt‹ in Palästina« sei von Anfang an ein »zutiefst koloniales Projekt« gewesen, »weil die verfolgten Juden nicht, wie es alle Sozialisten oder Kommunisten in ihren Ländern als ›Pflichtaufgabe‹ verstanden« in ihren eigenen Ländern »den Kampf« geführt hätten, »sondern sich ein fremdes Volk zu ihrem Hauptfeind erklärten und es mit jahrzehntelanger Unterstützung des britischen Militärs martialisch bekämpften«, ließ er die Funktionäre der Linkspartei in Nordrheinwestfalen auch wissen.
Aust ist nicht irgendwer im Landesverband: Er wurde im Frühjahr zum vierten Mal in Folge in den Landesvorstand von »Die Linke« gewählt. Niemand hat den Kurs der Landespartei so lange mitbestimmt wie der Duisburger Anwalt.

Auch Ralf Michalowsky, der Landesvorsitzende der Linkspartei, liegt mit Aust auf einer Linie. Von israelsolidarischen Demonstrationen hält der einstige Landtagsabgeordnete nichts: »Die ›guten Demos‹ sind die, bei denen sich bis zu hundert Israelfreunde, vorzugsweise aus dem antideutschen Spektrum, treffen, um mit Scharfmacherparolen den Krieg weiter anzuheizen und die Ermordung Hunderter Zivilisten durch die israelische Armee im Gaza-Streifen lächerlich zu machen.« Michalowsky will mit solchen Leuten nichts zu tun haben. Er kämpft für den Frieden – mit wem, ist dem einst bei der Volkshochschule Gladbeck beschäftigten Pazifisten nicht so wichtig. Mitte Juli sprach er in Essen auf der Kundgebung »Stoppt die Bombardierung Gazas«. Die Raketen der Hamas wurden erst später im Demonstrationsaufruf zugefügt, als die Kritik an der Veranstaltung von Mitgliedern der Linkspartei aus anderen Bundesländern immer lauter wurde.
Auf der Demonstration wurden Michalowsky und andere Redner der Linken von Islamisten mit »Allahu Akbar«-Rufen niedergeschrien, Transparente mit Hakenkreuz und Davidstern waren zu sehen. Im Anschluss an die Demonstration wurden Teilnehmer gewalttätig und griffen eine pro­israelische Demonstration an, an der auch der Bundestagsabgeordnete der Linkspartei Harald Petzold teilnahm. Die Begeisterung der Zuhörer wäre vermutlich größer gewesen, hätte Michalowsky Israel ein »Apartheidsregime« genannt, wie es in seinem ursprünglichen Redeentwurf stand. Doch auf Anraten von Parteifreunden hatte er seine Rede kurz vor der Demonstration noch umgeschrieben.

Die Kritik an der Essener Kundgebung und den anschließenden Krawallen, unter anderem vom Thüringer Fraktionsvorsitzenden der Linkspartei, Bodo Ramelow, und der Vizepräsidentin des Bundestages Petra Pau, wurde in Nordrheinwestfalen beiseite gewischt. Aust schrieb im Gremienverteiler der Linkspartei: »Bei diesem Thema üben Teile des linken Führungspersonals den Schulterschluss mit rechten Kräften. (...) wir sollten in der Partei ein Gespür dafür entwickeln, wann Grenzen zum rechten Lager überschritten werden. Darum geht es.«
Mit dem Überschreiten der Grenze zum rechten Lager ist aber nicht der gemeinsame Marsch Michalowskys mit Nazis in Dortmund am Tag nach der Essener Demonstration gemeint, sondern die Kritik an der antiisraelischen Demons­tration in Essen.
Klar, dass auch die nordrhein-westfälische Landesgruppe im Bundestag auf Linie ist und den Landesvorstand unterstützt. »Wir halten es für unerträglich, dass nun ausgerechnet aus der eigenen Partei völlig verzerrte, ehrenrührige Vorwürfe kommen, die nicht nur den Erfolg der NRW-Genossinnen und Genossen schlecht machen, sondern sie gar in die Nähe von AntisemitInnen rücken. Wir stellen uns ausdrücklich vor die NRW-Linksjugend und den Landesvorstand der Linken in NRW«, teilte die Landesgruppe in einer Erklärung mit, unter anderem unterzeichnet von Sahra Wagenknecht.
Kann es Ramelow und Pau noch gleichgültig sein, was im ebenso dogmatischen wie erfolg­losen Landesverband über sie gedacht und geschrieben wird, sieht es bei dessen Mitgliedern anders aus.
Die Landesarbeitsgemeinschaft »Die Linke Queer« (LAG Queer) veröffentlichte in der vergangenen Woche eine Stellungnahme, in der sie sich kritisch über die Vorkommnisse bei der Essener Demonstration äußerte. Schon am Sonntag zog die LAG »aufgrund der heftigen Anfeindungen seitens der mitgliederstarken AG Queer im Rhein-Kreis Neuss« und »Teilen des Landesvorstandes« ihre Erklärung zurück. Vier Sprecher legten ihre Posten nieder, weil sie für ihre Aufgabe, »Aufklärungsarbeit zu leisten und jeder Form von Diskriminierung, Dämonisierung, Stigmatisierung und Verfolgung auch über den queeren Bereich hinaus entgegenzutreten«, keine Mehrheit im Landesverband mehr sahen. Auch der Sprecher der Bundesarbeitsgemeinschaft Queer, Christian Piest, trat wegen der Streitigkeiten zurück und teilte zum Abschied mit: »Ich wünsche den LINKEN Queers alles Gute, den Jüd*Innen innerhalb der LINKEN Gesundheit und allen Leisen eine Stimme – gegen Homofeindlichkeit, gegen Antizionismus und Antisemitismus innerhalb der eigenen Reihen.«
Die Kritik an der Politik des Landesvorstandes kann Michalowsky offenbar noch nicht einmal intellektuell nachvollziehen. Er befindet sich in einer Parallelwelt jenseits aller ernstzunehmenden Diskussionen. Für ihn ist klar, was die »hysterischen Warnungen vor einem neuen Antisemi­tismus in Deutschland sollen«, verkündete er auf Facebook und verlinkte einen Artikel der Website »Palästina-Portal«, in dem behauptet wurde, dass die Debatte über Antisemitismus von Israel gesteuert werde und nur ein Ziel habe – von den Verbrechen in Gaza abzulenken.

Den Göttinger Politikwissenschaftler Samuel Salzborn wundert das Verhalten der Linken in Nordrhein-Westfalen nicht: »Ich kann in den mir bekannten Stellungnahmen aus der Linkspartei Nordrhein-Westfalen keinerlei Sachlichkeit mit Blick auf Israel erkennen, bestenfalls den Versuch, antisemitische Positionen hinter einer Rhetorik scheinbarer Ausgeglichenheit zu verstecken.« Das sei alles nicht neu: »Schon bei der Diskussion über Antisemitismus in der Linkspartei im Sommer 2011 war klar: Es ist viel deutlicher ein Westproblem und die Spitze dieses Problems ist Nordrhein-Westfalen. Auffällig ist dabei, dass dezentralen Akteuren ihr Hass gegen Israel wichtiger ist als die Fortexistenz ihrer eigenen Partei. Das deutet auf ein ganz bestimmtes politische Milieu hin: den Antiimperialismus.« Vielen Mitgliedern der Linkspartei in Nordrhein-Westfalen scheine es völlig gleichgültig, so Salzborn, dass sie damit auch ihre Partei zerstören könnten, sie agierten ohne jede Rücksicht ausschließlich in ihrem wahnhaften Weltbild.
Andere in der Partei, die namentlich nicht genannt werden wollen, sind erschrocken über den völligen Mangel an Mitgefühl: »Keiner der Verantwortlichen scheint in der Lage zu sein, sich auszumalen, was es für hier lebende Juden bedeutet, wenn heute in Deutschland Parolen wie ›Hamas, Hamas, Juden in Gas‹ gerufen werden und der Holocaust öffentlich geleugnet wird.«
Hingegen sieht Holger Schmidt, Mitglied der Fraktion der »Linken« im Bonner Stadtrat (Jungle World 30/2011), eine Verbesserung: »Früher hätte es überhaupt keine große Diskussion im Landesverband gegeben. Heute müssen sich alle auch von den Hamas-Raketen distanzieren. Das wäre vor ein paar Jahren noch nicht passiert.« Eine Wahltaktik hinter der antizionistischen Politik des Landesverbandes sieht Schmidt nicht: »Wegen Israel wird kaum einer die ›Linke‹ wählen – auch wenn er die Kritik an Israel gut findet.« Andere vermuten jedoch, dass es auch darum geht, Stimmen im antiimperialistischen Lager zu sammeln. Das es dort nicht viele Stimmen zu holen gibt, sei kein Widerspruch: »Die Linkspartei in Nordrhein-Westfalen ist so weit unten, da sind schon 20 000 Stimmen mehr von Spinnern ein Erfolg«, sagt ein Parteimitglied, das namentlich nicht genannt werden möchte. Mit dieser Politik komme man zwar nicht in den Landtag zurück, aber darum ginge es auch nicht: »Man berauscht sich der eigenen Radikalität. Den meisten reicht das.«

Geändert am 8. August 2014.