Der Social-Media-Krieg gegen Israel

Hass ohne Filter

Wie Facebook und Twitter die Wahrnehmung des israelisch-palästinensischen Konfliktes verändern. Eine Entgegnung auf den britischen Journalisten Paul Mason.

Paul Mason, Redakteur der britischen Fernsehsenders Channel 4, fragte sich kürzlich in seinem Blog, warum Israel den Social-media-Krieg zum Thema Gaza verliere. Seine Antwort geriet zu einer Lobeshymne auf die sozialen Medien. Sie zeigten die Wirklichkeit, unabhängig von dem, was die großen Fernsehsender berichteten, sie unterliefen redaktionelle Auswahlprozesse und stellten die Realität ungefiltert dar, so dass die Inhalte viel stärker auf das Publikum wirkten als die Nachrichten der »alten« Medien. Insbesondere die US-amerikanische Öffentlichkeit habe nun andere Quellen als die »traditionell stark in Richtung einer proisraelischen Sicht« verzerrten US-Medien. Über ihren Twitterstream müssten die Amerikaner endlich »echte« Bilder von toten Palästinensern ansehen.
Masons Kommentar zeigt zweierlei: Zunächst einmal, dass Journalisten wie er den Konflikt vor lauter palästinensischer Propaganda – etwa in Form von Pressemitteilungen der Autonomiebehörde, Fernsehinterviews von Hamas-Führern oder eben »echten«, »ungefilterten« Tweets – nicht unvoreingenommen sehen. Dass nicht jedes tote palästinensische Kind auf das Konto der israelischen Armee geht, dass nicht jedes tote Kind ein palästinensisches ist, das jetzt, in diesem Krieg, ums Leben gekommen ist – das kann man diesen Bildern meist nicht ansehen. Denn die Bilder kommen entweder ganz ohne Kontext daher, oder sie werden eben von jemandem aus Gaza getwittert. Ob dieser Jemand ein palästinensischer Zivilist, ein Hamas-Mitglied oder ein westlicher Journalist ist, spielt für die Rezipienten anscheinend keine Rolle mehr. Für die Frage nach der Authentizität der Bilder und ihres Kontextes aber ist das entscheidend.
Zudem unterschlägt Mason, dass die Hamas im Gazastreifen darüber wacht, was berichtet werden darf und was nicht. Nicht zufällig gab es unabhängige Bestätigungen, dass der Beschuss einer UN-Schule mit vielen Toten und Verletzten durch eine fehlgeleitete Rakete der Hamas verursacht wurde (die doch eigentlich für die Tötung israelischer Zivilisten vorgesehen war), erst, als die Journalisten, die das bestätigen konnten, den Gazastreifen verlassen hatten und nicht mehr von der Hamas kontrolliert wurden. Unterschlagen wird auch, dass weder in den »alten« noch in den sozialen Medien Bilder von kriegsführenden Hamas-Kämpfern auftauchen, erst recht nicht von Terroristen, die sich in Krankenwagen verstecken oder Raketen von Schulgebäuden abschießen – in der Logik Masons kann das nur Beleg dafür sein, dass so etwas nicht geschieht.
Die zweite Erkenntnis ist, dass Mason mit seiner These grundsätzlich recht hat. Trotz aller Anstrengungen der israelischen Seite, durch eigene Aktivitäten in den sozialen Medien das Gesamtbild zu korrigieren, muss man konstatieren: Israel verliert und die Hamas gewinnt den Social-media-Krieg. Das liegt vor allem an der scheinbaren Unmittelbarkeit, dieser vorgeblich untrüglichen Wahrheit, die den Fotos und Videos innewohnt.
Bereits die etablierten Medien hatten ihre Probleme mit der Authentizität der Bilder; man denke an den 12jährigen Mohammed al-Dura, über dessen angebliche Tötung in den Armen seines Vaters durch israelische Soldaten im Gaza-Streifen am 30. September 2000 zu Beginn der al-Aqsa-Intifada weltweit berichtet wurde. Bis heute ist nicht sicher, was damals geschehen ist, ob dieser Junge überhaupt gestorben ist. Mehrere französische Gerichte beschäftigten sich mit Verleumdungsklagen des verantwortlichen Fernsehsenders France 2 gegen kritische Blogger und Journalisten. Doch für die politische Propaganda ist das gleichgültig: Die Bilder haben ihren Zweck erfüllt. Unterdessen wird in »Pallywood« weiter produziert. So werden Bilder inszeniert, notfalls auch alte Aufnahmen verwendet oder welche aus dem syrischen Bürgerkrieg. In den angeblich neutralen sozialen Medien sind selbst Fotos mit Szenen aus Hollywood-Filmen aufgetaucht und als Darstellung palästinensischer Opfer ausgegeben worden. Hauptsache, möglichst blutig und schockierend. Dass diese Bilder heute, im Gegensatz zur al-Aqsa-Intifada vor 14 Jahren, nicht einmal mehr den Filter zuweilen voreingenommener Reporter und Redaktionen passieren müssen, machen sich die Unterstützer der Hamas zunutze.
Die Folgen kann man auf den Straßen europäischer Städte beobachten, wo offen antisemitische Kundgebungen zum Alltag gehören, Synagogen brennen und als Juden erkennbare Menschen um ihr Leben fürchten müssen. Zu den Vorfällen in Deutschland sagte Charlotte Knobloch, die frühere Präsidenten des Zentralrates der Juden in Deutschland, das Risiko, Ziel eines Angriffs zu werden, sei zu groß, wenn man, etwa durch eine Kippa, als Jude erkennbar sei. »Was wir derzeit erleben, ist die kummervollste und bedrohlichste Zeit seit 1945. Bei uns stehen die Telefone nicht still, die Mail-Postfächer quellen über – wir sind konfrontiert mit Beleidigungen und Hassparolen«, sagte die Präsidentin der Israelitischen Kultusgemeinde München und Oberbayern dem Kölner Stadt-Anzeiger.
Doch es wird nicht nur, wie schon früher üblich, anonym gedroht, beleidigt, gehetzt. Besonders auf Facebook feiert der Antisemitismus fröhliche Urständ. »Hamas sollte mal Zyklon B einsetzen«, »Nur ein toter Jude ist ein guter Jude«, »Wie schön wäre die Welt ohne die Juden«, »Ihr dreckigen Juden gehört vergast« – nur eine kleine Kostprobe dessen, was tagtäglich an die Facebook-Pinnwand der israelischen Botschaft geschrieben wird. Wenn es nicht so traurig wäre, könnte man sich freuen, dass man nicht mehr komplizierte akademische Theorien braucht, um nachzuweisen, dass »legitime Israel-Kritik« und ordinärer Antisemitismus näher beieineinander liegen als von den Israel-Kritikern gern behauptet.
Der Bielefelder Sozialwissenschaftler Andreas Zick berichtet in einem Gastbeitrag auf dem Portal »Netz gegen Nazis«, dass der antiisraelische Antisemitismus inzwischen »bei fast 50 Prozent der Deutschen salonfähig geworden« sei. Dieser Antisemitismus behaupte, israelische Politik sei jüdisches Handeln, spreche Israel das Recht auf Selbstverteidigung ab und stelle an Israel moralische Forderungen, die anderen Staaten erspart würden. »Dass Israel sich in Palästina ähnlich verhalte wie die Nazis, wird von jedem zweiten Befragten behauptet«, schreibt Zick und konstatiert weiter: »Hierin gibt es keine Unterschiede zwischen den Deutschen mit und ohne Migrationshintergrund.« Über Facebook und Twitter können die Antisemiten jeglicher Couleur und Herkunft nun ihren Antisemitismus in Echtzeit synchronisieren.