Klaus Lederer im Gespräch über den Umgang der »Linken« mit antisemitischen Vorfällen

»So etwas darf sich nie wiederholen«

Pünktlich zur Eskalation im Nahen Osten eskalieren auch die antisemitischen Ausfälle in der Linkspartei. Die Jungle World sprach mit Klaus Lederer, der dem sogenannten Reformerflügel der Partei angehört, über die Vorfälle bei der Demons­tration in Essen, Apartheidvergleiche und die Bekämpfung des Antisemitismus als gesamtgesellschaftliche Aufgabe.

Sie sagten kürzlich, der Hass gegen Israel sei unerträglich geworden. Wie genau nehmen Sie die Lage wahr?
Wir erleben momentan leider erneut, dass eine Eskalation im Nahost-Konflikt zu Demonstrationen führt, auf denen sich blanker Israel-Hass entlädt und teils offen antisemitische Parolen gerufen werden. Als Linker meine ich, dass jede verständliche Friedenssehnsucht – wozu es auf der Welt ja viele Anlässe gibt – die unzweideutige Abgrenzung gegenüber Antisemitismus braucht. Wer von Israel als »Apartheidstaat« redet oder sagt, die Lösung des Nahost-Konflikts liege allein in der Verantwortung Israels, der muss sich über die Anschlussfähigkeit gegenüber antisemitischen Argumentationsmustern oder Akteuren nicht wundern. Zum Teil regiert dann der offene, blanke und gewaltsame Antisemitismus, wie nach der Demonstration in Essen am 18. Juli, als »Adolf Hitler« oder »Tod den Juden« skandiert wurde. Da gibt es nichts zu relativieren.
Aber Ralf Michalowsky, der Vorstandsprecher des Landesverbandes der Linkspartei in Nordrhein-Westfalen, tat genau das: relativieren. Obwohl der Bundesgeschäftsführer Matthias Höhn gemahnt hatte, dass sich Ereignisse wie in Essen nicht wiederholen dürften.
Höhn hatte bereits vorab die Genossinnen und Genossen gebeten, diese Demonstration abzusagen. Wenn man eine Kundgebung mit einer derart einseitigen Parteinahme im Nahost-Konflikt organisiert, dann kann man nicht verhindern, dass Antisemiten diese Bühne nutzen. Und genau das ist ja auch eingetreten. Dass Michalowsky nach seinem Manuskript zunächst vorhatte, Israel als Apartheidstaat zu bezeichnen, und es dann doch nicht getan hat, zeigt, dass er sich offenbar bewusst ist, dass es ein Problem gibt. Jedoch sprach Bilal Wilbert vom »Bündnis für Innovation und Gerechtigkeit«, einer offenkundig islamistischen Gruppierung. Er erklärte in seiner Rede, dass das Problem ausschließlich darin bestehe, dass Israel als jüdischer Staat im Nahen Osten überhaupt gegründet wurde. Wenn das auf einer Veranstaltung passiert, die von der »Linken« organisiert, angemeldet und moderiert wird, dann ist das ganz klar ein Vorstoß gegen die Grundsätze, die wir in unserem Programm festgehalten haben. Ich hätte mir gewünscht, dass das auch offen als Fehler bezeichnet und reflektiert worden wäre. Ich bleibe dabei: So etwas darf sich nie wiederholen!
Gegen Höhn und seine Kritik haben sich allerdings mehrere bekannte Bundestagsabgeordnete der Linkspartei, darunter Sahra Wagenknecht und Ulla Jelpke, mit Michalowsky solidarisiert und das Vorgehen gerechtfertigt.
Ich unterstelle mal, dass sie schlecht informiert waren. Wir haben auf der anderen Seite, worüber ich froh bin, sehr klare Positionierungen von vielen Landesspitzen aus West und Ost, auch von Jugendorganisationen. Es gibt zum Glück inzwischen sehr viele Leute, die nicht bereit sind, so etwas unwidersprochen zu lassen.
Aber ist das nicht das Minimum dessen, was man erwarten kann – Leuten zu widersprechen, die sich, zum Teil nicht zum ersten Mal, mit ihrem Handeln explizit gegen die geltende Beschlusslage der Partei wenden?
Auf die nachvollziehbare Anteilnahme am Leid in diesem Konflikt erfolgen einseitige Parteinahmen, und ebenso projizieren sich in diese Debatten dann antisemitische Deutungsmuster und Stereotype. Wir erleben immer wieder, dass Menschen dann feinsäuberlich zwischen Antizionismus und Antisemitismus unterscheiden und behaupten, beides hätte überhaupt nichts miteinander zu tun. Antisemitismus ist, wenn ich Menschen jüdischen Glaubens übel nehme, was ich anderen nicht übel nehme – beispielsweise die Staatsgründung Israels. Für mich ist klar, dass eine Auseinandersetzung mit Antisemitismus nicht erst da beginnt, wo einer »Hängt die Juden« brüllt. Insofern bin ich froh, dass sich schnell relativ viele Linke zu Wort gemeldet und gesagt haben: »Nicht in meinem Namen!« Auch die gemeinsame Äußerung der Parteivorsitzenden Katja Kipping und Bernd Riexinger sowie des Fraktionsvorsitzenden Gregor Gysi betrachte ich als klare Absage an derartige Aktivitäten.
Die Stellungnahme von Partei- und Fraktionsführung kam allerdings erst vier Tage nach den Vorfällen in Essen.
Gut, alle drei Vorsitzenden waren im Urlaub. Da ist es für mich sehr nachvollziehbar, dass sie etwas zeitversetzt reagieren. Entscheidend ist, dass sie sich geäußert haben. Gysi hatte sofort klargestellt, dass angesichts der Erfahrung der Shoah und des Scheiterns jeglichen Emanzipationsversuchs von Juden innerhalb europäischer Nationalstaaten Antizionismus keine Option für Linke sein kann. Das müssen wir in unserer Partei immer wieder deutlich machen.
Wenn man sich die Namen derjenigen anschaut, die auffällig werden, die sich mit der Hamas gemein machen, dann sieht man, dass es bei den meisten nicht das erste Mal ist. Die geltende Beschlusslage in puncto Antisemitimus und Existenzrecht Israels wird von diesen Leuten also offenbar bewusst ignoriert. Muss die Partei da nicht mehr tun, als nur zu widersprechen?
Das tut so niemand. Das Problem sind Grauzonen, krude Allianzen bei einfachen Weltbildern und Solidarisierungen, bis hin zu Querfrontambitionen Einzelner. Ich glaube, dass die Auseinandersetzung noch nicht beendet ist, dass sich auch der Parteivorstand erneut damit befassen und Position beziehen muss. Das Interessante ist ja, dass auch Ralf Michalowsky und andere für sich in Anspruch nehmen, komplett auf der Basis des geltenden Programms zu handeln, und selbst die Erklärung der drei Vorsitzenden als Unterstützung für sich begriffen haben. Auf dieser Basis ist es natürlich schwierig, zu diskutieren. Auf der anderen Seite kommt immer wieder die Angst durch, angesichts etwa der Hetze von Bild gegen den Islam durchaus nachvollziehbar, dass eine klare Positionierung als Entsolidarisierung mit Muslimen begriffen werden kann, dass man möglicherweise antimuslimischem Rassismus den Boden bereitet.
Was ja unterstellen würde, dass alle Muslime Antisemiten sind.
Richtig. Und das ist natürlich gefährlicher Unsinn. Wir werden genauso dagegen aufstehen, wenn Reaktionäre in Deutschland die traurigen Ereignisse zum Schüren des Hasses gegenüber Muslimen instrumentalisieren.
2011 gab es gegen Hermann Dierkes, den früheren Duisburger Kreisverbandsvorsitzenden, immerhin mal ein Parteiausschlussverfahren, weil Dierkes zum Boykott israelischer Waren aufgerufen, das Existenzrecht Israels eine läppische Frage genannt und Terroranschläge gerechtfertigt hatte. Ende 2012 wurde das Verfahren aber ohne Ausschluss eingestellt.
Andere Ausschlussverfahren waren erfolgreich. Aber es gibt bei einem solchen Verfahren zu recht hohe Hürden und es entscheiden unabhängige Gremien darüber. Das finde ich angesichts der Geschichte der SED richtig. Es ist eine Ultima Ratio. Wenn allerdings offener Antisemitismus vertreten wird, muss es zwingend Ausschlüsse geben. Für mich steht aber die politische Auseinandersetzung, die Aufklärung im Vordergrund. Denn selbst wenn ich mit Ordnungsmaßnahmen hantiere, bleibt ja die Tatsache bestehen, dass ein Teil der deutschen Gesellschaft wie auch meiner Partei die Trennung zwischen Antisemitismus einerseits und einer klugen friedenspolitischen Position andererseits nicht immer hinbekommt.
Aber jenseits der Frage, wo genau der Antisemitismus beginnt, stellt sich doch die Frage, wie man als Linker auf die Idee kommen kann, auf Demonstrationen gemeinsam mit der Hamas zu marschieren, die als Organisation ja nicht nur für Antisemitismus steht, sondern auch für andere Sachen, die Linke eigentlich bekämpfen wollen, wie etwa religiöser Fanatismus, Rassismus, Sexismus, Homophobie?
Das müsste man dann mal diejenigen Linken fragen, die meinen, das tun zu müssen. Ich käme nicht auf die Idee, Hamas oder Hizbollah als Verbündete zu betrachten. Ich glaube im Gegenteil, dass jede emanzipatorische Position die Zusammenarbeit und Identifikation mit solchen Gruppen per se verbietet.
Bei der Landtagswahl in Thüringen im September könnte Bodo Ramelow möglicherweise erster Ministerpräsident der Linken werden.
Das hoffe ich doch!
Aber es mehren sich die Stimmen, besonders aus der SPD, die antisemitische »Dummköpfe« in der Linkspartei kritisieren und als mögliches Koalitionshindernis betrachten.
Diese Form von Selbstgerechtigkeit finde ich persönlich abstoßend. Es mag ja sein, dass es in der SPD nicht die Schärfe in diesen Debatten gibt, aber sie soll einfach mal bei sich gucken. Die SPD ist genau wie wir ein Spiegel der deutschen Gesellschaft. Das gilt auch für die anderen Parteien, die sind davon auch nicht frei. Ich finde es ziemlich bigott, hier die Forderung nach bekenntnishaftem Ablass mit der Regierungsfrage zu verknüpfen. Wenn wir über den Apartheidvergleich von Ralf Michalowsky sprechen, sollte nicht vergessen werden, dass der SPD-Vorsitzende Sigmar Gabriel vor nicht allzu langer Zeit ganz ähnliche Äußerungen gemacht hat. Uns Linken muss es völlig unabhängig von der Frage möglicher Regierungsbeteiligungen darum gehen, klare Trennlinien Richtung Antisemitismus hinzubekommen. Ich warne vor Selbstgerechtigkeit in dieser Debatte. Es ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe.