Widersprüchliche Urteile gegen Neonazis in Spanien

Extrem rechtsfreier Raum

Zwei Prozesse gegen Neonazis sorgten in Spanien für Aufsehen. Während einer mit hohen Haftstrafen endete, wurden die Mitglieder einer der gefährlichsten neonazistischen Gruppen freigesprochen.

Damit hatten die Angeklagten nicht gerechnet. Wegen zweifachen Mordversuchs sind Mitte Juli zehn Neonazis vom Landgericht Barcelona zu Haftstrafen von jeweils 18 Jahren verurteilt worden. Die Gruppe hatte im März 2012 in der kleinen katalanischen Ortschaft Manresa Besucher eines antifaschistischen Konzerts angegriffen. Im Rahmen der »Antifa-Kombat-Tour« traten dort die beiden Gruppen KOP und Non Servium auf. Die Neonazis, die aus verschiedenen Städten angereist waren, trafen sich in der Nähe des Konzert­orts, teilten Baseballschläger und Eisenstangen aus und begannen eine »Hetzjagd« auf die Besucher, so das Gericht. Mehrere Jugendliche wurden schwer verletzt. Ein 16jähriger erlitt einen Schädelbruch und wäre, so die Anklage, ohne das rasche Eingreifen der Rettungskräfte verstorben. Anstatt wie sonst solche Vorfälle als Streitereien zwischen rivalisierenden Jugendgruppen abzutun, betonte das Gericht den politischen Hintergrund der Tat. Im Juli wurden in Tarragona vier weitere Neonazis festgenommen, die versucht hatten, Geld für die Verteidigung ihrer Kameraden zu erpressen.

Ende Juli fand ein weiterer Prozess gegen eine neonazistische Gruppe statt, diesmal in Valencia. Auch hier gingen die Angeklagten überrascht aus dem Gerichtssaal. In diesem Fall, weil sie unerwartet freigesprochen wurden. Dabei galt die Gruppe mit dem Namen Frente Antisistema (FAS) als eine der aktivsten und gefährlichsten Nazigruppen Spaniens, die Staatsanwaltschaft hatte für die 18 Angeklagten insgesamt 42 Jahre Haft gefordert. Die Mitglieder hatten jahrelang mit Waffen und NS-Propagandamaterial gehandelt, ihre Nachbarschaft terrorisiert und Raubüberfälle verübt. Die Ermittlungen hatten bereits vor über zehn Jahren begonnen. Ausgangspunkt waren zwei Internetseiten auf dem Server www.portal-ns.com gewesen, auf denen sich NS-Sympathisanten Waffen, NS-Propagandavideos und Hakenkreuz-Accessoires bestellen konnten.
Im Rahmen der »Operación Panzer« wurde die Organisation 2005 ausgehoben, bei Razzien wurden eine große Anzahl von Pistolen, Schrotflinten, Schießkugelschreiber, Munition sowie Unmengen an Hakenkreuzutensilien und neonazistischer Propaganda sichergestellt. Auch Schalldämpfer sowie eine scharfe Panzerfaust fand die Polizei. Die meisten Waffen stammten aus Beständen des Militärs. In abgehörten Telefonaten verabredeten sich die Neonazis zu Menschenjagden auf Migranten, Linke und Homosexuelle.
Diese Telefonate waren nun der Grund für den Freispruch. Nach Ansicht des Gerichts lagen keine ausreichenden Verdachtsmomente für die Überwachung vor. Diese sei aufgrund von »Vermutungen« und »Intuition« erfolgt, daher seien alle darauf basierenden Beweise, inklusive des beschlagnahmten Waffenlagers, nicht vor Gericht verwendbar. Dabei hatte die zuständige Guardia Civil damals eine richterliche Genehmigung für die Überwachung eingeholt und sich in ihrem Antrag auf das Wissen von Informanten und auf eigene Ermittlungen gestützt. Viele der Angeklagten sind mehrfach einschlägig vorbestraft. Auch die Internetseiten ließen keinen Zweifel daran, gegen wen die dort erwerbbaren Waffen eingesetzt werden sollten. Bestellungen gingen unter anderem an die Mailadresse soldado_ns88. Das Landgericht hingegen sah keinen Anfangsverdacht und orientierte sich an der Argumentation der Verteidigung. Dies war nicht die einzige Ungereimtheit in dem Prozess. Im vorigen Jahr waren sämtliche beschlagnahmten Waffen, und damit die wichtigsten Beweismittel, vernichtet worden. Das wurde erst bekannt, als das Gericht die Beweismittel für die Verhandlung anforderte. Die Behörden schieben sich dafür gegenseitig die Schuld zu.
Der Prozess wirft erneut ein schlechtes Licht auf die Bekämpfung des Neonazismus in Spanien. Lange Zeit hat sich die Justiz kaum um neonazistische Umtriebe gekümmert. Die spanische Sektion von Blood & Honour zum Beispiel war seit 1999 offiziell als »kulturelle Vereinigung« eingetragen, die sich für den Schutz der europäischen Kultur und gegen Drogenmissbrauch unter Jugendlichen einsetze. Erst langsam und wegen mehrerer aufsehenerregender Gewalttaten gegen Migranten und Linke wurden die Sicherheitsbehörden tätig. Im Jahr 2004 wurden die »Hammerskins« ausgehoben, im anschließenden Prozess 2009 wurde erstmals eine neonazistische Gruppe als kriminelle Vereinigung eingestuft. Ein Jahr später wurde Blood & Honour offiziell verboten, 14 Mitglieder wurden zu geringen Haftstrafen verurteilt. Bis zum fragwürdigen Gerichtsurteil galt die »Operación Panzer« als einer der schwersten Schläge gegen die organisierte Naziszene und als Exempel dafür, dass Neonazis auch in Spanien keinen rechtsfreien Raum vorfinden.

Die FAS war streng hierarchisch organisiert und besaß ein Lokal in Valencia, in dem Konzerte, Tagungen zu Waffen und Vorträge bekannter Faschisten stattfanden. Als Anführer der Organisation gilt der 44jährige Juan Manuel Soria, ehemaliger Kandidat der neofaschistischen Partei Allianza Nacional (AN). Soria befindet sich derzeit auf der Flucht, er wird per Haftbefehl von Interpol gesucht. Nach Informationen von El País soll er sich in Marokko aufhalten. Ein weiterer Angeklagter soll sich in Argentinien verstecken, ein dritter Beschuldigter befindet sich derzeit in der Psychiatrie. Von den 18 beschuldigten Neonazis saßen daher nur 15 im Gerichtssaal. Unter ihnen befanden sich José Alejandro Serrador, ein Stadtrat der neonazistischen Partei España 2000, zwei Militärangehörige sowie Pedro Cuevas, der wegen Mordes an dem 19jährigen Linken Guillem Agulló Mitte der neunziger Jahre zu 16 Jahren Gefängnis verurteilt, aber wegen »guter Führung« schon nach vier Jahren entlassen worden war. Ein anderer Angeklagter leitete bis kurz vor Prozessbeginn ein öffentlich gefördertes Zentrum für benachteiligte Jugendliche in Valencia.
Die Biographien der Angeklagten zeigen, dass es sich keineswegs um eine lose Gruppe rechtsorientierter Jugendlicher handelt, sondern um eine straff organisierte neonazistische Struktur. Die Mitglieder besitzen gute Kontakte zu sämtlichen faschistischen Organisationen in Spanien, das Lokal der FAS wird vom neonazistischen Movimiento Social Republicano fortgeführt.

Die Neonazis, die während des Prozesses sowohl die Presse als auch die Vertreter der Nebenklage beschimpften und bedrohten, dürften sich in Zukunft noch sicherer fühlen. Es ist nicht das erste Mal, dass das Landgericht Valencia mit dubioser Begründung Neonazis, denen zweifelsfrei Straftaten nachgewiesen werden konnten, in die Freiheit entlässt. Bereits 2005 wurde ein Verfahren gegen die »Nationalsozialistische Bruderschaft Armageddon« eingestellt, ebenfalls mit der Begründung, die Überwachungsmaßnahmen seien nicht rechtens gewesen. Die Plattform Acción Popular Contra la Impunidad (APCI), ein Zusammenschluss verschiedener antirassistischer Gruppen und Menschenrechtsorganisationen, die als Nebenkläger auftrat, hatte vor dem Beginn des Prozesses dessen Bedeutung hervorgehoben. Angesichts von 400 neonazistischen und rassistischen Straftaten in der Region Valencia im vorigen Jahr sowie des seit Jahrzehnten anhaltenden »Klimas der Straflosigkeit« habe der Prozess eine wichtige Signalwirkung, betonte die APCI noch Anfang Juli. Sie will nun vor den Obersten Gerichtshof ziehen.