Die Proteste gegen die Regierung in Pakistan

Der Zorn des Khan

Angeführt von zwei illustren Oppositionellen hat sich eine Protestbewegung in Pakistan das Ziel gesetzt, Premierminister Nawaz Sharif zum Rücktritt zu zwingen und Neuwahlen durchzusetzen.

»Ich gebe der Regierung eine Woche Zeit, um auf die Forderungen einzugehen. Ich weiß aber nicht, ob ich meine Leute länger als zwei Tage zurückhalten kann«, drohte Imran Khan, Vorsitzender der Pakistan Tehreek-e-Insaf (Pakistanischen Bewegung für Gerechtigkeit, PTI), der derzeit drittstärksten Partei im Unterhaus, am Sonntag vor rund 100 000 Gefolgsleuten. Vier Tage zuvor war er mit mehreren Zehntausend Unterstützern in Lahore, der Hauptstadt der Provinz Punjab, zu einem rund 300 Kilometer langen Protestmarsch in die Hauptstadt Islamabad aufgebrochen. Mit diesem azadi march (Freiheitsmarsch) wollen Khan und seine Mitstreiter den Rücktritt von Premierminister Nawaz Sharif und seiner unter Korruptionsverdacht stehenden Regierungskoalition unter Führung der Pakistanischen Muslimliga (PML-N) sowie eine Reform des Wahlrechts erzwingen. Die Regierung hat sich zunächst in der Hauptstadt Islamabad hinter aufgeschichteten Containern verschanzt. Unterstützt wird Khan von der Pakistan Awami Tehreek (Pakistanische Volksbewegung, PAT), der politischen Partei des moderaten sunnitischen Predigers Mohammad Tahir ul-Qadri, die im Januar vorigen Jahres schon einmal die tagelange Belagerung des Parlaments probte. PTI und PAT repräsentieren unterschiedliche Klientelgruppen, haben jedoch in Hinblick auf eine Wahlrechtsreform zugunsten der Repräsentation kleinerer Parteien gemeinsame Interessen. Zudem trägt Qadri, der sich meist in Kanada aufhält, eine persönliche Fehde mit dem Brüderpaar Sharif aus. Im Juni hatte sich die Polizei eine elfstündige Straßenschlacht mit Anhängern Qadris in Lahore geliefert, als sie versuchte, die Straßensperren vor dem Sitz der PAT, der Minhaj-Wohltätigkeitsstiftung und der Residenz Qadris zu entfernen, die dort zum Schutz vor Terroranschlägen errichtet worden waren. Am Ende dieser von Qadri als »Staatsterrorismus« verurteilten Aktion, die von den großen Fernsehsendern live übertragen wurde, gab es 14 Tote und Hunderte Verletzte. Der erzürnte Prediger schwor daraufhin, Premierminister Nawaz Sharif und seinen jüngeren Bruder Shabbaz Sharif, den Ministerpräsidenten des Punjab, aus dem Amt zu jagen. Imran Khan scheint sich dagegen als potentieller neuer Premierminister profilieren zu wollen und betont, dass er dann »niemals Geld von Amerika, Saudi-Arabien oder dem IWF nehmen würde«. Seit Monaten erhebt er schwere Vorwürfe gegen den Amtsinhaber Sharif, dessen Muslimliga die Wahlen im vergangenen Jahr nur aufgrund von Wahlfälschungen gewonnen habe. Sharif versuchte vor dem Protestmarsch Khan politisch zu neutralisieren, indem er der Einsetzung eines Untersuchungsausschusses zustimmte. Daraufhin verlagerte Khan den Schwerpunkt seiner Kritik auf das Thema der politischen und wirtschaftlichen Verflechtungen der Industriellensippe der Sharifs mit anderen Firmeneigentümern und Medienunternehmen. Überdies prangert er die allgegenwärtige Korruption im Staatsapparat an, zu deren Bekämpfung er die Bevölkerung zum zivilen Ungehorsam aufforderte. Bis auf weiteres soll niemand Steuern entrichten und Stromrechnungen bezahlen – eine Forderung, die in Pakistan mit Ironie bedacht wird, denn es wird ohnehin nur ein geringer Anteil des Stroms legal entnommen und die Steuerehrlichkeit ist schwach ausgeprägt. Es stellt sich die Frage, inwieweit Imran Khan den Erwartungen gerecht werden kann, die er weckt, indem er sich als Alternative zu den nepotistischen Politikern Pakistans darstellt. Als Kapitän des pakistanischen Cricketteams war er spätestens mit dem Gewinn des Weltpokals 1992 ein Nationalheld. Der sportliche 61jährige mit seinen längeren dunklen Haaren galt lange Zeit als Lebemann. Nach etlichen Affären, unter anderem auch mit der deutschen MTV-Moderatorin Kristiane Backer, die nach eigener Aussage wegen Khan zum Islam konvertierte, ehelichte er 1995 in London Jemima Marcelle Goldsmith, Tochter eines Milliardärs, die ebenfalls konvertierte. Die Ehe wurde vor zehn Jahren geschieden. Seit 18 Jahren ist Khan politisch tätig und legt sich dabei gerne mit den jeweils herrschenden Politikern und Militärmachthabern an. Sorgfältig pflegt er das Image eines geläuterten Playboys und bekennt sich stolz zu seinen paschtunischen und muslimischen Wurzeln. Nach einiger Zeit gelang es ihm, seine Partei zu einer national einflussreichen Organisation zu wandeln, die auch allgemeine Themen aufgreift und so selbst NichtPaschtunen einzubinden versucht. Trotzdem ist er vielen Pakistanern aus ethnischen Gründen und wegen seines langjährigen nonkonformen Lebenswandels bis heute suspekt. Bei westlichen Medien und politischen Stiftungen ist er ein gern gesehener Gast und gilt als eloquenter, moderat-liberaler Politiker und Weltbürger. Gleichzeitig scheut seine PTI sich aber nicht, in seiner Herkunftsprovinz Khyber-Pakhtunkhwa mit islamistischen Parteien zu koalieren. Den Drohnenkrieg der USA im Antiterroreinsatz kritisierte er im In- und Ausland vehement. Nachdem die Friedensverhandlungen mit den Jihadisten nach dem Angriff auf den Flughafen von Karachi am 9. Juni endgültig beendet worden waren, schlugen Mitte Juli wieder US-Raketen in Nord-Waziristan ein und töteten mindestens 13 Menschen. Dass Khan und Qadri, der einst eine Fatwa gegen islamistischen Terrorismus erließ, nicht nur die Regierung als politischen Gegner haben, beweisen die Informationen, die Innenminister Chaudhry Nisar Ali Khan am Samstag öffentlich machte, wahrscheinlich um so den Zustrom von Demons­tranten einzudämmen. Demnach hätten die pakistanischen Taliban mindestens zwei Selbstmordattentäter losgeschickt, um die Demonstrationen von PTI und PAT zu attackieren.