Krautrock in Los Angeles beim Radiokollektiv Dublab

Vintage für die Ohren

Das unabhängige Radiokollektiv Dublab bedient sich aus den Musikarchiven des Krautrock und will Kunst und Kultur im Raum Los Angeles fördern.

Dublab ist eine Radiostation mit Sitz in Los Angeles, die vor 15 Jahren von Marc McNeill gegründet wurde. Das gemeinnützige Kollektiv hat mittlerweile monatlich etwa 300 000 Zuhörer aus allen Ländern der Welt gefunden, nicht wenige davon in Deutschland. Bei Dublab wird vor allem leftfield aufgelegt, Musik, die Genregrenzen überwindet, viel Krautrock, New Age, Italo-Disco, Progressive House und New Beat.
Als einer der ersten Sender, die Musik im Internet streamten, verbindet Dublab ein ambitioniertes musikalisches Programm mit der lokalen Kulturszene. DJs kuratieren Kunstausstellungen oder legen in Pop-Art-Galerien großer Museen auf. Der Sender lädt DJs der nationalen und internationalen Szene ein, gibt Alben heraus und gestaltet Plattencover. Den ersten Praktikanten gibt es auch. Seit Mai arbeitet Dub­lab zudem mit dem Goethe-Institut Los Angeles zusammen.
Die Musik des Senders ist genreübergreifend, die rund 40 DJs haben bei der Erstellung ihrer Sets völlig freie Hand. Sie verstehen sich als Künstler und Kuratoren, nicht als Unterhalter.
Hinter der schieferfarbenen Fassade des fensterlosen Eckhauses auf dem Santa Monica Boulevard, das in der Sonne glänzt wie mit Ölfarbe bemalt, hat der »Analogue Players Club«, die freitägliche House-Musikshow von DJ Slayron, bereits begonnen. Heute jedoch steht er nicht selbst am Pult, sondern hat eine Vertretung geschickt. DJ Slayron hat einen kleinen Sohn, den er heute von der Schule abholen muss. »Deshalb wird Dublab auch Dad-Lab genannt«, sagt DJ Lady C., »die meisten DJs hier haben Kinder, die oft in den Räumen umher rennen, während ihre Eltern auflegen. Aber der Sender nimmt das super locker, deshalb ist es kein Problem, kurzfristig einen Ersatz für die eigene Show zu finden.«
Das Radiokollektiv hat seinen Sitz im südöstlichen, ärmeren Teil Hollywoods, gleich bei Silverlake, Echo Park und Mount Washington, den musikalischen Zentren der Stadt. Die vornehmlich latein- und afroamerikanische Bevölkerung der unmittelbaren Umgebung lebt zumeist in den engen Seitengassen in einfachen pastellfarbenen Bungalows mit Wäscheleinen im Vorgarten. Grün-weiß-rot bemalte pollerias bieten frittierte Hähnchen zum Verkauf an. Das schlichte, Eleganz und Kühle ausstrahlende Café Sqirl sticht in dieser Umgebung hervor. Es ist berühmt für seinen Toast und steht längst auf den Insider-Listen der besten Restaurants der Stadt. Hier sitzen junge, modische Leute bei Avocadosalat und Käsesandwich mit Korianderpesto. »Wir alle stehen auf irgendeine Art in nachbarschaftlichem Kontakt und arbeiten zusammen. Dort vorne steht zum Beispiel ein Freund von mir, der das von seiner Freundin entworfene T-Shirt trägt. Ich selbst habe Sticker für den Radiosender Kchung entworfen – wir haben ein paar davon drinnen im Dublab-Büro an die Wand geklebt – und Stofftüten für den Musikladen Blue Bag Records in Echo Park gestaltet.« Dennoch, so DJ Lady C., würden das Radiokollektiv und seine lateinamerikanische Nachbarschaft gut zusammenpassen, denn viele Dublab-DJs stammen ebenfalls aus Lateinamerika, wie etwa Alejandro Cohen, Chico Sonido oder John Tejada.
DJ Lady C. ist einer der wenigen weiblichen DJs des Senders. Neben ihrer Tätigkeit in der Musikszene unterrichtet sie Yoga. »Manchmal kriege ich Komplexe, wenn ich an die riesigen LP-Sammlungen mancher – vor allem männlicher – Kollegen denke. Sie kaufen draufgängerischer. Ich habe einfach nicht das Geld für Sammlerstücke, kaufe aber trotzdem, wo und wie es geht, nur eben billiger.« In Musikläden der Szene, die keine Hörstation haben, sei Intuition gefragt. Anstatt in verschiedene Alben reinzuhören, kaufe sie oft auf Grundlage von Label, Genre und Cover-Design.
Die zierliche, rothaarige Frau erklärt, wie sich DJs bei der Gestaltung ihrer Sets zum Beispiel von den Graphiken alter LP-Cover inspirieren lassen. Das Verhältnis von Bild und Musik ist auch das Thema der Ausstellung »Into Infinity«. Die Ausstellung entstand als Kooperation von Dublab und dem gemeinnützigen Verein Creative Commons. Präsentiert wurden Kunstwerke in Form und Größe einer LP, dazu wurde Musik eingespielt. Auf der Website des Projektes lassen sich die einzelnen LP-Bilder anklicken und ein Zufallsgenerator wählt den das Bild begleitenden Track aus. Ausgewählte LP-Malereien hängen in einem großen Halbkreis im vollgestopften Dublab-Büro.
2008 hat das Radiokollektiv den Dachverband Future Roots gegründet, der neben dem Sender die Projekte Into Infinity und Vision Version förderte. Vision Version ist eine Kollaboration zwischen Dublab und lokalen Filmregisseuren. Diese organisieren Live-Performances in Los Angeles, während DJs den musikalischen Hintergrund gestalten. Andere Projekte wie »Secondhand Sureshots« mixen neue Töne aus alten oder seltenen Stücken, die vier bekannte LA-Musiker, Daedelus, J. Rocc, Nobody und Ras G, in Vintagemusikläden entdeckt haben.
Dublab-DJs legten auf dem Musikfestival »Desert Gold 2014« in Palm Springs auf und organisierten ein Sommermusikfest in Pasadena. Auf der »Blasing 45s«, auf der nur weibliche DJs auftraten, spielte DJ Monalisa. Einmal im Jahr organisiert der Sender ein Fundraising Event. Mit dem Erlös wird ein Mix-Album von neuen und alten Künstlern kompiliert. Die Website Dublabs promotet überdies Videos kürzlich erschienener oder neuaufgelegter Alben, wie »A Glitch Is a Glitch« von Flying Lotus, Julia Holters »Loud City Song« oder »Ocean 3D« von Father You See Queens, und lädt DJs und Musiker ein, ihre eigenen Sets zu spielen.
Die Zusammenarbeit mit dem Goethe-Institut soll eine neue Entwicklung in der Musik- und Radioszene der Stadt befördern, die sich vergangenen Tönen in der Gegenwart neu stellt. »Beim Entdecken neuer Töne fühlt man sich erst einmal, als hätte man sich in einem Wald verirrt, denn es gibt unendlich viele«, erklärt Alejandro Cohen, einer der Gründer Dublabs. »Um die Orientierung wiederzufinden, dreht man sich um und sieht nach dem Weg, den man gegangen ist. In der Musik beginnt es ähnlich mit der Nachahmung alter Töne, die in der Gegenwart ihre Referenz zur Vergangenheit bewahren. Gleichzeitig werden sie im Jetzt zu einem anderen, unabhängigen Genre – es ist ein bisschen, wie das Erfinden neuer Tanzschritte zu einer alten Melodie. So lassen sich auch alte Töne neu hören.« Toll sei zum Beispiel zu hören, wirft DJ Lady C. ein, wie anders analoge Synthesizer in den Achtzigern im Vergleich zu heute gebraucht wurden.
In Elevation through Sound legt Alejandro für Dublab Raritäten aus Ambiance, Funk, Soul und Gospel auf. Andere DJs wie Danny Holloway, musikalischer Berater eines Bob-Marley-Films, bereisten Ghana, Nigeria, Brasilien und Jamaica auf der Suche nach obskurem Funk. »Nachdem die Achtziger ihren Höhepunkt erreicht hatten, wollten die Neunziger nichts mehr mit ihnen zu tun haben. Erst jetzt lohnt es sich, alte Namen wiederzuentdecken. Die neue Kompilation ›Orange Cloud Nine‹ von Spike ist so ein Beispiel«, erzählt Alejandro.
Dublab promotet tote und lebende Musiker jenseits des Mainstream, wie etwa Linda Perhacs. 2010 folgte sie zunächst zögerlich einer Einladung des Senders. Dessen Musikgemeinde inspirierte Perhacs und sie fand Anschluss an eine neue Generation von Musikern. Dieses Jahr kam sie mit einem ersten neuen Album seit 44 Jahren heraus, The Soul of All Natural Things, dessen hypnotische Prismen tonal an Parallelograms anschließen, ein Hippie-Mix aus Aquarian Folk und ätherischem Avantgarde.
»DJ zu sein, ist immer auch narzisstisch«, lächelt DJ Lady C. »Wenn ich morgens mein Set für den Tag zusammenstelle, hängt die Wahl der Lieder natürlich auch von meiner Stimmung ab, die ich den Zuhörern sozusagen auferlege.« Wie einst Narziss sich in sein Spiegelbild auf der Wasseroberfläche verliebte, sei die Vinylschicht einer Platte auch immer ein vom DJ projiziertes Selbstbild.
Inmitten des milden Klimas Südkaliforniens, zwischen »Hollywoodification« und Kulturkonsum, endlosen Stränden und, je nach Stadtteil, günstigen Mieten, die Musiker aus aller Welt anziehen, ist Dublab ein Scharnier zwischen Altem und Neuem. In der Stadt von Musiklegenden wie Kendrick Lamar und Underground-Ikonen wie Flying Lotus entwirft der junge Sender neben kalifornischem Vintage-Vinyl ein neues Arbeits- und Familienmodell.