Berlin Beatet Bestes. Folge 256.

Der Zeit geschuldet

Berlin Beatet Bestes. Folge 256. Negerlyrik – Negermusik. Gedichte, Songs und Jazzimprovisationen (1962).

Konntest du keine andere Platte finden oder was?«, meinte meine Freundin, als sie den Titel des Albums hörte, über das ich schreiben wollte. Natürlich ist der Titel unmöglich, aber er ist auch der Zeit geschuldet, in der er entstand. Es ist eine antirassistische Platte. Langston Hughes, einer der bekanntesten Autoren der Harlem Renaissance, verband bereits in den zwanziger Jahren Jazz und Lyrik. Die kalifornischen Beatniks der fünfziger Jahre ließen ihre Texte von Cool Jazz begleiten und auch in Westdeutschland gab es Lesungen von Peter Rühmkorf und Ernst Jandl zusammen mit Jazzbands. In der DDR kam es 1962 zu einer ersten, sogar staatlich geförderten Annäherung beider Genres. In dem Programm »Negerlyrik – Negermusik« lasen junge Schauspieler wie Armin Müller-Stahl im dritten Stock der Volksbühne Berlin Texte afrikanischer und afroamerikanischer Autoren, begleitet von den Berliner Jazz-Optimisten. Die späteren Programme »Jazz und Lyrik« und »Jazz, Lyrik und Prosa«, an denen auch Manfred Krug mitwirkte, waren in der DDR sehr erfolgreich. 1965 begrüßten die Jazz-Optimisten übrigens den Dauerkiffer Louis Armstrong auf dem Flughafen Schönefeld.
Auf der ersten Seite der 10’’ sind Texte von H. Carey Thomas, Regierungsbeamter in Liberia, Dennis Chukude Osadebay, Anwalt am Obersten Gerichtshof in Nigeria, Mabel Imoukhuende, Redakteurin in Nigeria, und Michael Francis Dei-Anang, Sekretär des Gouverneurs von Ghana, zu hören. »Reiner und sensibler als in irgendeiner anderen Äußerung spiegelt sich in ihren Gedichten der Kampf gegen die Kolonialmächte und für die Gleichberechtigung wider. Politik und Dichtkunst gehen zusammen, es ist eine Lyrik des Protests, jede Zeile ist durchglüht von revolutionärer Ungeduld«, schreibt Heinrich Goertz in den Linernotes. Die zweite Seite präsentiert afroamerikanische Autoren wie Langston Hughes, Fenton Johnson, Countee Cullen und Waring Cuney.
Für die DDR lagen die Ursachen des Rassismus im Kapitalismus. Trotz der richtigen Analyse wurden Afrikaner und Afroamerikaner vornehmlich als Opfer betrachtet. Als der afroamerikanische Bariton Aubrey Pankey, der im Stil von Paul Robeson sang, wegen der Politik des Senators Joseph McCarthy 1956 in die DDR emigrierte und auch als der farbige Cartoonist und Bürgerrechtsaktivist Ollie Harrington 1961 in der DDR um politisches Asyl bat, wurden sie zunächst enthusiastisch begrüßt. Dennoch gab es in der biederen DDR nur wenig Raum für die weltgewandten Künstler. Die Parteifunktionäre hatten keine Ahnung, was sie politisch und künstlerisch mit ihnen anfangen sollten, und ließen sie von der Stasi ausschnüffeln. Pankey starb 1971 bei einem Autounfall in Ost-Berlin. Harrington starb 1995 mit 83 Jahren nahezu vergessen ebenfalls in Berlin. Die Jazz-Optimisten lösten sich 1968 auf, spielen aber seit 2008 wieder zusammen. Ein Konzert mit Katharina Thalbach am 31. Oktober in Berlin ist bereits ausverkauft.
Mein Name ist Andreas Michalke. Ich zeichne den Comic »Bigbeatland« und sammle Platten aus allen Perioden der Pop- und Rockmusik. Auf meinem Blog Berlin Beatet Bestes (http://mischalke04.wordpress.com) stelle ich Platten vor, die ich billig auf Flohmärkten gekauft habe.