Dicke Luft in Hamburg

Sein erstes Jahr beim Spiegel hat sich Wolfgang Büchner ­sicherlich anders vorgestellt. ­Eigentlich sollte er als neuer Chefredakteur dem Magazin zu mehr Ruhe verhelfen, Streitigkeiten beenden sowie eine Digitalstrategie entwickeln, die Online und Print effektiv und erfolgreich miteinander verzahnt. Selbstverständlich beinhaltete Büchners Aufgabe, der zuvor die Nachrichtenagentur DPA an die Erfordernisse des sich rasant wandelnden Medienmarktes angepasst hatte, dem einstigen »Sturmgeschütz der Demokratie« zu neuem Glanz verhelfen. Denn unter Büchners geschassten Vorgängern Georg Mascolo und Mathias Müller von Blumencron machte der Spiegel weit seltener durch spektakuläre Enthüllungsgeschichten und intellektuelle Höhenflüge auf sich aufmerksam als durch Zank und Missgunst in den eigenen Reihen. Vom Auflagenschwund ganz zu schweigen.
Diese unproduktive, an den Nerven zehrende Zeit sollte der Neue beenden. Nur: Daraus ist bislang nichts geworden. In Hamburg herrscht dicke Luft. Seit Monaten tobt ein Machtkampf um Konzepte und Ideen fürs Blattmachen. Jetzt droht womöglich sogar ein Aufstand der Redaktion gegen den Chef.
Was ist passiert? Büchner hatte angekündigt, dass die Stellen aller Ressortleiter innerhalb der kommenden zwei Jahre neu ausgeschrieben werden. Die künftigen Amtsinhaber sollen sowohl für das Gedruckte als auch für Online-Inhalte zuständig sein. Das klingt zunächst vernünftig, um beide Bereiche so weit wie nötig zusammenzuführen. Doch dahinter steht wohl auch Büchners Wunsch, den Widerstand gegen seine Person zu schwächen. Denn vor seiner Ankündigung hatten sich die Ressortleiter gegen eine weitere Zusammenarbeit mit dem Chefredakteur ausgesprochen. Sie monierten dem Vernehmen nach nicht allein Büchners Strukturpläne, sondern auch dessen fehlende politische Strahlkraft. Von ihm gingen keine intellektuellen Impulse aus.
Vergangene Woche eskalierte die Situation. Zwar befürworteten alle Gesellschafter des Verlags Büchners Pläne. Doch gleichzeitig soll eine überwältigende Mehrheit der fast 330 Beschäftigten eine Petition unterschrieben haben mit der Forderung an die Eigentümer, das Vorhaben des Chefredakteurs vorerst abzulehnen. Dieses sei nur realisierbar, wenn man vertrauensvoll zusammen­arbeitet. Davon könne allerdings derzeit keine Rede sein – ein klares Misstrauensvotum gegen Büchner. Nun wurde ein Burgfrieden vereinbart, der Machtkampf, der längst einem Kulturkampf ähnelt, somit vertagt. Wie führt man Online und Print zusammen? Wer hat das Sagen beim Blattmachen, wer gibt die digitale Richtung vor? Und: Was will der Leser? Auf diese Fragen hat der Spiegel noch keine Antworten gefunden. Zeit wird’s.