Deutschen Atommüll will niemand haben

Ein Keller voller Strahlenmüll

Keiner weiß, wo der deutsche Atommüll gelagert werden soll. Während im AKW Brunsbüttel die Fässer durchrosten und die »Atommüllkommission« tagt, wird ­öffentlich über den Export verbrauchter Brennelemente diskutiert.

Wahrscheinlich hört jeder Mensch als Kind den Satz: »Räum’ selbst deinen eigenen Dreck weg!« Auch im Erwachsenenalter gelten solche Sinnsprüche der Kindheit noch. Doch der eben genannte Satz scheint in Vergessenheit zu geraten, wenn es um den deutschen Atommüll geht. Für diesen will niemand zuständig sein und es entstehen die verrücktesten Ideen, wie der Müll denn nun entsorgt werden sollte.

Derzeit ist wieder eine Hochphase in der Diskussion um den deutschen Atommüll. Wie in der vergangenen Woche bekannt wurde, lagern im ehemaligen AKW Brunsbüttel zehn stark durch­gerostete Fässer. Aus ihnen sind bereits schwach- und mittelradioaktive Substanzen entwichen, darunter auch Cäsium 137. Prompt bagatellisierte der schleswig-holsteinische Energieminister Robert Habeck (Grüne) in Kiel den Fund. Es bestehe angesichts der meterdicken Betonwände keine Gefahr für das Grundwasser. Insgesamt lagern in den Kellern des AKW Brunsbüttel 631 Fässer mit Atommüll. Erste Sichtungen im Jahr 2012 ergaben, dass bereits mehrere Fässer durch Korrosion beschädigt sind. Bis 2015 muss Vattenfall als Betreiber des Kraftwerks den Zustand aller Fässer überprüft haben. Dann sollen sie in endlagerfähige Behältnisse umgefüllt werden.
Was dann geschieht, ist unklar. Denn die Fässer sollen in ein Endlager gebracht werden, dessen Fertigstellung auf sich warten lässt. Das ist für das AKW Brunsbüttel und den Betreiber Vattenfall äußerst ungünstig, schließlich wird ein Abtransport der Fässer in den kommenden Jahren dadurch äußerst unwahrscheinlich. Für die Endlagerung vorgesehen war der ehemalige Eisenerzschacht Konrad II, der schon seit 32 Jahren auf seine Eignung geprüft wird. »Jetzt kann man davon ausgehen, dass er frühestens 2022 in Betrieb gehen wird«, sagt Ursula Schönberger, Vorstandsmitglied der Arbeitsgemeinschaft Schacht Konrad. Und selbst dieser Termin ist unsicher, denn seit den ersten Erkundungen hat es einerseits bedeutende technologische Fortschritte ­gegeben und andererseits Erfahrungen wie zum Beispiel mit der Schachtanlage Asse in Niedersachsen. Dort lagern über 120 000 marode Fässer, deren zukünftiger Aufenthaltsort ebenfalls unklar ist.
Die Arbeitsgemeinschaft Schacht Konrad hat sich die Mühe gemacht, alle Standorte radioaktiven Mülls zu kartieren. Sie kommt zu dem Ergebnis, dass sich stärker strahlender Müll an 90 Lagerstätten in Deutschland befindet. Hinzu kommen die Altlasten des Bergbauunternehmens Wismut aus der ehemaligen DDR. Schwach strahlender Müll wurde im Zuge der Strahlenschutznovelle im Jahr 2001 »freigemessen«, er darf auf Hausmülldeponien abgeladen und im Straßenbau verwendet werden.

Zu dem hierzulande lagernden Atommüll kommt in absehbarer Zeit noch weiterer hinzu, der aufgrund von Vertragsbestimmungen aus dem Ausland zurückgenommen werden muss. So liegen beispielsweise in der französischen Wiederaufbereitungsanlage La Hague noch größere Mengen deutschen Atommülls, der bis 2015 zurückgeliefert wird. Die Bundesregierung versucht derzeit, den Stromkonzern EnBW dazu zu bewegen, den Müll zurückzunehmen und am AKW Philippsburg zwischenzulagern. Doch das Unternehmen weigert sich. »Wir haben bereits für die Zwischenlagerung von Abfällen aus der Wiederaufarbeitung bezahlt und tragen auch weiterhin die laufenden Kosten des Zwischenlagers in Gorleben mit«, sagte ein Unternehmenssprecher kürzlich. Zudem fordert der Konzern, die Bundesregierung solle endlich ein Gesamtkonzept vorlegen.
Diese ist nicht untätig. Eine »Atommüllkommission« hat in ihrem Auftrag die Suche nach einem geeigneten Endlager aufgenommen. Am 22. Mai tagte die 33köpfige Kommission zum ersten Mal zur Frage hoch radioaktiver Abfallstoffe. In den öffentlichen Sitzungen soll »ergebnisoffen« darüber beraten werden, wo der Müll langfristig gelagert werden kann. Darüber hinaus soll die Kommission eine gesellschaftliche Diskussion über den Umgang mit dem Müll anstoßen.
Gruppen der Anti-AKW-Bewegung sehen die Arbeit der Kommission skeptisch. So kritisiert die Organisation »Ausgestrahlt«, dass es von den Sitzungen der Kommission keine vollständigen Wortprotokolle gebe. Allerdings kann man online zusammenfassende Protokolle lesen und die gesamte Sitzung per Video verfolgen. Also hat die Gruppe kurzerhand selbst mitprotokolliert und ihre Mitschriften online veröffentlicht.
Bis auf den »Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland« (BUND) sucht man die viel gerühmten »gesellschaftlichen Gruppen« in der Kommission vergeblich. Alle anderen Organisationen der Anti-AKW-Bewegung haben ihre Mitarbeit verweigert. »Man muss diese Absagen vor dem Hintergrund sehen, dass wir 40 Jahre lang in Atomfragen stets belogen und betrogen wurden. Dieses Misstrauen sitzt tief und wird immer wieder bestätigt, wenn man zum Beispiel aktuell sieht, dass Atommüll exportiert werden soll«, sagt Schönberger, deren Arbeitsgemeinschaft Schacht Konrad sich ebenfalls nicht an der Kommissionsarbeit beteiligt. Der BUND selbst sitzt denn auch eher skeptisch in dem Gremium, wie er auf seiner Homepage erläutert: »Auch nach der Entsendung seines Vertreters in die Atommüllkommis­sion sieht der BUND das Standortauswahlgesetz jedoch weiterhin kritisch. Das darin vorgesehene Verfahren zur Endlagersuche wird der Problemlage nicht gerecht. Zudem sind nicht alle Bedingungen der Umweltverbände und Anti-Atom-Initiativen für eine Mitarbeit in der Kommission erfüllt worden.«
Schönberger kennt das staatliche Taktieren nur zu gut. So kritisiert sie, dass derzeit, trotz der »gesellschaftlichen Suche« nach einem End­lager hierzulande, offen über den Export von 288 161 tennisballgroßen Kugeln radioaktiven Mülls aus dem Forschungsreaktor Jülich bei Aachen in die USA diskutiert wird. Eine Absicht­serklärung für die Rücknahme wurde bereits unterzeichnet. In die USA soll der Atommüll geliefert werden, weil die Brennelemente für den Forschungsreaktor ursprünglich von dort kamen. Die Große Koalition hüllt sich noch in Schweigen, das Ende dieses Exportversuchs ist noch unklar. Dabei dürfte es ihn gar nicht geben. Das Atomgesetz verbietet seit Mitte 2005 den Transport verbrauchter Brennelemente zur Wiederaufarbeitung ins Ausland. Auch im Endlagersuchgesetz, das der Bundestag im Juli 2013 verabschiedete, ist gleich im ersten Paragraphen explizit davon die Rede, dass kein Atommüll – »einschließlich abgebrannter Brennelemente« – exportiert werden soll.
Die Arbeitsgemeinschaft Schacht Konrad verlässt sich deshalb wegen der schlechten Erfahrungen nicht auf die Arbeit der Kommission, sondern engagiert sich weiterhin selbst. Am 30. August findet in Kassel die fünfte »Atommüllkonferenz« der Anti-AKW-Bewegung statt. Diese rückt in diesem Jahr den Atommüll in den Fokus und plant für den Herbst eine bundesweite Kampagne, die die gewünschte gesellschaftliche Debatte in Gang bringen soll. In Brunsbüttel wird man wohl auf absehbare Zeit allein mit den Fässern fertig werden müssen – es gibt schlicht und ergreifend keine Alternative.