Israel-Solidarität ist bei einigen Gewerkschaften in Europa nicht erwünscht

Zu parteiisch für das Emsland

Ein DGB-Kreisverband hat eine proisraelische CDU-Politikerin als Rednerin für eine Gedenkveranstaltung ausgeladen. In Deutschland ist dies ein Einzelfall, andere europäische Gewerkschaften gehen weiter.

»Jeder Tote ist zu viel. Aber seit 2006 wird Israel beschossen und hat ein Recht auf Selbstverteidigung. Die Hamas-Terroristen nutzen Schulen und Altenheime als Raketenlager, missbrauchen Frauen und Kinder als menschliche Schilde. Israel unternimmt alles, um diese Zivilisten zu schützen. Israel fordert die Menschen vor jedem Angriff per Telefon, SMS, Flugblättern und Warnschüssen auf, die Häuser zu verlassen, die als Lager missbraucht werden.«
Ob man dem zustimmt oder nicht, von einer Funktionärin der Deutsch-Israelischen Gesellschaft (DIG) sind diese Sätze nicht überraschend. Nachdem Gitta Connemann, Vizepräsidentin der DIG und Bundestagsabgeordnete der CDU, dies in einem Interview zu Protokoll gegeben hatte, wurde sie in E-Mails unter anderem als »Judenhure« beleidigt. Auch der DGB-Kreisverband Nördliches Emsland reagierte auf die Aussagen. Er lud die Politikerin vor kurzem als Rednerin für eine Gedenkveranstaltung auf dem Gelände des ehemaligen Konzentrationslagers Esterwegen wieder aus. Man habe erwartet, dass »Frau Connemann trotz ihrer Funktion eine neutralere Position vertritt«.

Im DGB ist dies ein Einzelfall. Und die Kollegen können auch anders: Der bayerische DGB-Vorsitzende Matthias Jena rief Ende Juli gemeinsam mit der Israelitischen Kultusgemeinde München und Oberbayern zu einer Kundgebung gegen Antisemitismus und Antizionismus auf. Doch auch das ist ein Einzelfall. Für den im Mai aus dem Amt geschiedenen DGB-Vorsitzenden Michael Sommer schloss gewerkschaftliche und antifaschistische Solidarität sowohl Israel als auch die Jüdinnen und Juden in Deutschland ein. Von seinem Nachfolger Reiner Hoffmann war in den ersten Monaten seiner Amtszeit zu dem Thema noch nichts zu vernehmen.
Der DGB-Bundesvorstand überlässt auf seiner Website unter der scheinbar äquidistanten Überschrift »Gaza: Stoppt den Teufelskreis der Gewalt« lieber dem Europäischen Gewerkschaftsbund das Wort. Dessen Präsidentin, Bernadette Ségol, verharmlost in dem kurzen Text den andauernden Raketenbeschuss durch die Hamas als »Provokation«. Diese rechtfertige nicht den »absolut unverhältnismäßigen israelischen Militäreinsatz«. Zudem fordert Ségol die Unterbrechung des Siedlungsbaus in der Westbank während etwaiger Friedensgespräche. Zwar kritisiert sie »antisemitische Parolen und Kundgebungen in Teilen Europas«. Die vergangenen Wochen haben jedoch belegt, wie wenig derzeit das eine ohne das andere zu haben ist.
Die Ansichten der DGB-Vertreter der Region Oldenburg-Ostfriesland zu den antisemitischen Aufmärschen der vergangenen Wochen sind nicht bekannt. Sie teilten aber mit, was Connemann als Rednerin inakzeptabel mache. »Ihre einseitige Stellungnahme zum Krieg in Israel widerspricht unseren DGB-Grundsätzen«, schrieben sie als Begründung. Äußerst verärgert waren die Gewerkschaftsmitglieder offensichtlich auch darüber, dass sich Connemann mit ihren Aussagen auf einen israelischen Angriff auf eine UN-Schule bezog, die von der Hamas als Waffenlager genutzt wurde.
Das man aus der Geschichte lernen müsse, ist unter Gewerkschafterinnen und Gewerkschaftern eine häufig gebrauchte Floskel. Nicht wenige ergänzen so pathetisch wie apodiktisch, dass man andernfalls dazu verurteilt sei, historische Fehler zu wiederholen. Dass der DGB als Einheitsgewerkschaft verfasst ist, verdankt sich beispielsweise einer historischen Lehre, denn die gespaltene Arbeiterbewegung vor 1933 war dem aufziehenden Nationalsozialismus und seiner antisemitischen Ideologie nicht in der notwendigen Einigkeit entgegengetreten. Heutzutage organisieren sich in den DGB-Gewerkschaften ganz selbstverständlich Mitglieder aus allen demokratischen Parteien, eine Abgrenzung besteht nur gegen antidemokratische Parteien.
Die Lehre der Geschichte, dem Faschismus ein »Nie wieder!« nachzurufen, ist unter Gewerkschaftern mehrheitsfähig. Allerdings auch deshalb, weil der Parole neben dem Verb das Objekt abhanden gekommen ist, so dass nur »Nie wieder« übrigbleibt und ein Objekt ergänzt werden kann. Die Lehre der deutschen Gesellschaft war es lange, nie wieder zu den Waffen zu greifen: »Nie wieder Krieg!« Dieser Satz half Gewerkschaftern häufig, darüber hinwegzusehen, dass sie in einem waffenproduzierenden und waffenexportierenden Land leben. Und auch darüber, dass Gewerkschaften ganz selbstverständlich die Arbeiter organisieren, die Kriegswaffen herstellen. Das pazifistische Pathos ließ den Widerspruch verblassen.
Für Israel gibt es hingegen allen Grund, die Parole so zu vervollständigen: »Nie wieder Opfer werden!« Dass dieses Motto zum Selbstverständnis des jüdischen Staats zählt, ergibt sich zwingend aus der Geschichte der Shoah. Wenn deutsche Gewerkschafter von den Opfern des NS und ihren Nachfahren erwarten, sich die historischen Lehren der Nachfahren der Täter anzueignen, dann kann es mit den geschichtlichen Lehren dieser Gewerkschafter nicht weit her sein.
Zudem gefährden solche Lehren das gute Verhältnis zwischen dem DGB und dem israelischen Gewerkschaftsdachverband Histadrut. In den sechziger Jahren nahmen beide Organisationen erstmals Kontakt auf, 1974 schlossen der DGB in Nordrhein-Westfalen und die Histadrut Tel Aviv/Jaffo offiziell eine Partnerschaft. Die Verbindungen sind nach wie vor eng, es gibt gegenseitige Besuche und einen Jugendaustausch. Das ist nicht selbstverständlich. »Wir beobachten mit großer Sorge, dass die Kritik von skandinavischen und britischen Gewerkschaften an Israel wächst«, schrieb Gershon Gelman, Vorsitzender der Histadrut, zum 34jährigen Bestehen der Partnerschaft mit dem DGB im Jahr 2008. Es sei jedoch erfreulich, dass »die DGB-Vertreter aus Nordrhein-Westfalen und Sachsen bei ihrem Besuch im Mai ganz klar gemacht haben, dass sie ohne Wenn und Aber hinter Israel stehen«.
Vielleicht bleibt das so. Der DGB-Kreisverband Nördliches Emsland wurde wegen der Entscheidung, Connemann auszuladen, scharf kritisiert, gerade auch von Gewerkschaftern. In der vergangenen Woche hat der Kreisverband reagiert. Es herrscht Zerknirschtheit, jedoch nur des Stils wegen: »Uns ist klar, dass es sich gehört hätte, zuerst mit Frau Connemann selbst über die Ausladung zu sprechen und nicht vorher an die Presse zu gehen.«

In der Sache unterbleibt jede Korrektur. Die Ausladung bleibt bestehen, auch wenn man es inzwischen für »voreilig« hält, angesichts Connemanns Aussagen »von einem Widerspruch zu den DGB-Grundsätzen« gesprochen zu haben. Im DGB-Bezirk begrüßt man diese Entscheidung »nach der Aufregung um Frau Connemann«. Die Aufregung hat jedoch der DGB-Kreis verursacht und dem Dachverband damit Schlagzeilen wie »DGB lädt Hamas-Gegnerin aus« und »DGB lädt proisraelische Politikerin aus« verschafft. Von der halbherzigen Entschuldigung des Kreisverbands erfuhr Connemann, wie schon von der Ausladung, aus der Presse.