Der Bundestag debattiert über die Sterbehilfe

Öffentliche Gewissensprüfung

In der vergangenen Legislaturperiode scheiterte die schwarz-gelbe Koalition an einer gesetzlichen Regelung der Sterbe­hilfe. Nun steht im Bundestag erneut eine Debatte darüber an, vom strikten Verbot bis zur Legalisierung scheint alles möglich.

Die vom Bundestag erhoffte und von vielen immer wieder geforderte gesellschaftliche Debatte über die gesetzliche Regelung der Sterbehilfe hat wieder begonnen. Anfang des Jahres hatte sich das deutsche Parlament für eine Debattierpause entschieden, um dem schwierigen Thema Sterbehilfe den nötigen Raum für Reflexion zu geben. Zu Entscheidungen wollte man erst nach der Sommerpause kommen, die parlamentarische Auseinandersetzung sollte ohne Fraktionszwang erfolgen.
Mit dieser Vorgehensweise hat der Bundestag in der Vergangenheit gute Erfahrungen gemacht. Bei heiklen Themen wie der Stammzellforschung oder dem Embryonenschutz debattierte man stets fraktionenübergreifend und stimmte dann auch ohne Fraktionszwang ab. Nun zeichnet sich allerdings ab, dass die Diskussion über die Sterbehilfe eine andere Dynamik entfalten könnte.

Während es bei der Stammzellforschung oder dem Embryonenschutz nur um einen kleinen Kreis betroffener Menschen geht, berührt das Thema Sterbehilfe viele Bürger unmittelbar. Fast jeder kennt jemanden, der jemanden kennt, der sich Sterbehilfe gewünscht hat. Noch konkreter wird das Thema im persönlichen Umfeld. In vielen Familien wird darüber diskutiert, wo die Angehörigen im Alter bleiben, wer die Pflege übernimmt. Da verwundert es nicht, dass über Sterbehilfe nicht nur in Ethikzirkeln gesprochen, sondern auch in den Medien berichtet wird. In den vergangenen Wochen gab es zu dem Thema ­viele Wortmeldungen. Die an Brustkrebs erkrankte Ehefrau des Ratsvorsitzenden der Evangelischen Kirche, Anne Schneider, hat öffentlich angekündigt, zum Sterben in die Schweiz zu fahren, sollten die Schmerzen unerträglich werden. Ihr Ehemann Nikolaus Schneider ist gegen die Assistenz beim Suizid, die Organisationen wie Exit und Dignitas in der Schweiz anbieten. Dennoch hat er erklärt, seine Frau in die Schweiz zu begleiten, sollte es so weit kommen. Der Dissens zwischen Befürwortern und Gegnern der Sterbehilfe geht in diesem Fall quer durch die Familie. Er spaltet aber auch die Gesellschaft.
Die Bundesärztekammer hat in ihrer Musterberufsordnung erst 2011 eindeutig festgelegt, dass Ärzte keine Sterbehilfe leisten dürfen. Allerdings haben nur zehn von 17 Landesärztekammern diese Musterberufsordnung wortgetreu übernommen. Alle anderen haben sie abgeschwächt oder die Passage ganz weggelassen, so dass der ethische Standpunkt eines Arztes derzeit auch von seinem Wohnort abhängt. In der Berufsordnung hat die Ärztevertretung in Paragraph 6 beschlossen, dass »Ärztinnen und Ärzte (…) Sterbenden unter Wahrung ihrer Würde und unter Achtung ihres Willens beizustehen (haben). Es ist ihnen verboten, Patientinnen und Patienten auf deren Verlangen zu töten. Sie dürfen keine Hilfe zur Selbsttötung leisten.«

Dennoch haben sich nun namhafte Mediziner dafür ausgesprochen, Ärzten die Hilfe beim Suizid zu erlauben. Der angesehene Palliativmediziner Gian Domenico Borasio, die Medizinethiker Ralf J. Jox und Urban Wiesing und der Medizinrechtler Jochen Taupitz haben einen Gesetzentwurf zum assistierten Suizid vorgelegt. In der Debatte wird ihre Stimme wohl Gewicht haben. »Wer einem anderen Beihilfe zur Selbsttötung leistet, wird, wenn die Selbsttötung ausgeführt oder versucht wurde, mit einer Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft« lautet der erste Absatz des von ihnen entworfenen Paragraphen 217, der zunächst vermuten lässt, die vier Wissenschaftler lehnten die Beihilfe zur Selbsttötung kategorisch ab.
In den weiteren Absätzen des Paragraphen formulieren sie jedoch Ausnahmen, die sich auf »Angehörige oder dem Betroffenen nahestehende Personen« und »Ärzte« beziehen. Diese sollen straffrei bleiben. Damit richten sich die Autoren des Gesetzentwurfs gegen die dubiosen Sterbehilfeorganisationen, denn diese fallen nicht unter die Straffreiheit, wobei »nahestehende Person« ein dehnbarer Begriff ist.
»Es sei wissenschaftlich längst belegt, dass es auch bei bester Palliativversorgung Menschen gibt, die mit Berechtigung sagen: Das, was mir noch bevorsteht, möchte ich nicht erleben«. Zudem zeigten »die internationalen Daten einen deutlichen Anstieg der Sterbehilfefälle dort, wo die Tötung auf Verlangen erlaubt ist (Holland und Belgien), aber nicht dort, wo nur der assistierte Suizid zugelassen ist (Schweiz und Oregon)«, teilte Borasio in seiner Begründung für die Gesetzesinitiative mit. Der erste Gesetzentwurf wird die schon begonnene Debatte sicherlich befeuern.
Und nun scheinen sich auch immer mehr Befürworter der Sterbehilfe zu Wort zu melden. So erklärte der stellvertretende Fraktionsvorsitzende der SPD, Karl Lauterbach, dem Spiegel, er halte ein striktes Verbot der Sterbehilfe für nicht mehr zeitgemäß. Er fordert eine Legalisierung der Beihilfe zum Suizid für Ärzte, jedoch in sehr engen Grenzen. Peter Hintze (CDU) forderte in einem Interview mit dem Spiegel Ähnliches: »Meiner Ansicht nach sollte der ärztlich assistierte Suizid in unerträglichen Situationen am Lebensende ohne jeden Zweifel straffrei sein, wenn der Patient dies wünscht und der Arzt in einer Gewissensentscheidung zu dem Ergebnis kommt, dass er diesem Wunsch nachkommen will.«

Damit stellt Hintze sich gegen die Position der CDU, die mehrheitlich die Initiative von Bundesgesundheitsminister Hermann Gröhe unterstützt, der die organisierte Sterbehilfe generell unterbinden will. Auch einen ärztlich assistierten Suizid lehnt er ab. Ähnlich hat sich Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) geäußert. Angesichts der derzeitigen Auseinandersetzung mit dem Thema steht noch lange nicht fest, dass ein generelles Verbot geben wird. Stattdessen kann man bereits davon ausgehen, dass im Bundestag verschiedene Anträge zur Abstimmung vorliegen werden. Lauterbach hält bis zu fünf Anträge für möglich. Die Frage nach den Mehrheiten ist dabei derzeit vollkommen offen.
Organisationen wie der Deutsche Hospiz- und Palliativverband (DHPV) lehnen jeden Vorstoß zu einer Legalisierung kategorisch ab. Der Verband warnt davor, die Tür zu einer Zulassung aufzustoßen. Oft sei der Todeswunsch in der Angst vor Schmerzen und vor dem Alleinsein sowie in der Angst davor, die Selbstbestimmung zu verlieren und anderen zur Last zu fallen, begründet. »Ein Arzt sollte diese Ängste ernstnehmen und ihnen mit Verständnis, Zuwendung und Aufklärung über die Möglichkeiten hospizlicher und palliativer Betreuung begegnen«, so Winfried Hardinghaus, der kommissarische Vorsitzende des DHPV, ein erfahrener Palliativmediziner. Er sieht den gesellschaftlichen Wertekanon bei einer Legalisierung in Gefahr: »Eine (…) Legalisierung erhöht den Druck auf kranke und alte Menschen, anderen nicht zur Last fallen zu wollen, eine Entwicklung, die in einer solidarischen Gesellschaft nicht gewollt sein kann.«
Angesichts der Unterschiedlichkeit der Positionen ist im Augenblick kaum ein Kompromiss denkbar. Letztlich wird die Sterbehilfe, trotz ihrer ethischen Dimension, wohl schlicht per Mehrheitsentscheid geregelt werden.