So gehen die Deutschen. 3. Folge: Deutsche in der Toskana

Der Inbegriff von Genuss und Kultur

Große ­Sommerserie über Deutsche ­im Ausland, 3. Folge: Italien. Mit der Toskana haben deutsche Bildungsbürger einen Landstrich erfunden, der sie in Glückseligkeit versetzt. Die aufwendig zelebrierte Italien-Liebe der Deutschen gehört allerdings der Vergangenheit an.

Wenn man als in Deutschland lebende Italienerin auf die Frage: »Woher kommst du?« mit: »Aus der Toskana« antwortet, sind die Reaktionen recht erwartbar. Die meisten berichten stolz, schon mal dort Urlaub gemacht zu haben: »Oohh wuunderschön!« Wer hingegen Wert darauf legt, nicht mit dem gewöhnlichen deutschen Touristen verwechselt zu werden, will es genau wissen: »Woher denn genau?« Aber selten aus authentischem Interesse, sondern nur, um mit dem Namedropping von Orten loszulegen, von denen man selbst dann nie gehört hat, wenn es nicht an der trotz ausgezeichneter Toskana-Kenntnis immer noch viel zu deutschen Aussprache liegt, so dass man Namen wie Monteriggioni, Piancastagnaio oder Campiglia Marittima nicht mehr erkennt. Und dann gibt es die, die es überhaupt nicht verstehen können, wie jemand sich entscheiden kann, sein Leben an einem anderen Ort zu verbringen, und entrüstet fragen: »Wie kann man nur von dort wegziehen?« Mit der Zeit versteht man, dass man sich nicht um eine schlagfertige Antwort zu bemühen braucht, die Frage ist offensichtlich rhe­torisch gemeint.
Die Toskana ist ein Mythos, und zwar einer, der deutscher nicht sein könnte. Nicht erst seit dem rot-grünen Hype der neunziger Jahre ist diese Region für Deutsche viel mehr als ein Urlaubsort: Sie ist der Inbegriff von Schönheit, Kunst, raffiniertem Lebensstil. Möglicherweise besteht die Faszination der Toskana darin, dass sie eine Art »Italien light« darstellt und nicht zu aggressiv mediterran wirkt, sondern gepflegt, kultiviert und diskret. Da fühlt sich der zurückhaltende Besucher aus dem kühlen Norden meist wohler als im viel zu heißen Sizilien, im chaotischen Rom oder im hektischen Mailand. Es ist bis heute nicht eindeutig festgestellt worden, woran das liegt, fest steht jedoch: Kaum auf toskanischem Boden angekommen, wird der deutsche Reisende in einen Zustand glückseliger Ekstase versetzt. Und das merkt man ihm an.
Als ich vor vielen Jahren meinen damaligen deutschen Freund meiner Großmutter vorstellte, rief sie entrüstet aus: »Ein Deutscher? Aber sie sind alle so böse!« Eine Generation später sieht es anders aus. In der Toskana sind die Deutschen beliebte Besucher. Ob kunstbegeisterte Urlauber, die sich in der Sommerhitze tapfer durch Florenz, Pisa oder Siena führen lassen, oder wohlhabende Großstadtflüchtlinge, die die ländliche Idylle suchen – je abgelegener desto besser –, ein altes Gehöft aufwendig restaurieren lassen und in ein stilvolles Feriendomizil verwandelt haben: Schon im Kindesalter lernen wir, dass zu »uns« die »guten« Deutschen kommen. Nicht die hinterwäldlerischen crucchi, die Socken in Sandalen tragen und die billigen Badeanstalten der Adriaküste bevölkern. Und auch nicht die in Wohnwagen herumreisenden Hippies, die sich über die Spießigkeit der Italiener aufregen, wenn sie feststellen, dass man nicht an jedem kleinen Strand, im Maremma-Nationalpark oder an der Piazza del Campo wild campen darf.
Die Toskana ist das Ziel der kultur- und genussliebenden Bildungsbürger, die brav mit ­ihren blonden, unfassbar gut erzogenen Kindern stundenlang im einzigen Café mit Blick auf die Piazza des kleinen mittelalterlichen Dorfes sitzen und nach zwölf Uhr mittags nur noch Espresso, höchstens macchiato, und herzhafte Speisen bestellen. Es sind solche Details, die für den Einheimischen den Unterschied machen. Die »richtigen« Toskana-Deutschen verzehren cappuccino und cornetto nur am Vormittag und niemals würden sie es wagen, zwischen 15 und 19 Uhr eine Pizzeria aufzu­suchen. Wenn sie dann beweisen, dass sie das sehr wichtige Ritual des Aperitivo begriffen haben, dann sind die Voraussetzungen für eine dauerhafte Liebesbeziehung geschaffen.
Die »Toskana-Fraktion« ist, wie ich feststellen musste, den wenigsten Toskanern bekannt. Dass in den neunziger Jahren durch diesen Begriff die Toskana zur »Provinz der deutschen Politseele« gemacht wurde, wie Robert Gernhardt, Autor des Theaterstücks »Die Toscana-Therapie«, 1992 in der Zeit schrieb, ist schwer zu vermitteln. Wenn man dazu noch erklärt, dass man in Deutschland durch diesen Begriff damals eine bestimmte Politikerkaste beschimpfte, sind die Italiener natürlich verwirrt. Weil sie vermutlich noch nie einen Deutschen über die Toskana haben schimpfen hören. Und überhaupt: Was soll daran verwerflich sein, wenn altgediente, im Politikgeschäft etablierte Ex-Revoluzzer sich eine Villa in der Maremma kaufen und dort ihren Sommerurlaub bei ­Vernaccia, schiacciata und Wildschweinsalami verbringen? In der Toskana hat sich nie jemand über Otto Schily, Gerhard Schröder, Joschka Fischer und andere aufgeregt, und auch in Deutschland ist es um jene »mittelalten, flippig auftretenden Herrschaften, des Italienischen nicht kundig, aber mit Häuslein in der Tos­kana ausgestattet« – wie der Publizist Johannes Gross diese politische Spezies damals beschrieb – still geworden. Die Zeiten, in denen die Liebe zu Italien im großen Stil, wenn auch etwas protzig, zelebriert wurde, sind vorbei. Die Bundeskanzlerin verbringt zwar noch ihre Ferien in Italien, aber es ist eine Liebe ohne Leidenschaft, auch in dieser Hinsicht herrscht längst Austerität. Kaum ein Bild verkörpert diesen Zustand wie das von Angela Merkel in Basecap und Fleecejacke bei einem Spaziergang auf Ischia und beim Besuch der Ruinen von Pompeij, bei der sie – so berichteten italienische Zeitungen – »sogar Eintritt zahlte, wie eine normale Touristin«.