Notizen aus Neuschwabenland, Teil 4

Die Zukunft des Illiberalismus

Diese Kolumne berichtet über das Milieu der »Neuen Rechten«. Notizen aus Neuschwabenland Teil 4: Identitäre und ihre Vorbilder.

Der ehemalige Hamburger Innensenator Ronald Schill bewies schon in den vergangenen Jahren eine besondere Fallhöhe. Einst als »Richter Gnadenlos« und erklärter Feind einer liberalen Rechtsprechung frenetisch gefeiert, lieferte er eine öffentliche Selbstdemontage mit Koksbeichte und Sexsucht-Posse. Seit Schill nun bei »Big Brother« die Hosen runterlässt, finden ihn selbst seine ehemaligen Fans bei der Jungen Freiheit »gnadenlos peinlich«.
Bei solchem Personal hierzulande ist es kein Wunder, dass sich die sächsische AfD Rat aus Österreich holt. Ihre Einladung des langjährigen FPÖ-Europaparlamentariers Andreas Mölzer war angesichts der ständigen Abgrenzungsbemühungen nach rechtsaußen bemerkenswert. Betrachtet man das Wahlergebnis, so hat es die Sachsen nicht gestört. Dabei war Mölzer 2007 selbst bei der Jungen Freiheit in Ungnade gefallen, da er die NPD für einen möglichen Partner hielt. Andererseits ist er erfahren in der europäischen Koordination, die derzeit besonders aktuell ist. So gibt es Streit in der AfD, seit der Vorsitzende Bernd Lucke als Europaabgeordneter einer russlandkritischen Resolution zugestimmt hat. Weite Teile der Partei schielen eher sehnsüchtig nach Osten. Auch das Milieu der Neuen Rechten fiebert mit im Kampf des Eurasiers Alexander Dugin gegen den Liberalismus.
Dazu passend rief im Juli der ungarische Ministerpräsident Victor Orbán den »illiberalen Staat« als das Modell der Zukunft aus. Mit dem Liberalismus westlicher Gesellschaften solle Schluss gemacht werden. Ungarn möge sich die Erfolge Russlands unter Putin und der Türkei Erdoğans zum Vorbild nehmen. Auch für Dugin steht eine Reise nach Ungarn an. Das National Policy Institute, ein US-amerikanischer Think Tank des White-Supremacy-Rassismus, will am 3. und 4. Oktober einen identitären Kongress zur »Zukunft Europas« in Budapest veranstalten. Er soll als »Basis für ein neues Forum für Traditionalisten, Patrioten und Identitäre« dienen, werben die Veranstalter und locken mit der Teilnahme der Jobbik-Bewegung. Als Redner angekündigt sind neben Dugin unter anderem Manuel Ochsenreiter, derzeitiger Chef des rechtsextremen Magazins Zuerst, und Markus Willinger, Buchautor der Identitären Bewegung (IB).
Letztere hat sich auf einem Bundestreffen im Frühjahr in Fulda eine festere Struktur gegeben. Ihrer mangelnde Sichtbarkeit in der Realwelt sollen nun offizielle »Regionalleiter« entgegensteuern, schrieb Zuerst. Auch einen Deutschland-Chef der Identitären gibt es jetzt, den 27jährigen Bau­ingenieur Nils Altmieks aus Nordrhein-Westfalen. Inhaltlich bleibe der »Kampf gegen den Liberalismus« eine »unverhandelbare Überzeugung«, ist in Zuerst zu lesen. Neu sind auch die Aktivitäten der »Sektion Jahn«, benannt nach dem teutonischen Turnvater. Als identitäre Sportabteilung kümmert sie sich vor allem um Selbstverteidigung.Typisch für die gesamte Strömung von der Jungen Freiheit bis zur IB ist derzeit der Slogan »Weder Kippa noch Palituch«. Bezüglich der Gaza-Krise fällt eine starke Zurückhaltung auf. Anders als die meist propalästinensischen Neonazis üben sich etwa die Autoren der Jungen Freiheit in Äquidistanz. Bei aller weltanschaulichen Nähe zur US-Rechten und zu evangelikalen Gruppen kann sich die deutsche Neue Rechte selten zu einer proisraelischen Haltung durchringen. Spätestens in historischen Fragen sind sie eben zuallererst Deutsche. Nur der derzeit offen artikulierte Antisemitismus nahöstlicher Einwanderer führte zur Schadenfreude, da sich nun die »Realität von Multi-Kulti« zeige. Doch im Vergleich zu anderen Konfliktherden wie der Ukraine oder Syrien, bei denen man sich eher gegen die westliche Linie stellt, bleibt der Nahost-Konflikt randständig. Das auf einen Tag abgespeckte Programm der rechten Messe »Zwischentag« in Düsseldorf am 6. September wartet dieses Jahr mit einen Bericht von AfD-Stadträten, einer Veranstaltung über die »identitäre Bewegung« und Buchvorstellungen von rechten Szeneverlagen auf. Vorübergehend gab es allerdings Probleme, da den Veranstaltern nach öffentlichen Protesten die Tagungsräume gekündigt wurden – welch gravierender Mangel an Liberalität.