Der neue Film von David Cronenberg, »Maps to the Stars«

Hollywood Nightmare

David Cronenbergs neuer Film »Maps to the Stars« ist eine verstörende Mischung aus Horror und Hollywood-Satire.

Die »Maps« im Titel des neuen Films von David Cronenberg sind Karten von Beverly Hills, auf denen die Häuser berühmter Hollywoodstars markiert sind. Man kann solche Karten käuflich erwerben oder auch im Internet finden; vor allem Touristen machen bei Stadttouren von ihnen Gebrauch, aber auch Leute mit einem eher verzweifelten Begehren sich in die Häuser und das Leben der Prominenz hineinzuphantasieren. Wie hilfreich die Dienste der »Maps« auch bei kriminellen Aktivitäten sein können, zeigte Sofia Coppola im Film »The Bling Ring«. Die »Maps«, die ständig aktualisiert werden, sind nicht nur eine Inventarliste der Celebrity-Kultur, sondern auch eine Art Enzyklopädie der Geschichte Hollywoods, in der die toten Stars wie Geister herumspuken. David Cronenberg zeichnet in »Maps to the Stars« ein satirisches Ge­gen­warts­porträt Hollywoods in Form einer Geistergeschichte. Nicht etwa, um damit einen besonders originellen Genre-Twist zu erfinden, sondern weil beides zusammengehört. Der Film erzählt dann auch vor allem von dem Fluch, den diese Verbindung Hollywoods mit der Geisterwelt mit sich bringt.
»I’m from Jupiter«, erklärt Agathe (Mia Wasikowska) dem Chauffeur, arbeitslosen Schauspieler und Scientology-Aspiranten Jerome (Robert Pattinson), als sie in Los Angeles ankommt. Gemeint ist die Stadt Jupiter in Florida, dabei könnte das junge Mädchen mit dem kindlichen Gesicht tatsächlich auch von einem anderen Planeten kommen, vielleicht sogar aus dem Totenreich. Agathe gilt als »Schizo«, sie ist gerade erst aus einer psychiatrischen Klinik entlassen worden, nachdem sie vor Jahren das Haus der Familie in Brand gesteckt hatte. Um ihre Narben und Verbrennungen zu verbergen, trägt sie lange schwarze Handschuhe, die ihr etwas Märchenhaftes verleihen, auch rezitiert sie wiederholt, wie eine geheime Zauberformel, das Freiheitsgedicht »Liberté« von Paul Éluard – ein Text, der von verschiedenen Figuren in unterschiedlichen Situationen aufgegriffen wird. Agathe, Feuerteufel, Fee, verstoßenes Kind und emotionales wie identifikatorisches Zentrum des Films, sucht den Kontakt zu Benjie (Evan Bird), ihrem jüngeren Bruder, dem Kinderstar eines erfolgreichen Franchise namens »Bad Babysitter«, was ihr Vater, Dr. Stafford Weiss (John Cusack), ein angesagter New-Age-Guru und Autor von Selbsthilfe-Ratgebern, erbittert zu verhindern sucht. Benjie, ein von der ehrgeizigen Mutter (Olivia Williams) hochgezüchtetes Teenie-Monster, hat wegen seines Drogenkonsums selbst schon eine Rehab-Biographie vorzuweisen: Bei einem Treffen mit den Studioleuten muss er seine Gesundheit unter Beweis stellen, um den nächsten großen Deal nicht zu gefährden. Über ihre Twitter-Bekanntschaft Carrie Fisher (gespielt von Carrie Fisher) kommt Agathe an einen Job als persön­liche Assistentin von Havana Segrand (Julianne Moore), eine alternde, aufs Abstellgleis abgeschobene Schauspielerin, die wiederum bei Stafford Weiss in Behandlung ist. In diesen Sitzungen, die Massage, Schreitherapie und Talking Cure auf abstruseste Weise miteinander verbinden, geht es vor allem um die Zähmung ihres unkontrollierbaren Verhältnisses zur Mutter: Havana wird hartnäckig von deren Geist verfolgt, vor allem als sie all ihre Ambitionen darauf richtet, eine Rolle in einem Remake zu ergattern, deren Original ihre Mutter, selbst Schauspielerin, berühmt und, ja, unsterblich gemacht hat, bevor sie bei einem Autounfall verbrannte. Eingespannt in diese recht überschaubaren Beziehungen sind gleich zwei Inzestdramen mit hohem Symbolgehalt.
Das Drehbuch zu »Maps to the Stars« hat Bruce Wagner geschrieben, einer der sarkastischsten Chronisten der Hollywood-Unter­haltungsindustrie, von ihm stammt neben dem Roman »Force Majeure« auch der als erfolgreiche Fernsehserie verfilmte Comic »Wild Palms«. Als reine Hollywood-Satire betrachtet, wirkt der Stoff eigentlich recht flach. Die Darstellung einer Gesellschaft zwischen Egotrip, New-Age-Schrott, Yoga, Pillen und Killer-Showbiz ist, so scharf und bissig sie auch ausfällt, besonders neu nicht. Doch im Vergleich etwa zu Bret Easton Ellis’ lauem Geschwätz über die Einsamkeit und Leere von Hollywood-Menschen, das Paul Schrader als »The Canyons« verfilmt hat, ist bei Wagner und Cronenberg allein schon sprachlich sehr viel mehr los. Dass »Maps to the Stars« aber nicht nur ein bitterböser und grotesker Film geworden ist, sondern auch schön, erschütternd und traurig, ist allein Cronenbergs perfekt modulierter Inszenierung zu verdanken.
Cronenberg findet das notwendige Gleichgewicht zwischen hysterischer Übertreibung und wirklichkeitsnahem Porträt, zwischen Hollywood-Groteske, Geistertrash und anrührendem Familiendrama. Und er denunziert seine Figuren selbst in ihren schlimmsten Momenten nicht, etwa wenn Havana ihre Assistentin Agathe schamlos über deren Sexleben ins Verhör nimmt, während sie gerade mit Durchfall auf dem Klo sitzt, oder wenn Benjie seinen jüngeren Schauspielerkollegen hundsgemein niedermacht. Denn was die Figuren antreibt, ist nicht etwa Böswilligkeit, sondern allein Angst vor Status­verlust – und die gibt es sowohl in der elitären Welt Hollywoods wie auch im ordinären Neoliberalismus.
Für diesen Film hat Cronenberg zum ersten Mal überhaupt in den USA gedreht. Die Motive sind so abgedroschen wie ikonisch: das Hollywoodzeichen, der Walk of Fame, das Chateau Marmont Hotel, Palmen. Einige in Los Angeles lebende Kritiker monierten, die Bilder des Films hätten nichts mit ihrer Stadt zu tun. Um realis­tisches Lokalkolorit aber geht es Cronenberg gerade nicht. Sein Blick ist ein distanzierter, klinischer – die Bilder sind in ihrer flachen Ausleuchtung, den grellen Farben und der Glattheit von einer ätzenden Schärfe, die Kamerawinkel oft so tief, dass die Figuren etwas leicht Glubschiges bekommen – und er hat ebenso viel mit der Wirklichkeit zu tun wie mit der Mythengeschichte, die eben diese Wirklichkeit erst hervorgebracht. Dieses immaterielle Reich ist es, dem Cronenbergs Interesse gilt (ähnlich wie in dem Vorgängerfilm »Cosmopolis« den immateriellen Geldströmen).
»Maps to the Stars« spannt ein ganzes Netz auf aus familiären und professionellen Beziehungen, realen und imaginären Bekanntschaften (hier kommen die sozialen Netzwerke Facebook und Twitter ins Spiel und die dadurch explodierende Bilderindustrie), aus alternden, vernarbten und hysterischen Körpern und dem Imaginären. Die Gespenster, das sind schließlich nicht nur all die Erinnerungen, unerfüllten Sehnsüchte und Starfiguren, auch die Kinogeschichte taucht in »Maps to the Stars« wie ein Wiedergänger des kollektiven Gedächtnisses auf. Zahlreiche Filme geistern umher, von »Sunset Boulevard«, »Mulholland Drive« über »Mommy Dearest« und »A Star is Born« bis hin zu »The Sixth Sense«. Cronenberg fügt all das zu einem metastierenden Mega-Inzest zusammen, dem nur mit Gewalt und Zerstörung beizukommen ist.

Maps to the Stars (USA 2013). Regie: David Cronenberg. Start: 11. September, Darsteller: Julianne Moore, Mia Wasikowska