Frauenfiguren in Games

Mehr Heldinnen, mehr Zombies

Das Berliner Computerspielemuseum widmet sich den weiblichen Figuren in Games.

In der Welt der Video-Gamer sind 18 Jahre eine kleine Ewigkeit. Genauso lange ist es jetzt her, dass der erste Teil der Spieleserie »Tomb Raider« erschienen ist. Heute, rund ein Dutzend Neuauflagen des immer gleichen Spielprinzips später, gilt die Serienheldin Lara Croft als die Urmutter aller Protagonistinnen von Videospielen. Allerdings hat die heutige Lara Croft mit der ursprünglichen Figur ungefähr so viel gemein wie die Playstation 4 mit dem Atari ST. Augenfällig wird das bei einem Besuch des Computerspielemuseums Berlin, das in seinem Foyer je eine lebensgroße Plastikfigur der ältesten und der neuesten Lara Croft nebeneinandergestellt hat, die die Besucher mit gezogener Waffe begrüßen. Mit Wespentaille, Riesenbusen und Puppengesicht wirkt die Lara Croft vergangener Tage geradezu wie ein Alien. Die neue Lara Croft hat einen vergleichsweise realistischen Model-Körper, mit all dem Dreck und dem Blut, das an ihr klebt, erscheint sie in der Rolle der Kämpferin auch glaubhafter.
Nach der Veröffentlichung des bislang letzten Teils der Serie »Tomb Raider« wurde in der Gamer-Szene darüber debattiert, ob die neue, verletzlichere Lara noch die den Männern überlegenen Superfrau ist. Auf die Physis kommt es aber vielleicht gar nicht mehr an, sondern auf Strategie und Erfahrung. Mascha Tobe, Mitarbeiterin des Computerspielemuseums, vertritt diese These. »Es handelt sich um ein Prequel«, erläutert sie. »Es ist nur logisch, dass die junge Lara Croft noch nicht so erfahren ist wie die aus den späteren Teilen.«
Zusammen mit Philipp Frei hat Tobe die Sonderausstellung zu weiblichen Helden in Videospielen kuratiert. Acht Spiele aus unterschiedlichen Epochen werden in der Ausstellung »Leading Lady« vorgestellt. Gezeigt werden soll, dass weibliche Figuren in Videospielen keinesweg durchgängig schwache und defizitäre Charaktere sind. Deshalb stehen weibliche Figuren im Mittelpunkt, die Heldenrollen innehaben und »Sheroes« sind, wie es die Frankfurter Medienforscherin Birgit Richard 2004 in ihrem gleichnamigen Buch formulierte.
Auch zehn Jahre sind bereits eine lange Zeit, wenn es um Videospiele geht, und vieles, das Richard damals schrieb, wirkt heute wie ein Allgemeinplatz. Vieles, das damals noch als wünschenswert galt, ist längst Realität geworden im Game-Universum: Die Geschlechterverhältnisse haben sich verändert. Unter den derzeitigen Verkaufsschlagern etwa finden sich nur wenige Spiele, in denen nicht auch weibliche Spielfiguren zur Wahl stehen, was allerdings auch mit der Popularität von Fantasy- und Rollenspielen zu tun hat. Besonders Rollenspiele, aber auch sogenannte Beat ’em ups boten schon früh die Möglichkeit, neben vielen männlichen auch einige weibliche Figuren zu spielen. Zumeist waren diese spärlich bekleidet und verfügten über grotesk idealisierte Körperformen.
Es seien zwar noch immer wenige, sagt Tobe, aber immerhin gibt es sie, die weiblichen Spielfiguren. Die sowjetische Scharfschützin Tanya Pavelovna in »Call of Duty: Finest Hour« etwa oder die ebenfalls sowjetische Agentin Natasha Nikochevski in »Commandos 2: Men of Courage«. Ein aktuelles Beispiel ist Ellie, eine von zwei Hauptfiguren in dem postapokalytischen Survival-Spiel »The Last Of Us«. Interessant ist, dass Ellie zu Beginn des Spiels auf den Schutz des deutlich älteren Joel angewiesen ist, im Laufe des Spiels jedoch stärker ins Geschehen eingreift. Aus dem schutzbedürftigen Teenager wird eine ebenbürtige Partnerin im Kampf gegen Untote und feindliches Militär.
Deutlich seltener hingegen sind Spiele, in denen es ausschließlich weibliche Spielfiguren gibt. Princess Peach zum Beispiel, die ihre Karriere bereits 1983 als zu rettende Prinzessin in »Mario Bros« begann und seither in unzähligen »Mario«-Spielen auftauchte, wurde erst 2006 Protagonistin eines Spin-off – fünf Jahre nach Marios Bruder Luigi. Aber immerhin handelte es sich dabei um ein Game mit eigenständiger Spielidee. Die erste weibliche Heldin der Videospielgeschichte, Ms. Pacman, konnte von so etwas nur träumen. Ihr Spiel war weitestgehend identisch mit dem ihres männlichen Vorbildes »Pacman« – nur dass sie eine Schleife auf dem Kopf trug.
Fast wirkt es so, als sei neben der omnipräsenten Lara Croft, die längst der Spielkonsole entstiegen ist und in Gestalt von Angelina Jolie die Kinoleinwand erobert hat, nur wenig Platz ist für weibliche Superstars. Die von Milla Jovovich gespielte Alice in den Filmen der Reihe »Resident Evil« ist keine Figur, die aus dem Spiel selbst stammt. Die Figur wurde eigens für das Kino erschaffen und in den Plot, der auf den Spielen basiert, eingebaut. Cate Archer in »No One Lives Forever« ist zwar eine hervorragend inszenierte Figur in einem guten Spiel. Mangels Crossmarketing wissen das heute allerdings bestenfalls ein paar Fans, zumal das letzte Spiel der Serie vor zehn Jahren veröffentlicht wurde.
Eine ernst zu nehmende Konkurrentin für Lara Croft dürfte Faith Connors darstellen, Heldin des 2009 erschienenen Spiels »Mirror’s Edge«, von dem 2016 ein zweiter Teil erscheinen soll. Das Spiel, das Elemente des Parcours aufnimmt und in atemberaubende, alle drei Dimensionen ausnutzende Verfolgungsjagden und Kletterpartien überführt, ist außergewöhnlich innovativ. Mit ihrer charakteristischen Tätowierung rund um das rechte Auge und ihrem zeitlos sportlichen Style hat Faith Connors zwischen all den Schwerter schwingenden Amazonen einen hohen Wiedererkennungswert. Vor allem aber sind die Kletterkünste der Tätowierten zeitgemäßer als die magischen Tricks der Mitbewerberinnen. Die Figur macht es dem Gamer leicht, sich mit ihr zu identifizieren – zumal das Spiel eine sogenannten First-Person-Ansicht hat, Connors also nur in den zwischen den Levels eingespielten Videosequenzen zu sehen ist. Der User schlüpft also im Spiel in ihre Rolle.
Man wird sehen, ob es den Entwicklern von »Mirror’s Edge« im zweiten Teil gelingt, die glatte Oberfläche mit Staub und Blut zu überziehen. Dieser Realismus scheint genau das zu sein, was die Schar von weiblichen und männlichen Gamern sich wünscht. Realismus zeichnet insofern auch die neue Lara Croft mit all ihren Schrammen und Wunden aus. Blutet Bruce Willis in »Stirb langsam«, spricht schließlich auch niemand von Verletzlichkeit.
Zu einer größeren Realitätsnähe im Videospiel würde allerdings eine noch stärkere Präsenz von weiblichen Figuren gehören. Immerhin sind nach Auskunft der Gesellschaft für Konsumforschung rund die Hälfte der Gamer weiblich. Mehr weibliches Personal in Spielen hieße wohl aber auch, dass rund die Hälfte der Zombies und Dämonen, die abzuknallen und zu enthaupten sind, weiblich sein müssten.