Der Roman »Das Geständnis der Löwin« von Mia Couto

Von Raubtieren und Menschen

In seinem Roman »Das Geständnis der Löwin« erzählt der Schriftsteller Mia Couto von der sexuellen Gewalt gegen Frauen in Mosambik.

Oberflächlich betrachtet, scheint Mosambik noch einmal davon gekommen zu sein. Auf den Unabhängigkeitskrieg gegen Portugal folgte der Bürgerkrieg zwischen der marxistischen Frente de Libertação de Moçambique (Frelimo) und der antikommunistischen Resistência Nacional Moçambicana (Renamo), 900 000 Mosambikaner kostete das ihr Leben, viele Millionen flohen. Erst Anfang der neunziger Jahre kam der Frieden.
Doch die Demokratie ist instabil. Die regierende Frelimo tut alles, um ihre zwei Jahrzehnte währende Herrschaft aufrechtzuerhalten. Im Oktober stehen Wahlen an, die zeigen werden, wie es politisch weitergeht. Neben den vielfältigen politischen Konflikten haben die Kriegsjahre auch Spuren in der mosambikanischen Gesellschaft hinterlassen, die für den Außenstehenden auf den ersten Blick nicht erkennbar sind.
Einer, der sich seit drei Jahrzehnten an deren literarischer Aufarbeitung versucht, ist der Schriftsteller Mia Couto. Zwar ist Couto Mosambikaner, geboren 1955 in Beira, der zweitgrößten Stadt des Landes, aber seine Familie stammt aus Portugal, das sie wegen ihrer politischen Ansichten verlassen musste. Damit ist Couto Teil der weißen Minderheit von rund 60 000 portugiesischstämmigen Mosambikanern, die nach der Unabhängigkeit im Jahre 1974 im Land geblieben sind. Dass ausgerechnet er das literarische und intellektuelle Sprachrohr Mosambiks wurde, ist also durchaus erstaunlich.
Die erzählerischen Ambitionen sind ihm buchstäblich in die Wiege gelegt worden, wie er unlängst in einem Interview eingestand: »Da meine Eltern nicht nach Portugal zurückkehren konnten, ließen sie ihre Heimat in Form des Geschichtenerzählens wiederauferstehen. Jede Nacht saßen sie an unseren Betten und erzählten uns von dem Land, der Familie und der Vergangenheit, die sie so sehr vermissten. Dadurch wurde die Vergangenheit Gegenwart, die Toten wurden lebendig und meine Eltern wurden zu Kindern wie wir. Die Leidenschaft, mit der sie diese Geschichten erfanden, war meine erste Einladung in die literarische Welt.« Zweifellos hat Couto vieles von dieser elterlichen Erzählform in seine Literatur einfließen lassen. In ihr überlagert Vergangenes Heutiges, die Toten prägen die Lebenden, Traum und Wirklichkeit verschwimmen.
Seine ersten schriftstellerischen Versuche unternahm Couto als Journalist und als Autor von Gedichtbänden. Mitte der achtziger Jahre wechselte er zunächst in die Wissenschaft. Er studierte Biologie, lehrte und forschte für lange Zeit an der Universität, später auch für ein privates Unternehmen. Seit den neunziger Jahren widmet er sich verstärkt der Literatur und hat fast jährlich ein neues Buch veröffentlicht.
Mit seinem literarischen Werk ist Couto der wichtigste Chronist Mosambiks geworden. Es ist ihm in seinen mehr als 20 Romanen, Novellen und Gedichtbänden aber vor allem gelungen, eine Sprache zu entwickeln, die weit über das kleine afrikanische Land hinaus Wirkung entfaltet. Das spiegelt sich auch in den zahlreichen Preisen wider, die ihm in den vergangenen Jahren verliehen wurden. Nach dem Camões-Preis, dem wichtigsten Literaturpreis des portugiesischen Sprachraums, im Jahr 2013 und dem renommierten Neustadt International Prize for Literature 2014 fehlt nur noch der Nobelpreis für Literatur. Einzig in Deutschland fand Coutos Werk keinen großen Anklang, lediglich zwei seiner Bücher gab es bislang in deutscher Übersetzung.
Jetzt liegt mit »Das Geständnis der Löwin« ein weiterer Roman auf Deutsch vor, der eine grandiose Parabel auf ein Land ist, das immer noch nach sich selbst sucht, zerrissen zwischen Tradition und Moderne, Rationalität und Mystik, Individualität und Kollektivität. Dies führt Couto exemplarisch an den beiden Hauptfiguren seiner Erzählung vor, Arcanjo Baleiro, letztes Mitglied einer Jägerdynastie, und Mariamar, eine junge Frau, die von der Flucht aus der dörflichen Enge träumt, aber von der Vergangenheit und der Familie zurückgehalten wird. Ihre Stimmen wechseln sich kapitelweise ab.
Alles fängt mit tödlichen Angriffen einer Löwin auf die Bewohner des Savannendorfes Kulumani an. Es ist ein Ort fernab der Urbanität, wo geheimnisvolle Kräfte, Tribalismus und Zauberglaube den Alltag bestimmen. Eines der ersten Opfer ist die Schwester von Mariamar. Daraufhin wird offiziell ein Jäger gesucht, um die Gefahr zu beseitigen. Arcanjo bewirbt sich auf die Stelle und erhält sie. Doch er hat sich vorgenommen, dass dies seine letzte Jagd sein soll. Er kehrt damit an einen Ort zurück, an dem er sich viele Jahre zuvor schon einmal wegen eines Jagdauftrags aufhielt. Damals hatte er Mariamar vor einem gewalttätigen Polizisten und der drohenden Vergewaltigung gerettet. Was sie außerdem einander näherbringt, ist, dass sie beide ethnisch Außenstehende sind: Der Jäger ist kein Indigender, Mariamars Mutter gehört einer Bevölkerungsgruppe an, die nicht aus dem Dorf stammt.
Der Verwalter der Gegend möchte schnell Ruhe schaffen, da er ausländische Investitionen in Gefahr sieht, und drängt Arcanjo zu einer raschen Beseitigung der tödlichen Bedrohung. Doch Naftalinda, die Frau des Verwalters, macht gegenüber dem Jäger Andeutungen. »Die größte Gefahr in Kulumani sind nicht die Raubtiere aus dem Busch«, warnt sie Arcanjo. Das ist der Schlüsselsatz des Romans. Denn in Coutos Erzählung sind es nicht die Tiere, die zur Gefahr für den Menschen werden, sondern es ist der Mensch, der, frei nach Thomas Hobbes, dem Mitmenschen ein Löwe ist.
Die Leidtragenden sind die Frauen. Für sie, wie Couto Mariamars Mutter Hanifa sagen lässt, ist der Krieg nie zu Ende. Die Frauen des Dorfes sind nicht einfach körperlicher, sondern vor allem sexueller Gewalt ausgeliefert. Das zeigt sich am Vater von Mariamar, dem Fährtenleser Genito Mpepe, der alle seine Töchter missbraucht hat und beim Sex mit Hanifa, wie diese feststellt, zum Raubtier wird. Es gibt Genitalverstümmelungen, Vergewaltigungen, die nicht geahndet werden, Frauen werden nur als volle Mitglieder der Gemeinschaft anerkannt, wenn sie fruchtbar sind. Das alles kommt im Dorf nicht zur Sprache, denn über allem stehen die Traditionen, die keiner in Frage stellt.
So entstehen die Löwen, die eben nicht nur Tiere sind, sondern entsprechend traditionellen Überlieferungen »Menschen-Löwen«. Couto greift diesen Gedanken auf und entwickelt ihn zwischen Wirklichkeit und Phantasie weiter, so dass man nicht weiß, ob es einfach der Wahnsinn ist, der von den Menschen Besitz ergriffen hat, oder ob sich wirklich die Grenzen zwischen Mensch und Tier verschoben haben.
Die Löwen sterben am Ende. Nicht jedoch durch die Hand Arcanjos, der den Abzug seines Gewehrs nicht mehr betätigen kann. Es sind gewöhnliche Killer, die sie abknallen.
»Das Geständnis der Löwin« ist eines der wichtigsten Bücher von Mia Couto, weil er darin seinem magischen Realismus treu bleibt, gleichwohl aber auf ein virulentes Problem des heutigen Mosambik hinweist: Der Bürgerkrieg mag seit langem vorbei sein, die Gewalt, vor allem gegen Frauen, bleibt Teil des Alltags.

Mia Couto: Das Geständnis der Löwin. Aus dem Portugiesischen von Karin Schweder-Schreiner. Unionsverlag, Zürich 2014, 270 Seiten, 19,95 Euro