Der Milizenkrieg in Libyen

Der Krieg der Emire

Die libysche Regierung musste aus der Hauptstadt Tripolis fliehen. Hinter den einander bekämpfenden Milizen stehen Monarchen der Golfregion.

In Libyen hat sich ein chaotischer Milizenkrieg zum Stellvertreterkrieg mit klaren Fronten und eindeutig identifizierbaren Protektionsmächten entwickelt. Die Golfmonarchien tragen hier ihre Zwistigkeiten aus – eigenmächtig und ohne Rücksprache mit den USA. Noch bis vor kurzem schienen die Kämpfe in Libyen reichlich unübersichtlich. Im ganzen Land kämpfte irgendwer gegen irgendwen, das Parlament war kaum handlungsfähig, auch da Milizionäre es immer wieder stürmten und Abgeordnete einschüchterten. Laufend wechselten die Ministerpräsidenten, eine Viertelmillion Libyer flohen.
Neben zahlreichen Stammesmilizen trieben Islamisten ihr Unwesen. Vor allem die al-Qaida nahestehende Miliz Ansar al-Sharia terrorisierte die Bevölkerung, zerstörte sufistische Heiligtümer und ermordete säkulare Revolutionäre der ersten Stunde. Enormen Zulauf erhielten die islamistischen Milizen, als in Ägypten General Abd al-Fattah al-Sisi die Macht übernahm und begann, die Mitglieder der bis dahin regierenden Muslimbruderschaft brutal zu verfolgen. Viele flohen ins benachbarte Libyen und gaben sich dort nicht mehr als die moderaten Salon-Islamisten aus, sondern schlossen sich den Jihadisten an.
Anfang des Jahres trat der abtrünnige General Khalifa Haftar auf den Plan und erklärte, eine Allianz gegen den islamistischen Terror schmieden zu wollen. Das ist ihm gelungen. Unter dem Banner »Operation Würde« vereinigte er alle Milizen, die gegen die Islamisten kämpfen wollten, darunter auch die mächtige Zintan-Miliz, die 2011 entscheidend zur Befreiung von Tripolis beigetragen hatte.
Doch nachdem die »Operation Würde« den Islamisten im Frühjahr und Sommer einige Gebiete abnehmen konnte, formierten sich die islamistischen Milizen neu. Auch sie schlossen eine Allianz, die von moderaten bis zu al-Qaida nahestehenden Gruppen reicht, darunter auch die mächtige Misrata-Miliz, und nannten sie »Libyens Morgendämmerung«. Sie nehmen für sich in Anspruch, die Konterrevolution zu bekämpfen. General Haftar werfen sie vor, in Libyen eine Militärdiktatur wie in Ägypten unter General Sisi errichten zu wollen. Tatsächlich erhält Haftar tatkräftige Unterstützung aus Ägypten und den Vereinigten Arabischen Emiraten – letztere sollen auch in Ägypten die Kampagne gegen die Muslimbrüder mit viel Geld unterstützt und orchestriert haben und so General Sisi zur Macht verholfen haben.

Seit Mitte August bombardiert die Luftwaffe der Vereinigten Arabischen Emirate Stellungen der Islamisten in der Hauptstadt Tripolis und hat in der vergangenen Woche auch in der zweitgrößten Stadt Bengasi angegriffen. Nach Aussage von US-Regierungsvertretern operieren emiratische Spezialeinheiten bereits seit Monaten in der Grenzregion zwischen Ägypten und Libyen mit ägyptischer Unterstützung. Nahe der Stadt Derna sollen sie ein Camp der Islamisten zerstört haben.
Selbige Regierungsvertreter sagten der New York Times, in Washington koche man vor Wut über die Luftangriffe. Anscheinend haben weder die Emirate noch das sie unterstützende Saudi-Arabien die USA in Kenntnis gesetzt. Die Golfmächte betrachten den Konflikt offenbar als ihre ureigene Angelegenheit, für die sie weder die Weltmacht USA noch die »internationale Gemeinschaft« zu konsultieren brauchen. Dabei treten sie auf libyschem Territorium gegen das Scheichtum Katar an.
Katar unterstützt gemeinsam mit der Türkei in der gesamten Region Organisationen der Muslimbrüder und ähnlich orientierte Islamisten. Soviel ist bekannt und offensichtlich. In Libyen bedeutet dies, dass die umfänglichen Waffenlieferungen aus Katar an Milizen der Muslimbrüder der Koalition »Morgendämmerung« zugute kommen – und damit auch den Jihadisten von Ansar al-Sharia. Katar wird allerdings auch immer wieder als direkter Geldgeber von jihadistischen Gruppen wie al-Qaida und dem »Islamischen Staat« (IS) genannt – zuletzt tat das der deutsche Entwicklungsminister Gerd Müller in einem Interview mit dem ZDF. Es ist zu vermuten, dass er für eine solch Aussage über einen verbündeten Staat stichhaltige Belege besitzt. Ohne Einsicht in Geheimdienstdokumente lässt sich nur sagen, dass Anhänger von al-Qaida auf Twitter zu Spenden an katarische »Wohltätigkeitsorganisationen« aufrufen. Der Inhalt der Geheimdienstdokumente wird hinter verschlossenen Türen verhandelt und dort knallt es schon seit Jahren ordentlich, zum Beispiel im Golfkooperationsrat.
Seit einem halben Jahr ist der Streit um Katars Unterstützung der Islamisten handfest geworden. Im März zogen Saudi-Arabien, die Vereinigten Emirate und Bahrain ihre Botschafter aus Katar ab. Sie drohten auch mit Wirtschaftssanktionen und sogar verhohlen mit einem Truppeneinmarsch.
Obwohl Saudi-Arabien und zu Teilen auch die Emirate selbst erzkonservative, auf der Sharia basierende Systeme in ihren Ländern installiert haben, fürchten sie nichts so sehr wie Islamisten. Das war einmal anders. In den achtziger Jahren gewährte Saudi-Arabien ägyptischen Muslimbrüdern großzügig Unterschlupf. Aber die Zeiten haben sich geändert und die Einschätzung der Herrscher am Golf ist durchaus realistisch: Intern könnten ihren Despotien derzeit nur Islamisten gefährlich werden.

Es gibt zwar am Golf ein paar Dutzend Menschenrechtsaktivisten, aber ihre Ideen haben anders als in Nordafrika oder der Levante kaum Anziehungskraft auf die tief konservative Bevölkerung. Da der Ölreichtum schwindet, formiert sich weit häufiger als früher Unmut in der Bevölkerung, was Islamisten zu kanalisieren wissen. Solche Ängste muss der Scheich von Katar nicht haben. Als Herrscher des pro Kopf reichsten Landes der Welt hat er seine 250 000 Untertanen gut im Griff.
Ende August hat sich der Golfkooperationsrat nun erst einmal wieder geeinigt – darauf, eine Strategie zur Einigung auszuarbeiten. Die Botschafter könnten demnächst wieder ausgetauscht werden, hieß es. Die Siege des IS in Irak und Syrien haben die Herrscher am Golf in höchste Alarmbereitschaft versetzt – und da steht man wohl wieder zusammen. Auch der Scheich von Katar weiß, dass er mit diesem Monster nicht spielen kann.
Die Frontstellung in Libyen verweist aber darauf, dass der Streit noch lange nicht beigelegt ist. Die islamistischen Milizen sind außerordentlich gut ausgerüstet und organisiert. Mitte August nahmen sie der Zintan-Miliz den Flughafen von Tripolis ab – trotz emiratischer Luftschläge – und kontrollieren seither auch die Stadt. Parlament und Regierung haben sich in den Osten des Landes nach Tobruk zurückgezogen, wo General Haftar die Kontrolle hat. Die Islamisten haben nun angefangen, eine Parallelregierung aufzubauen. Das gerade neu gewählte Parlament erkennen sie nicht an. Sie haben darin anscheinend nur eine Minderheit der Sitze erhalten. Genau kann man das nicht sagen, da diesmal überhaupt keine Parteivertreter, sondern nur Unabhängige gewählt werden konnten.

Bereits bei der ersten Parlamentswahl nach dem Sturz Muammar al-Gaddafis waren zwei Drittel der Sitze an Unabhängige gegangen. Mit diesem Wahlgesetz wollte man die islamistischen Parteien kleinhalten und Szenarien wie in Ägypten und Tunesien verhindern, wo Islamisten zeitweise die Regierung dominierten. Das scheint nun gelungen. Nur bedeutet dies auch, dass Stammesstrukturen zementiert werden und politische Willensbildung außerhalb von Klans kaum stattfinden kann. Denn als Unabhängige werden in der Regel Stammesführer aufgestellt – die übrigens fast nie Frauen sind.
Diese politische Struktur, die Abhängigkeit der Regierung von General Haftar und die tatkräftige Unterstützung der Emirate und Ägyptens scheinen zielgenau auf die ägyptische Lösung zuzusteuern – sofern Katar nun tatsächlich seine Unterstützung einstellt. Allerdings haben die Islamisten noch weitere Geldquellen und sie haben in Libyen eine wirkmächtige einende Kraft: den Mufti. Wohl aus überschwänglichem Dank für seine Haltung in der Revolution gegen Gaddafi hat die erste Regierung Sadik al-Gheriani ein Amt ohne jegliche Kontrollmechanismen geschaffen. Er ist Mufti auf Lebenszeit, die Regierung kann ihn nicht absetzen, er genießt Immunität und es gibt keinen Fatwa-Rat, mit dem er sich absprechen muss.
Seit Anbeginn mischt sich Gheriani in die Politik ein, kommentiert Entscheidungen der Regierung, gibt Wahlempfehlungen ab, ruft zu Demonstrationen auf und bezeichnet andere Demonstranten als Ungläubige. Für einen Mufti ist das ein eher ungebührliches Verhalten. Das sehen auch viele Libyer so und witzeln über ihn in sozialen Medien. Andere allerdings folgen seinem Rat. In den vergangenen Wochen feierte Gheriani in seiner Fernsehshow die Siege der Islamisten und rief die libysche Bevölkerung zur Ausweitung der Rebellion gegen die Regierung auf. Pikanterweise hielt er sich zum Zeitpunkt dieser Kriegsansprachen in Großbritannien auf.