Die Elbe soll erneut vertieft werden

Tiefer fließt der Kapitalfluss

Die neunte Elbvertiefung ist seit 2012 geplant. Das Urteil über die Umweltverträglichkeit des Vorhabens ist für den 2. Oktober angekündigt. Im nationalen Wettbewerb um die tiefsten Wasserstraßen und größten Schiffe werden ökologische Bedenken nicht gern gesehen.

50 Meter breit und fast 400 Meter lang sind sie, die tiefwassergängigen Riesenfrachter, die demnächst auf der Elbe fahren sollen. Die Fahrrinne der Unterelbe soll dafür von Hamburg bis Cuxhaven von derzeit 15 Meter unter Seekartennull auf 17 Meter vertieft werden, um den größten Containerschiffen mit einem Tiefgang von 14,5 Metern und einem Ladevolumen bis zu 15 000 Standardcontainern die Einfahrt in den 136 Kilometer von der Nordsee entfernten größten deutschen Hafen in Hamburg zu ermöglichen. Reedereien und Hafenterminalbetreiber versuchen seit Jahren einen Ausbau von Europas meistbefahrener Wasserstraße zu erreichen.

Gegen diese Pläne klagen gemeinsam die etablierten Umweltverbände BUND, Naturschutzbund (Nabu) und die Umweltstiftung WWF als das »Aktionsbündnis Lebendige Tideelbe«. Das Bundesverwaltungsgericht (BVerwG) ist in erster und letzter Instanz für das bislang umfangreichste umweltrechtliche Gerichtsverfahren in Deutschland mit einer Vielzahl wasser- und naturschutzrechtlicher Streitpunkte zuständig. Das Urteil ist für den 2. Oktober angekündigt. Die Kläger befürchten weitere Schäden an der Elbe durch Wattverlust, Strömungszunahme, Sauerstoffmangel und Verlandung von für gefährdete Pflanzen und Tiere notwendigem Gewässerlebensraum. »Durch die Elbvertiefung entsteht eine enorme Tideenergie, die bewirkt Uferabbrüche, das Watt wird weggespült, dadurch werden Lebensräume zerstört«, stellt Alexander Porschke, Vorsitzender des Naturschutzbund Hamburg, fest. »Die zusätzliche Tideenergie, die durch die Elbvertiefungen entsteht, produziert die großen ökologischen Schäden.« Durch die zunehmende Kanalisierung und Vertiefung der Elbe erhöhen sich die Strömungsgeschwindigkeit und der Tidenhub, die Wasserstände bei Ebbe und Flut differieren stärker. Das schädigt insbesondere die von seltenen Pflanzen und Tieren genutzten Flachwasserzonen im Uferbereich. »Schon die Elbvertiefung 1999 hat Auswirkungen, die den Lebensraum Elbästuar empfindlich beeinträchtigt haben«, sagt Hans Ewers vom Vorstand des Nabu Schleswig-Holstein. »Ein Ästuar ist ein Flussgebietsmündungssystem. Der Elbästuar ist ein einzigartiger Lebensraum in Europa«, führt er aus. Viele bedrohte Arten leben hier. Jörg-Andreas Krüger, stellvertretender Bundesgeschäftsführer des Nabu, sagt: »Wir befürchten, dass die nächste Elbvertiefung, vergleichbar mit der Entwicklung an der unteren Ems, das gesamte Flussökosystem zum Kippen bringen wird.« Nicht zu unterschätzen seien auch die Langzeitfolgen durch den permanenten Einsatz der Saugbagger in der Elbe, um die Fahrrinnentiefe konstant zu halten. »Für die Wiederansiedlung des Störs werden Hunderttausende investiert und ein paar Kilometer weiter werden wertvolle junge Störe von den Baggern unkontrolliert geschreddert«, merkte Elbfischer Walter Zeeck an.

Im Rahmen des Umweltrechtsverfahrens prüft das BVerwG jetzt, ob die Pläne zur Elbvertiefung mit dem Verschlechterungsverbot im Natur- und Gewässerschutzrecht der EU vereinbar sind. Denn die Unterelbe ist – trotz Verzögerungstaktik des vorherigen Hamburger Senats – als Europäisches Schutzgebiet gemäß der Flora-Fauna-Habitat-Richtlinie ausgewiesen und durch die Wasserrahmenrichtlinie der EU geschützt. Gegen die vom Bremer Senat für die innerstädtischen Bremer Häfen und Bremerhaven geplante Weservertiefung läuft bereits länger ein Prozess, in dem das BVerwG im Juli 2013 Fragen des europäischen Rechts zur Klärung an den Europäischen Gerichtshof (EuGH) übertragen hat. Seit Juli wird in Luxemburg verhandelt, eine Entscheidung könnte Anfang 2015 fallen. Ein Urteil des EuGH in Sachen Weservertiefung könnte Rückwirkungen auf das Verfahren zur Elbvertiefung haben.
Über Hamburgs Kaikanten gingen alleine in der ersten Hälfte dieses Jahres 72,6 Millionen Tonnen Seegüter, davon 4,8 Millionen Standardcontainer. Der Verband der Hafenwirtschaft betont, für zehn Prozent der Wertschöpfung in Hamburg zu sorgen, über 700 Millionen Euro Gewerbesteuer zu zahlen und 166 000 Menschen zu beschäftigen. Der Standortkonkurrenz der deutschen Seehäfen ist es geschuldet, dass die Senate von Hamburg und Bremen versuchen, um nahezu jeden Preis ihre Flüsse auszubaggern und zu vertiefen, damit sie einen kleinen Vorteil im Wettbewerb um die Liniendienste der großen Containerschiffsreedereien erlangen. Die ganze Absurdität der Hafenkonkurrenz zeigt sich am Jade-Weser-Port vor Wilhelmshaven: Der für 1,2 Milliarden Euro gebaute und am 21. September 2012 in Betrieb genommene Hafen ist für Riesencontainerschiffe konzipiert worden, er ist der erste echte, von Ebbe und Flut unabhängige Tiefwasserhafen in Deutschland. Mit 18 Metern Tiefgang ist er zwar für die größten Schiffe tidenunabhängig zugänglich, aber die kommen trotzdem nicht, weil sie von Bremerhaven und vor allem Hamburg umworben werden – bis hin zu Rabattaktionen. Statt der erwarteten 1,3 Millionen Container wurden am Jade-Weser-Port im ersten Halbjahr 2014 gerade einmal 39 000 umgeschlagen, ein bis zwei Containerriesen verlieren sich pro Woche an den gigantischen Kajen. Ein Hauptgrund hierfür ist, dass die komfortable Hinterlandanbindung über die Schiene fehlt.

»Deutschland kann sich den unkoordinierten Ausbau von drei konkurrierenden Hafenstandorten nicht leisten – weder ökologisch noch ökonomisch«, erklärte das »Aktionsbündnis Lebendige Tideelbe«. Ökologisch sinnvoller wäre es, ein gemeinsames Hafenkonzept der »Nordrange« ohne nationalistische Scheuklappen zu fordern. Der größte europäische Seehafen Rotterdam ist ebenso wie Antwerpen tiefseetauglich, gut per Schiene ans Hinterland angebunden und hat mit dem Ausbau Maasvlakte II Kapazitäten frei. Aus ökologischer Sicht eine gute Alternative zum umweltzerstörerischen deutschen Ausbaggerungswettbewerb, der sich ganz offen gegen die beiden Mitbewerber richtet, wie Daniel Hosseus, Hauptgeschäftsführer des Zentralverbands der deutschen Seehafenbetriebe, erklärt: »Wir konkurrieren regional mit Häfen wie Rotterdam oder Antwerpen.« Daran wird keine Kritik von deutschen Umweltverbänden geübt.
Vielleicht kommt der Prozess zur Elbvertiefung auch vor den Europäischen Gerichtshof. Das deutete der Vorsitzende Richter, Rüdiger Nolte, am 15. Juli, dem ersten Verhandlungstag vor dem BVerwG in Leipzig, an und verwies auf den Prozess zur Ausbaggerung der Weser. »Die Elbe ist leider kein Einzelfall: kein einziger der als Bundeswasserstraßen genutzten Flüsse ist in einem guten Umweltzustand«, so die Verbände. Der Wasserrahmenrichtlinie zufolge soll bis 2015 an allen deutschen Flüssen ein »guter ökologischer Zustand« wiederhergestellt werden. Der Plan, die Elbe durch eine weitere Vertiefung noch mehr zu einem Kanal für Riesenschiffe zu machen, steht diesem Ziel entgegen.
Im Kielwasser der Kapitalverbände forcierten ausnahmslos alle Hamburger Landesregierungen die Kanalisierung der Elbe, ob an ihnen nun CDU, SPD, FDP, die Grünen, Statt- oder Schill-Partei beteiligt waren. Als die CDU 2008 nach dem Scheitern der gemeinsamen Regierung mit der FDP und der Schill-Partei einen neuen Koalitionspartner benötigte, erklärten die regierungswilligen Hamburger Grünen kurzerhand, die Planung zur neunten Elbvertiefung, die dann 2012 vom nächsten, von der SPD gestellten Senat beantragt wurde, sei schon zu weit gediehen, um sie aufzugeben. Sie schwenkten um und akzeptierten das Ausbaggern des Flusses.
Die für die achte und bisher letzte, 1999 abgeschlossene Elbvertiefung versprochenen ökologischen Ausgleichsmaßnahmen waren noch nicht vollständig umgesetzt, die Erforschung der Auswirkungen auf den Fluss als Biotop noch nicht abgeschlossen, da wurde im April 2012 der 2 600seitige Planfeststellungsbeschluss für die neunte Elbvertiefung veröffentlicht. Im Januar erklärten beim »Hafengipfel des Hamburger Abendblatts« mehrere Vertreter der Hafenwirtschaft und der HSH-Nordbank, weitere Fahrrinnenanpassungen, auch nach der jetzt vor dem BVerwG verhandelten, seien nicht auszuschließen.
Dass auf dem »Hafengipfel« auch eine Abschaffung des gesetzlich geregelten Verbandsklagerechts für Umweltorganisationen gefordert wurde, empörte den Vorsitzenden des Nabu in Hamburg. »Wenn Hafenbosse den Umweltverbänden deshalb die Möglichkeit nehmen wollen, Planfeststellungen gerichtlich prüfen zu lassen, ist das wahrlich ein demokratisches Armutszeugnis«, so Porschke. Der damalige Bundesverkehrsminister, Peter Ramsauer (CSU), regte sich 2012 ob der Einreichung der Klage durch BUND, Nabu und WWF auf. Er habe für deren Einwände »null Komma null Verständnis«. »Wenn diese Klagen aufrechterhalten werden, versündigt man sich an allen Interessen dieses maritimen Bereichs«, so Ramsauer. Auch Hamburgs Bürgerschaftsabgeordnete von CDU und SPD greifen die klagenden Umweltverbände an, etwa Olaf Ohlsen (CDU): »Mit ihrer verbohrten Ideologie gefährden die Umweltverbände Tausende Arbeitsplätze.« Jan Balcke (SPD) sagte: »Ein Verzicht auf die Fahrrinnenanpassung der Unter- und Außenelbe hilft nur den ausländischen Häfen in Antwerpen und Rotterdam.« Dann doch lieber schöne deutsche Flüsse zerstören, als sich am nationalen Interesse zu versündigen.